#BackToLive-Interview mit Bookerin Julia Frank: „Ich gehe davon aus, dass die Festivals stattfinden“
Wie sehr können einem Trucks am frühen Morgen fehlen? Und wie sehr nervt es, eine Tour zum fünften Mal zu verschieben? Julia Frank weiß es. Sie ist Bookerin der Konzertagentur Wizard Promotion vermisst die Routine von Kiss und die Bühnen für Newcomer.
Wie viele Touren hast du im vergangenen Jahr durchgeführt?
Ein einziges Konzert! Ursprünglich war das mal eine richtige Tour, die auch so in den Vorverkauf ging. Drei Konzert davon wurden abgesagt, übrig blieben Berlin und Hamburg. Hamburg ging dann doch nicht, weil Die Fabrik noch in Kurzarbeit war und somit nicht aufmachen konnte. Die hatten einfach kein Personal am Start.
Ein regionaler Sonderfall killt also die überregionale Organisation?
Inzwischen ein Normalfall, die allgemeine Planungs-Unsicherheit. Seit März 2020 haben wir ständig damit zu tun. Immer und überall ändert sich etwas. Ich mache ja auch Produktionsleitung und war 2020 mit Papa Roach unterwegs. In Berlin, Hannover und Leipzig habe ich die jeweils letzte Show der Stadt gespielt. Alle dachten damals: Das sind jetzt paar Wochen, wir schieben schlimmstenfalls in den Herbst und dann geht’s weiter.
Stattdessen sind es zwei Jahre geworden. Wie habt ihr unter diesen Umständen gearbeitet?
Bei uns sind die meisten auf Kurzarbeit. Ich habe 50 Prozent gemacht, da sich jemand um all die Umbuchungen kümmern muss. Alles ist getragen vom optimistischen Gedanken, dass irgendwann etwas geht. Eine ständige Erwartungshaltung, die immer wieder enttäuscht wurde. Meine Kollege Torben hält den Agentur-internen Rekord mit der US-Band Red, deren Tour nun zum siebten Mal verlegt musste.
Wie läuft so eine Absage in der Praxis?
Ich betreue 40 bis 50 Bands, meist läuft die Abstimmung über Tour-Agenten, manchmal auch direkt mit dem Band-Management. Oft muss ich denen erklären, dass die Situation in jedem Bundesland anders ist, manchmal von Stadt zu Stadt. Stuttgart hatte damals als erste Stadt für Konzerte dicht gemacht, als woanders noch was ging. Ich muss also erklären, dass ich keine handfeste Aussage über die Situation in Deutschland machen kann. In meinem Bereich haben die europäischen Bands ihre Termine auf „grundsätzlich halten“ gesetzt. Falls kurzfristig doch noch was gehen sollte. Es gibt ja immer wieder neue Bestimmungen.
„Ich baue auf meine großen Touren mit Kiss, Judas Priest, oder Limp Bizkit später im Jahr“
So ist es zu erklären, dass auf vielen Club-Websites dutzende Tour-Termine internationaler Bands annonciert waren?
Alles lange vorher vereinbart – und jetzt halt wieder neu: Für Januar und Februar scheint es unrealistisch, ab März, April darf man wieder hoffen. Ich baue auf meine großen Touren mit Kiss, Judas Priest, oder Limp Bizkit später im Jahr. Faith No More musste ich letzte Woche absagen.
Wie gehen die Bands damit um?
Kompliziertheit hat nichts mit der Größe der Band zu tun. Kiss etwa ist ein Profi-Powerhaus! Ich bin mit denen seit 20 Jahren unterwegs; alles bestens synchronisiert, seit Jahren derselbe Manager und dasselbe Personal. Läuft total unkompliziert. Schwieriger wird es bei Bands, die nur im Sommer kommen und eher ungewöhnliche Festival-Shows spielen wollen.
Wann steigt ihr wieder richtig wieder ein?
Total unklar. Ich gehe mal davon aus, dass die Sommerfestivals stattfinden – und auch die damit verbundenen Touren. Stellt sich die Frage, in welchem Rahmen? Wir kamen ja von der Ansage: Wenn alle geimpft sind, können wir wieder aufmachen. Und nun: Alles 2G, plus Booster, dann ok? Oder doch wieder testen?
Wie sieht es in eurem Bereich mit Infrastruktur und neuen Terminen aus?
Technik wird ein Riesenproblem: Ton, Licht, Rigger, Caterer, Aufbauhelfer. Viele Securities sind in die Impfzentren gegangen und viele Techniker in die Industrie. Die werden nicht unbedingt wieder zurückkommen. Nur diejenigen, die Rock’n’Roll und Tourleben brauchen. Im Sommer müssen alle ran, Azubis und alle. Ich gehe davon aus, dass insgesamt die Kosten steigen, und ich habe die Dienstleister, wo das möglich ist, ein Jahr im Voraus gebucht. In meinem Bereich werden dann nämlich Shows aus drei Jahren in einem Sommer stattfinden. Wenn ich jetzt Touren in den Herbst schieben will, bekomme ich von den Clubs gerade mal zwei „Frei-Termine“ statt zehn wie sonst. Alles andere ist geblockt. Bei Themen, die bislang nicht so gut im Vorverkauf liefen, heißt es oft: Bitte nicht mehr verlegen, ich muss diese Termine für besser verkaufte blocken.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit Behörden oder Gesundheitsämtern?
Wir haben dafür intern eine koordinierende Person, damit nicht jeder Booker das einzeln machen muss. Zentrale Steuerung, die sich bewährt hat: Wenn was Neues kommt, gibt es für uns eine Einweisung. Schwer ist, auf dem Schirm zu haben, was gerade aktuell greift, was wir überhaupt noch machen können. Ein Beispiel: Eine Tour mit sechs Shows, fünf davon haben zwischen 40 und 50 Prozent im Vorverkauf, eine davon 90 Prozent. Wenn ich diese mit dem „Starthilfe“-Paket laufen lasse, sind die fünf quasi ausverkauft. Die eine müsste ich dann hoch verlegen, um die entsprechende verminderte Hallen-Auslastung zu gewährleisten. Greift in so einem Fall die Hilferegelung, weil diese für den ursprünglichen kleineren Club angemeldet war? Komplizierter Detailkram …
„Grundsätzlich fehlen zwei Jahre in der Entwicklung, wie bei den Kindern in der Schule“
Wie wirkt sich das aus deiner Sicht auf Bands und Newcomer aus?
Auch ohne Live-Präsenz gibt es den einen oder anderen Hype, der das Club-Level dann einfach überspringt. Ob sich das trägt, muss man sehen. Einige sind in der digitalen Präsentation sehr fit geworden, da hat sich einiges entwickelt. Doch grundsätzlich fehlen zwei Jahre in der Entwicklung, wie bei den Kindern in der Schule. Auch die erfahrenen Bands haben dann mindestens zwei Jahre Live-Pause gehabt. Das macht ja auch was mit Menschen. Gerade bei den Künstlern mit Live-Fokus.
Wie ist das bei dir selbst?
Mir fehlt am meisten, um sechs oder sieben Uhr morgens in der Halle zu stehen, Trucks losrollen lassen – und ab geht’s in die nächste Stadt!