Autor mit Ausblick

Very british, indeed: Neil Hannon alias The Divine Comedy über seine Inspirationen fürs splendide Geschichtenerzählen

Eigentlich war damit nicht zu rechnen: Sein neues Album hat Neil Hannon nicht gemütlich im Stübchen. sondern im Studio aufgenommen, rasend schnell in zwei Wochen, ohne große Vorproduktion und Zeit zum Nachdenken. Dabei schien Hannon doch mit „Absent Friends“ die perfekte Arbeitsweise gefunden zu haben – voll kontrolliert, meist ohne Band-Korsett und bis ins Kleinste organisiert.

Zum besseren Verständnis muss man sagen: Die meisten Lieder auf „Victory For The Comic Muse“ hat Hannon für andere Leute geschrieben. Ein Pitch hier, ein Soundtrack da, Skizzen für Jane Birkin, Charlotte Gainsbourg und Laura Michelle Kelly – Hannon war nach der letzten Konzertreise gelangweilt und nutzte jede Gelegenheit, um sein Handwerk zu Markte zu tragen. „Plötzlich waren da 3O Lieder, die mir bei genauem Hinsehen sehr gut gefielen“, erzählt Hannon. „Ich hatte beim Auftragsschreiben aus Versehen eine andere Perspektive eingenommen und mir viele Sachen erlaubt, die mir sonst zu einfach erschienen oder vielleicht wie eine Wiederholung vorgekommen wären. Da habe ich mich entschlossen, einmal im Leben etwas Spontanes zu tun und ganz schnell eine Platte aufzunehmen.“ Auch inhaltlich hat Hannon nach eigenen Angaben den Blick nach außen gewendet; „eine Nabelschau“ sei „Absent Friends“ gewesen, sagt Hannon. Auf „Victory…“ jedenfalls taucht gleich eine ganze Reihe Charaktere auf, darunter bittere ältere Damen, schrecklich egozentrische Diven und blissfullyignorant english men.

Weil der Anlass also passt, zählt Hannon hier einige andere Charakterologen auf – Vorbilder und Sparringspartner aus Literatur und Film. Noel Coward: Hannon liest Noel Coward – was für ein Klischee! Aber nichtsdestotrotz richtig. Besonders seine „Diaries“ faszinieren mich. Coward beschreibt darin seine vielen Begegnungen mit der englischen High Society. Mich erinnert das an meine Kindheit und sozusagen mein anglo-irisches Erbe; ich stamme zwar aus dem verarmten Teil meiner Familie, aber es gab auch sehr vermögende Verwandtschaft, mit der wir gelegentlich Kontakt hatten. Ich erinnere mich an Szenen, die Cowards Beschreibungen sehr ähneln. Die Aston Martins, die Cocktails, der englische Rasen, Barbecue auf dem Landsitz, die ewige Etikette – das alles hat mich tief beeindruckt. David Niven: Niven in „Bonjour Tristesse“ – genauer kann man diese Welt nicht auf den Punkt bringen. Offene Sportwagen, wehende rote Schals an schönen Hälsen, dazu Cocktail schlürfende Frauen und jede Menge britischer Hedonismus. Ich bin besessen von diesen Bildern. Oscar Wilde: Die Menschen glauben ja immer, ich wäre besonders belesen und würde ohne einen Klassiker nicht ins Bett gehen. Tatsächlich habe ich wenig gelesen und kenne mich auch nicht besonders aus. Ist jetzt meine Karriere gefährdet?

Oscar Wilde ist nichtsdestotrotz ein Vorbild, auch wenn ich ihn als Autor nicht sehr schätze. Mich fasziniert dieses an die Kunst hingegebene Leben, diese – sicher auch tragische – Ganzheit. Mein Leben ist dagegen so profan und gar nicht gesamtkünstlerisch. Immerhin: Oscar und ich sind auf dieselbe Schule gegangen: die Portora Royal School in Enniskillen, Nordirland. Charles Dickens: Dickens, natürlich. Ich habe ja immer mal Zeilen oder auch ganze Titel von ihm gestohlen. Ich liebe seine Obsession mit grotesken Charakteren, die er ja gelegentlich zu Karikaturen stilisiert. Dickens hat diesen Kunstgriff bis ins Extreme gesteigert- bis dahin, dass seine Protagonisten ihr Wesen oder ihre Geschichte schon im Namen tragen. E.M Forster: Der Titel „Victory For A Comic Muse“ stammt aus einem Dialog in Forsters „Room With A View“ – ich komme immer wieder auf das Buch bzw. Ivorys Film zurück. Diese überhöhte Realität hat mich als Jugendlicher tief beeindruckt und sehr geprägt. Forster hat einen sehr feinen Sinn für Humor und dabei immer großes Mitgefühl für seine Protagonisten.

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