Babelsberger Größenwahn
Als Europas teuerste Produktion in den sanierten Ufa-Studios gedreht, hat das pathetische Epos DUELL - ENEMY AT THE GATES die 51. Berlinale eröffnet
Das Auswahlgremium hatte ihn zuvor natürlich begutachtet – und dennoch für geeignet befunden. Dem Regisseur Jean-Jacques Annaud sei es „meisterhaft gelungen, ein Kapitel deutscher Geschichte zu beleuchten“, befand Moritz de Hadeln, nach 22Jahren scheidender Leiter der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Doch künstlerische Kriterien dürften es kaum gewesen sein, weshalb „Duell – Enemy At The Gates“ die 51. Berlinale eröffnen durfte. Dafür gibt es andere gute Gründe. Denn mit dem Epos vor den Kulissen von der Schlacht um Stalingrad während des Zweiten Weltkrieges feierte das Festival die Welturaufführung des bis dato teuersten europäischen Films – und damit auch den „Medienstandort Deutschland“, wie de Hadeln die Wahl schließlich auch nachdrücklich begründete. Rund 180 Millionen Mark hat das Projekt gekostet, das hauptsächlich mit deutschem Geld finanziert und zum größten Teil in Brandenburg und den Babelsberger Studios gedreht worden ist. „Von großen Massenszenen bis hin zum kleinsten Detail beweisen Annaud und die vielen deutschen Techniker aus seinem Team, dass man auch in Deutschland, das heißt Europa, in der Lage ist, solche Projekte erfolgreich in Szene zu setzen, was seit langem als Monopol der Amerikaner galt“, posaunte de Hadeln zu einer weiteren Offensive gegen die mächtige Stellung Hollywoods.
Die Propaganda hätte er sich sparen sollen. Denn die Rechnung ist schon bei der Premiere nicht aufgegangen. Zwar erschienen Annaud, Hauptdarstellerjude Law und die kaum bekannte Rachel Weisz, nicht aber die eigentlichen Stars Joseph Fiennes und Ed Harris. Und am Schluss quittierte sogar das mit deutscher Prominenz besetzte Publikum dieses vermeintliche Musterbeispiel mit verhaltenem Beifall und vereinzelten Buhrufen.
„Enemy Of The Gates“ ist ein Missverständnis, wie es auch in Hollywood vielfach produziert wird, offenbart vor allem aber auch die Irrtümer und das Dilemma des hiesigen Kinoverständnisses. Seit Verleihfirmen wie Kinowelt und Senator oder vorherige Zwergunternehmen wie Advanced und Splendid an die Börse gegangen sind, wollen sich deutschen Investoren nicht mehr als Schafsköpfe mit sogenanntem stupid money von den Amis abzocken lassen, sondern selbst mal richtig ranklotzen. Mehr als 50 heimische Kinoproduktionen werden seither jedes Jahr rausgehauen, bei denen sich schlechte Besucherzahlen und mangelnde Originalität stetig unterbieten. Als sollte nun der seit Jahrzehnten schwärende
Minderwertigkeitskomplex kompensiert werden, hat Deutschlands Filmwirtschaft schlicht Hollywood kopiert und damit auch die banalsten Fehlinterpretationen übernommen: Dass sich mit genügend Geld der Erfolg eines Films quasi kaufen lasse. 20 Millionen Mark hat das sanierte, aber weiterhin darbende Studio in Babelsberg mit „Enemy At The Gates“ umgesetzt. Und als dieser Großauftrag feststand, wurde sofort triumphierend eine internationale Pressemitteilung abgefasst, als würden nun die großen und glorreichen alten Ufa-Zeiten wieder auferstehen. Dabei haben die Amerikaner doch noch das letzte Wort gehabt Nach unbefriedigenden Testvorführungen hat die US-Produktionsfirma dem Film ein echtes Happy End verordnet Deshalb musste nur drei Wochen vor dem Festivaltermin noch nachgedreht und der neue Schluss an den alten gepappt werden. Nun kann Jude Law seine gefallene Liebe Rachel Weisz im sonnigen Lazarett doch noch in die Arme schließen.
Wie viele Kinofilme der letzten Zeit basiert „Duell – Enemy At The Gates“ auf einer wahren Begebenheit Der russische Scharfschütze Vasiliy Zaitsev hatte 1942 in zehn Tagen 40 deutsche Soldaten getötet und war von den Zeitungen zum Nationalhelden ausgerufen worden. Nach 144 – manche berichten sogar von 232 -Abschüssen erblindete er durch die Explosion einer Mine. Im Film bleibt ihm dieses Schicksal erspart. Dafür hat Annaud eine Story eingebunden, die zwar 1973 von William Craig in dem Buch „Enemy At The Gates“ dokumentiert worden ist, aber dennoch als Legende russischer Propaganda gilt: Vasiliy soll sich in Stalingrad über Wochen mit dem Scharfschützen und SS-Colonel namens Heinz Thorwald duelliert haben.
Bei Annaud wird nun Vasiliys (Jude Law) Schießbegabung vom Polit-Offizier Danilov (Joseph Fiennes) erkannt. Mit Flugblättern baut er den unbedarften, bescheidenen jungen Mann zum Vorbild auf, um so den Stolz und die Schlagkraft der demoralisierten russischen Einheiten zu stärken. Der deutsehe General Paulus (Matthias Habich) fordert daraufhin den Präzisionsschützen Major Koenig (Ed Harris) an, der das Idol erlegen solL Rein als Actionsequenzen betrachtet, ist es spannend inszeniert, wie sie durch die Trümmer robben, sich tarnen und auflauern, um dem Feind gezielt eine Kugel in den Kopf zu jagen. Aber Annaud musste diese kleine Geschichte mit einer persönlichen Tragik zu emotionaler Größe aufblasen: Der schmierige Danilov und der schüchterne Vasiliy verlieben sich in ihre jüdische Kameradin Tania (Rachel Weisz) und turteln im Frontgebiet wie Kinder im Vorgarten.
Also gibt es gleich zwei archaische Kämpfe Mann gegen Mann, wo Annaud das Massensterben „möglichst realistisch“ zeigen wollte. Erst macht er auch keinen Unterschied zwischen gut und böse, wenn die Russen eigene Leute abknallen, um sie gegen deutsche Maschinengewehre zu hetzen. Doch James Homers pathetischer Hörner-Brei verdirbt alles. Und mit dem Blick durchs Zielfernrohr verengt er die Dinge doch auf das Klischee vom blauäugigen Schäfer aus dem Ural und dem skrupellosen arischen Aristokraten mit stahlblauen Augen.