Bad Homburg, wir haben ein Problem!
Vor 45 Jahren wurde in der deutschen Provinz der Grundstein für einen neuen Kosmos gelegt. 2350 Ausgaben und 140 000 beschriebene Seiten später arbeiten die Autoren von „Perry Rhodan“ noch immer an ihrer Mission. Kritik musste das vermeintlich faschistoide „Groschenheft“ vor allem in den friedensbewegten Sechzigern einstecken, doch die deutschen Terraner hielten dem immer komplexer werdenden Plot die Treue. Und kauften insgesamt über eine Milliarde Hefte.
Die Bundesrepublik – unendliche Weiten: „Auf den von Menschen besiedelten Planeten der Milchstraße schreibt man das Jahr 1345 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – dies entspricht dem Jahr 4932 alter Zeitrechnung. Seit gut einem Jahr bedroht die Terminale Kolonne TRAITOR die Welten der Galaxis. Die bevorstehende Entstehung einer so genannten Negasphäre ist der Grund dafür, dass sich die gigantische Raumflotte der Chaosmächte in der Milchstraße ausbreitet. Dieser absolut lebensfeindliche Raum soll im unmittelbaren galaktischen Umfeld entstehen. Was passieren wird, kann sich noch niemand genau vorstellen. Aber die wenigen bereits bekannten Details reichen aus, um den Verantwortlichen die bedrohliche Lage vor Augen zu führen: Die Menschheitsgalaxis soll dieser kosmischen Region als ‚Ressource‘ zugeführt werden. Die meisten Völker der Milchstraße sind den TRAITOR-Truppen weit unterlegen, nur wenige wagen den Widerstand. Immerhin können die Haluter und Arkoniden ihre Raumflotten in Sicherheit bringen – alle wichtigen Planeten werden aber von Kolonnen-Forts bewacht. Nur das Innere des Solsystems und die Charon-Sternwolke sind für die Terminale Kolonne derzeit unerreichbar. Doch die Chaostruppen warten mit der nächsten Teufelei auf…“ – soweit aus dem Logbuch der größten Science-Fiction-Serie der Welt, die allwöchtentlich im badischen Rastatt erscheint. Alles klar? Angesichts der aktuellen Weltlage mag der unbedarfte Erstleser eines Perry-Rhodan-Heftes – vorausgesetzt es gelingt ihm, das kryptische Vokabular zu deuten – je nach politischer Ausrichtung an die Machenschaften eines Ahmadinedschad denken oder eines George Bush. Das Grundmuster des unendlichen Textes „Perry Rhodan“ rührt an archaische Areale. Es spielt mit Emotionen, die kaum jemandem unbekannt sein dürften: Gefahren von möglichst unerwarteter, unerhörter, unheimlicher Art drohen, ein interstellar wie auch immer humanistisch geprägtes Leben zu vernichten oder zu versklaven. Und dies zu verhindern tritt Perry Rhodan mit Gefolgschaft an – nach 45 Jahren und nunmehr 2350 Heften auf etwa 140 000 Seiten in einer geschätzten Gesamtauflage von mittlerweile mehr als sage und schreibe einer Milliarde.
Aber kann ein letztlich doch sehr simples Handlungsschema diesen Mega-Erfolg wirklich erklären? Oder anders gesprochen: Verbraucht sich der Reiz des Immergleichen nicht in aller Regel sehr schnell? Wie kommt eine „Groschenheftserie“ zu einer Lebensdauer von 45 Jahren?
Perry Rhodans Kampf gegen das Böse oder das Chaos oder das bedrohliche Andere ist gern und oft simplifiziert worden. Lange Jahre hatte Rhodan zwar einen enormen Fankreis, aber außerhalb dieses Kreises kaum Freunde. Wer über Perry Rhodan schrieb, schwang Keulen gegen Thermostrahler und warf der Serie Keulenschwingen vor. Doch „Perry Rhodan“ war schon immer komplexer als es seine Kritiker wahrhaben wollten. Auf den Vorwurf des Immergleichen bezogen: Über den Zeitraum von 45 Jahren gab es manche Veränderung, die rückblickend als Paradigmenwechsel erscheint. Der nachhaltigste erfolgte wohl, als das frühe, vom Gründungs- und Expoxe-Autor Karl-Herbert Scheer vorgegebene Credo „actio = reactio“ (oder „Auge um Auge“) im Spätsiebziger- und Frühachtziger-Friedenschaffen und unter dem vom Frankfurter Schule-Humanismus geprägten William Voltz zum quasi-hegelschen „These, Antithese, Esothese“ mutierte.
Solche und ähnliche Mutationen waren Wandlungen vor dem Hintergrund der sich wandelnden Weltlage. Als „Perry Rhodan“ 1961 mit dem „Unternehmen Stardust“ startete, einer Mondmission, die der realen Mondmission um immerhin acht Jahre vorausging, herrschte Kalter Krieg.
Für die Bundesrepublik waren die USA absoluter Bezugspunkt. Eine deutsche Science-Fiction-Serie konnte, wollte sie mehr sein als „UFOs in Fuhlsbüttel“, nur mit US-amerikanischer Legitimation auftreten. Ergo klingt der Name „Perry Rhodan“ so amerikanisch, wie das rheinisch-republikanische Bewusstsein der 50er und 60er Jahre es sich ausdenken konnte – ein Manko, das Rhodan mit seinem Kollegen Jerry Cotton teilt.
Rhodans Namensgeber, und neben Karl-Herbert Scheer der zweite Gründungsautor der Serie, hatte in den 50er Jahren nur deshalb Eingang in die Autorenszene gefunden, weil er eines seiner Bücher als Übersetzung des US-Autors Clark Darlton ausgab. Man glaubte ihm. Man fand das gut. Man wollte so etwas haben. Selbstverständlich gab es den amerikanischen Autoren Clark Darlton nur in seiner deutschen Variante, die Walter Ernsting hieß und aus Koblenz stammte und den Namen „Darlton“ seitdem nicht mehr loswurde; auch nicht, als sich das bundesrepublikanische Bewusstsein, zumindest in Teilen, lossagen wollte von seiner US-Prägung und als man Massenvernichter wie Mao einem Lyndon B. Johnson vorzog.
Der Erfolg der ersten Stunde wurde zum Fluch der folgenden Jahre: In den frühen „Perry Rhodan“-Heften gab es monumentale Raumschlachten und ziemlich viel Action. Der damals für den Handlungsrahmen zuständige Expose-Autor Karl-Herbert Scheer machte seinem Spitznamen „Handgranaten-Herbert“ alle Ehre, – weil er gigantische Kugel-Schlachtschiffe feuerorgeln ließ, bis die Seiten qualmten, und eine Kriegsmetaphorik so bildmächtig bediente wie später Bruce Willis in Hollywood.
Spätestens in der Hochphase des Vietnam-Krieges fand sich die Serie dann plötzlich in einer prekären Lage, eingezwängt zwischen Mutmaßungen, deutschnationales Gedankengut wie leicht verdauliche Weltraumnahrung zu verkaufen und nebenbei noch peinlichsten Pickelgesicht-Amerikanismus zu pflegen. In den Siebzigern, als das pseudointellektuelle Nebelwerfen mindestens so gut funktionierte wie „Handgranaten-Herberts“ Dauerfeuer, verstiegen sich die deutschen Revolutionswächter bis zum Faschismus-Vorwurf.
Kritische Zentralorgane wie „Der Spiegel“ und „Konkret“ kramten merkwürdige Thesen aus den Schubladen, um Serie wie Fans zu stigmatisieren. Zu lesen war bisswütiger Unfug a la: „Jürgen vom Scheidt, unter dem Pseudonym Thomas Landfinder selbst Herausgeber von SF-Büchern, hat in seiner Praxis SF-Freaks psychoanalytisch behandelt und dabei Defekte der seelischen Struktur seiner Patienten entdeckt, die offensichtlich typisch für das Gros der SF-Anhänger sind. Von Freuds Feststellung ausgehend, ‚der Glückliche phantasiert nie, nur der Unbefriedigte‘, stieß er auf eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, die sich durch ’seelische Zustände von Sinnlosigkeit, tiefster Verlassenheit und Isoliertheit‘ bemerkbar macht.“ (1978) Mit ein wenig angewandter Intelligenz hätte man schon damals erkennen können, dass a) Freud allenfalls noch als periodischer Umsatzbringer der Jubiläumsindustrie taugt und b) die Intelligenz von ’68 in ihrer Nachkriegsdogmatik genau jenen Duktus übernommen und in eigener Sache weiterentwickelt hatte, den sie bei ihren unmittelbaren Gegnern, den Restaurationsapologeten der Fünfziger, vorgefunden hatte.
Mit schöner Selbstverständlichkeit galt das „Groschenheft“ als „Schund“, „billig“ und „unseriös“. Das für seine Ausgewogenheit bekannte Magazin „Konkret“ hielt Perry Rhodan für einen sympathischen „Hitler aus dem Jahr 2436“. Die Menschheit trete in den Heften als „Herrenrasse“ auf und die „Dritte Macht“, wie Rhodans Imperium in den ersten Heften hieß, sei selbstredend eine kaum verhüllte Hommage an das Dritte Reich. Der blonde „Terraner“ Rhodan galt als brachialer Nazi-Siegfried, obwohl schon ein Quentchen Recherche oder einfaches Augenöffnen hätten belegen können, dass der geniale Titelbild-Illustrator Johnny Brück, der fast 1800 Hefte der Serie gestaltete, Richard Burton zum Vorbild genommen hatte, um Rhodan ein Gesicht zu geben.
Traten in den Heften „Herrenmenschen“ auf, waren es bei „Perry Rhodan“ diejenigen Mächte, gegen die er zu Felde flog. Überdies nutzten die Autoren eine Metaphorik, die beim „Herrn der Ringe“ längst sanktioniert war und durchaus auch „antifaschistisch“ hätte ausgelegt werden können – aber geschenkt. Die Kritik, das sprach sie natürlich nicht aus, richtete sich im Falle des „Spiegel“ auch gegen die direkte Konkurrenz des Bauer-Konzerns und den Pabel-Verlag, der mit seinen notorischen Landser-Heften tatsächlich militaristischen Dreck in Millionenauflage generierte. Der Bauer-Konzern hatte Pabel und den „Perry Rhodan“-Verlag Moewig 1970 übernommen. Da galt spätestens seit 1970 das Prinzip Kollektivschuld.
Offiziell gaben sich die Macher der Serie – eine Gruppe von immer ca. zehn festen Autoren um den Expose-Autor als Koordinator – unbeeindruckt von solchen Schaumschläger-Scharmützeln. Hinter der Fassade reichte die Wirkung jedoch tief. Ab Mitte der 70er Jahre, und kaum hatte er Scheer als Expose-Autor abgelöst, versuchte William Voltz das Ruder herumzureißen.
Dieser bis heute vielleicht wichtigste „Perry Rhodan“-Autor gab der Serie eine neue Ausrichtung. Frieden schaffen hieß nun die Devise. Mit immer weniger und dann bald vor allem auch immer merkwürdiger anmutenden Waffen, in immer merkwürdigeren Galaxien, im Dialog oder gebremsten Konflikt mit – genau! – immer merkwürdigeren fremden Mächten und Kulturen.
Voltz versuchte Stammleserschaft und kritischen Zeitgeist auf einen Nenner zu bringen bzw. die leidige Kritik an der Serie zu entkräften. Als die frühen Hefte in einer Edition von Silberbänden auf den Buchmarkt kamen, ging der Kotau vor den Zwängen der Political Correctness so weit, dass harte Szenen aus den Ursprungsheften getilgt oder umgeschrieben wurden. So wurden zum Beispiel das Volk der Kahals im Silberband Nummer 22 nicht wie im Original-Heftroman 214 von den Vibrationswaffen der den Planeten angreifenden Maahks ausgerottet, Voltz ließ sie friedlich aussterben. Und er schönte Weiteres. Ein merkwürdiger Schritt angesichts der Rolle, die Genozid im 20. Jahrhundert spielte und im 21. Jahrhundert wohl auch wieder spielen wird, wo sich doch die zukünftigen ausführenden Despoten schon wieder um Kontingente bemühen.
Vielleicht war William Voltz der größte Visionär der Serie. K.H. Scheer, im beschaulichen Bad Homburg zu Hause, war sicher der größere Realist, doch seine Rolle steht zur Neubewertung erst noch an. Für den Dauererfolg des Phänomens „Perry Rhodan“ legte sein Realismus jedenfalls den Grundstein: Scheer eröffnete die Serie 1961 mit einem genialen Kunstgriff. Er Heß sie im gar nicht so fernen Jahr 1971 beginnen. Innerhalb eines Technikrahmens, der den damals realen kaum überstieg – und den Horizont der Leser schon gar nicht. Diese Verankerung des Zukunftsszenarios im Hier und Jetzt hat sich später immer als Fundament der Serie erwiesen.
Als William Voltz ihr schließlich mit seinen philosophischen, auch esoterischen Gedankenspielen Mehrdimensionalität verlieh, erreichte sie als Massenphänomen ihren Höhepunkt. Das war zu Beginn der 80er Jahre. Voltz ließ die Terraner an Aphilie erkranken sie mutierten zu gefühlsarmen Wesen. Die Erde stürzte in einen Schlund. Odysseen in kaum noch vorstellbare Dimensionen taten sich auf. Rhodan versuchte in wechselnden Konstellationen interstellare Friedenspolitik zu betreiben, gründete die „Kosmische Hanse“, versuchte sich als „Ritter der Tiefe“. Die Völker der Galaxien wurden zu Spielbällen von Superintelligenzen, die da frei nach Freud oder Fantasy hießen: „ES“ oder „Kaiserin von Therm“, „Bardioc“, „THOREGON“, „Seth-Apophis“ und manchmal gar „Seelenquell“ oder „Wechselbalg“. Die Superintelligenzen wiederum fanden sich im undurchschaubaren Machtkampf von ordnenden Kosmokraten und zerstörerischen Chaotarchen. Die Voltzschen Initiationen und Inventionen, die er als Bausteine eines „Zwiebelschalen-Modells“ beschrieb, spielten immer neue Möglichkeiten von Denkweisen über die Möglichkeiten von Leben, Bewusstsein, Unendlichkeit durch.
Manchem frühen Fan allerdings war ob der aufgeblähten Zwiebelei bald schlicht zum Weinen. Für sehr viele Fans erreichte die Serie ihren inhaltlichen Höhepunkt bereits in jener Zeit, als die drei wichtigsten Autoren sich auf gleicher Augenhöhe begegneten: Scheer als Konzeptor, Voltz als Visionär und Clark Darlton als derjenige mit dem größten Gespür für Humor, griffige Handlungen, lockeren Stil. Das war im popkulturell so wichtigen Jahrdritt 1965 bis 1967 und im legendären Heft-Zyklus „Die Meister der Insel“. Danach wurden die Zeiten schwergewichtig, blümerant und esoterisch – und weil die Zeiten so wurden, konnte und wollte das Gros der Fans Voltz und seinem zunehmenden Einfluss im Heft erst einmal folgen. Als dieser 1984 dann plötzlich starb, drohte das „Imperium Rhodanum“ allerdings zu implodieren. Voltz war die Seele der Mission gewesen. Niemand stand bereit, ihn zu ersetzen. Niemand war darauf vorbereitet, obwohl sich die Serie immer schon ausgezeichnet hatte durch Autoren, die dem Typus des No-Name-Heftchenschreibers so gar nicht entsprachen.
Da gab es etwa Hans Kneifel, aus dessen Feder u.a. die Scripts zur legendären Fernsehserie „Raumschiff Orion“ stammten. Da gab es H.G. Francis, der jahrelang gleich mehrere Ebenen der Massenkultur bediente, Jugendbücher schrieb und über 600 Hörspiele der Reihen „TKKG“, „Drei Fragezeichen“ und „Fünf Freunde“ sowie diverse andere konzipierte. Der Österreicher Ernst Vlcek entwickelte Roman-Reihen wie z.B. den bekannten SF-Zyklus „Sternensaga“, bevor er bei „Perry Rhodan“ einstieg und das Schreiben nach Voltz maßgeblich mitbestimmte.
Doch der Tod von William Voltz war auch deshalb ein so einschneidendes Ereignis für die Serie, weil die Ära der unendlichen Geschichten ihren Höhepunkt zu diesem Zeitpunkt schon hinter sich hatte. Der Zenith war überschritten, und nicht von ungefähr tauchte K.H. Scheer – nach langer Abwesenheit – in den 80er Jahren wieder auf, um bis zu seinem Tod 1991 eine zweite kreative Phase als Autor zu erleben. Der Zeitgeist zwang die Serie zu einer gewissen Rückführung, und „Perry Rhodan“ wäre wohl eingestellt worden, wäre diese Operation gescheitert. Von Anfang an betrieben die Autoren „Perry Rhodan“ als Projekt mit heimlichem Untertitel, der da lauten könnte: „Die Erschaffung einer Welt“. Und von Anfang an geschah dies in engem Kontakt mit den Lesern. Noch bevor popkulturelle Phänomene feuilletonstisches Diskursfutter wurden, ging es in den „Rhodan“-Heften interaktiv zur Sache. Anstatt wöchtentlich Unikate zu produzieren, lieferte man Bausteine, die auf Leser-Kontaktseiten kommentiert wurden. Bausteine, die sich zusammenfügen und akzeptiert werden mussten. So war die Welt der Romane von je her durchzogen von Entwicklungslinien.
Die Widersprüche der so gestalteten virtuellen Welt spiegelten und spiegeln im Grunde die Widersprüche der realen. Dinge, Wesen, Charaktere aus frühen Romanen tauchen mutatis mutandis in späteren Heften wieder auf, verklammern unterschiedlichste Handlungsebenen miteinander. Man mag es nicht glauben, wenn man an einem schäbigen Bahnhofskiosk ein Heft aus billigstem Papier in die Hand nimmt: Aber so wie Jorge Luis Borges es in seiner berühmten Geschichte „Tlön, Uqbar, Orbis Tertius“ beschrieb, hat das Autorenteam um Darlton, Scheer und Voltz im Lauf der Zeit eine Welt erschaffen, die es nur als Text gibt und die in ihrer Textualität und ob ihrer Textualität ein hochkomplexes Eigenleben entwickelte. Am Anfang stand, wie gesagt, „Die Dritte Macht“. Dann beschrieb man flott ein paar technische Entwicklungsschritte, um die für spannende Handlungsentwicklung notwendige Weltraum-Exotik zu erzeugen. Bald wimmelte es in den Heften von „Antigrav-Generatoren“, „Positronengehirnen“, „Lineartriebwerken“, „Materietransmittern“, einem Mutantenkorps mit übersinnlichen Fähigkeiten, zahlreichen Raumschifftypen, zahlreichen Waffengattungen, zahlreichen Sternenvölkern in zahlreichen Erscheinungsformen
gurkenähnliche „Swoons“, tellerköpfige „Blues“, mikro-humanoide „Siganesen“, entzückende (im Merchandising-Perryversum auch in Plüschgestalt erhältliche) „Mausbiber“, echsenköpfige „Topsider“, „Schreckwürmer“, Methangas-atmende „Maahks“ und und und – und stahlschrankähnliche, felsblockfressende, gleichwohl hyperintelligente weil doppelgehirnige „Haluter“.
Um möglichst weit in die Zukunft schreiben zu können, ohne das Personal alle paar Jahre auswechseln zu müssen, gewährte man den wichtigsten Charakteren Unsterblichkeit qua Zelldusche. Später verteilte man Zellaktivatoren wie eiergroße Orden; und wer zur Elite um Rhodan gehörte, trug einen um den Hals oder um den Bauch geschnallt. Noch später – die Handys waren kleiner geworden und die Mikroindustrie immer pfiffiger – tilgte man den Anachronismus und verpflanzte den Helden Zellaktivatorchips unter die Haut. Ansonsten war die Serie ihrer Zeit immer voraus oder tummelte sich in einer Dimension, die mit dem Wort „voraus“ nur unzureichend beschrieben wäre.
Am Anfang bot die Serie knuffige, handfeste SF aus dem Typeninventar der Fünfziger – kongenial und trashig bebildert von Johnny Brück. Die Tatsache, dass die Autoren die Serie nicht bloß fortschrieben, sondern mit jedem Heft erweiterten, hatte aber letztlich jene Transmutation zur Folge, die vielleicht schon einmal sicherstellen half, dass eine Genre-Krise bei „Perry Rhodan“ nicht zur Existenzkrise führte. Das Wabern von Begriffen, Welten, Charakteren, Anschauungen hat seit den späten Siebzigern dafür gesorgt, dass „Perry Rhodan“ kaum noch das Signet reiner Science Fiction trägt, sondern in vielen Zügen Fantasy-Charakter annahm. Ein Glücksfall, denn während aktuelle Science Fiction im Markt kaum gefragt ist, geht es der Fantasy nach wie vor blendend.
Der Rhodan-Kosmos war zudem dermaßen umfangreich geworden, dass der „Held“ problemlos für mehrere Hefte abtauchen und anderen schillernden Gestalten das Feld überlassen konnte. So ist es den Autoren bisher immer gelungen, das latente Polarisierungspotential der Serie zu nutzen. Figuren wie beispielsweise der Mausbiber Gucky – von den einen als humoriger Kauz und Weltenretter mit Knuddelcharme geliebt, von anderen als Kitschfigur gehasst – sorgen für Spannung zwischen den Lesergruppen und halten den fiktionalen Rahmen weit geöffnet: von lauschig bis hyper-physikalisch.
Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die einstigen Parias akzeptiert wurden. Heute ist die Zuordnung der Heftserie „Perry Rhodan“ zum Trash kaum noch möglich, und das Signet „trivial“ will – zumal als Stigma – kaum noch haften.
Früher arbeiteten Perry-Rhodan-Autoren in einem abgeschlossenen System fern des literarischen Betriebs und seiner Nudeln. Heute pendeln Leute wie der gegenwärtige Expose-Autor Robert Feldhoff und der Titelbild-Illustrator Dirk Schulz munter zwischen den Welten. Schulz und Feldhoff haben sich als Comiczeichner/Texter-Duo etabliert – was jüngst sogar der „Spiegel“ konstatierte. Clark Darlton und der Autor Thomas Ziegler gewannen den renommierten „Kurd Laßwitz Preis für Science Fiction“. Der Autor Leo Lukas ist als Avantgarde-Jazzer und Kabarettist bekannt und veröffentlichte zusammen mit Gerhard Haderer ein spektakuläres Anti-Haider-Buch. Bekannte Literaten wie Andreas Eschbach, Gisbert Haefs oder Andreas Brandhorst outeten sich als Fans und schrieben als Gastautoren, und Kurt Beck offenbarte neulich im „Focus“, er habe immer so sein wollen wie Perry Rhodan – was er in der SPD wohl auch muss.
„Perry Rhodan“ hat so ziemlich jede vorstellbare Galaxie erobert. In einem einzigen Bereich allerdings gibt es weiterhin Nachholbedarf. Noch immer ist die Serie weitgehend Männersache. Von den bisher 35 Autoren waren nur drei Frauen, unter den 2350 Romanen ganze 127, die von Frauen geschrieben wurden und vermutlich sind 90% der Leser Männer. Vielleicht sollte man(n), um die weitere Zukunft der Serie zu sichern, Raumschlachten mal ganz anders angehen – es muss ja nicht gleich mit Stricknadeln sein.