Wein, keine Zigaretten und Jean-Michel Jarre: Bei der Ausstellungseröffnung zu „Mark Fisher: Gezeichnete Show“
Im Museum für Architekturzeichnung in Berlin ist die Ausstellung „Mark Fisher: Gezeichnete Show“ noch bis zum 15. Januar 2022 zu sehen. Bei der Eröffnungsveranstaltung erzählt Jean-Michel Jarre, wie er Mick Jagger einmal mit Fidel Castro verwechselte. Schilderung eines persönlichen Eindrucks.
Am 10. September eröffnete das Museum für Architekturzeichnung in Berlin die Ausstellung „Mark Fisher: Gezeichnete Show“ – noch bis zum 16. Januar 2022 ist sie für Besucher*innen geöffnet. Zu deren Ausstellungseröffnung wurde ich eingeladen und war ebenso gespannt darauf, denn es ist das erste Mal, dass Fishers Werke in dieser Art präsentiert werden. Der Architekt und Bühnenbildner hatte unter anderem für Pink Floyd, die Rolling Stones und U2 die Bühneninszenierungen für Konzerte realisiert. Er starb 2013 in London.
Im Grunde ist „Inszenierung“ schon untertrieben, denn Mark Fisher hatte nicht nur Bühnenarchitektur entworfen, sondern die Konzerte der Top-Acts revolutioniert. Vor ihm bestanden selbst ausverkaufte Konzerte in den größten Stadien oft nur aus einer kleinen Bühne, auf der Bands oder Solokünstler*innen auftraten. Mit ihm entstanden gewaltige Inszenierungen, die aus den Live-Shows ein völlig neues Erlebnis kreierten. Davon hatte ich bis jetzt auch schon einige Male profitiert.
Ausstellungseröffnung mit Jean-Michel Jarre und Witwe Cristina Garcia
Er hat eben so manche der spektakulärsten Konzert-Inszenierungen designt, wie das legendäre Konzert von Roger Waters in Berlin, kurz nach dem Fall der Berliner Mauer. Für das „The Wall“-Konzert ließ Fisher die riesige Mauer aus weißen Backsteinen neu errichten. Aber auch für die riesige verspiegelte Zitrone bei U2s „Popmart“-Tour der späten 90er oder der „360°“-Tour-Shows der Iren zeichnete der Architekt verantwortlich.
Ebenso für die „Steel Wheels“- und „Voodoo Lounge“-Tourneen der Rolling Stones oder den Metallica-Konzerten, die aufgezeichnet und verarbeitet 2013 als „Metallica Through the Never“-Film in 3D erschienen, und noch vieles mehr. Mal lies er Mauern einreißen, mal riesige Tiere durch die Gegend fliegen. Gigantische Hämmer in Konzerthallen oder pompöse Lichtshows, die noch weit über die Stadien hinaus zu sehen waren, formten das Gesamtwerk der temporären Architektur von Mark Fisher.
Dessen bewusst putze ich mir eilig die Zähne und steige in die Metro. Ich bin auf dem Weg zu dieser Ausstellungseröffnung – und ich bin viel zu spät. Am Senefelderplatz in Berlin-Mitte komme ich an, hastig quetsche ich mir in 15 Minuten noch schnell einen halben Liter Bier und einen Burger in den Magen. Frage einen vorbeilaufenden Passanten, ob ich ihm eine Zigarette abkaufen könnte – er will mir eine schenken. Fängt schon gut an, denke ich, und laufe in Richtung des Museums für Architekturzeichnung.
Ich melde mich beim Empfang, der sich vorm Eingang in Form eines silbernen Tisches präsentiert. Eine Liste liegt darauf. Ein bisschen sieht es aus, als wenn die CDU ihr Wahlprogramm in einer Fußgängerzone vorstellt. Ich melde mich an, wir schweigen. Ich bin gerade noch pünktlich und mein Name ist einer der letzten auf dem Papier, hinter dem noch ein Häkchen fehlt.
Weil ich die Stille als unangenehm empfinde, erkläre ich, woher ich komme. Ich werde nett empfangen und allen vorgestellt. Nachdem drei mal erwähnt wird, dass Jean-Michel Jarre sicher auch bald eintreffen werde, gehen wir hoch in den ersten Ausstellungsraum. Als wir an der Weinbar vorbeigehen und sich niemand ein Glas nimmt, bleibt mir nichts anders übrig, den Weinflaschen lüstern hinterherzusehen.
Oben angekommen, ist der Raum dezent mit Planungszeichnungen und Skizzen tapeziert. Man erkennt sofort unzählige Bühnenbilder wieder. Pläne des „Million Dollar Piano“ von Elton John hängen dort, oder Teile der „Animals“-Tour von Pink Floyd, bei der Mark Fisher damals als Roadie gearbeitet hatte. Seine Witwe Cristina Garcia, die die Ausstellung mit kuratiert hat, beginnt unterdessen herzlich vom Entstehungsprozess der dargestellten Bilder zu referieren.
Behind-the-Scenes mit Bono und dem kürzlich verstorbenen Charlie Watts
Inzwischen ist man etwas unruhiger, weil Jean-Michel Jarre noch nicht da ist. Er sei extra für diese Ausstellung angereist – Jarre hatte zusammen mit Mark Fisher an diversen Projekten gearbeitet. Der Franzose ist außerdem Musiker, Komponist, Musikproduzent und sei dreimaliger „Guinness“-Weltrekordhalter für die größten Outdoor-Auftritte. Auf der eigenen Webseite wird er als „Godfather of Electronic Music“ betitelt; er ist bekanntermaßen ein Pionier in der elektronischen Musik. Sonst hätte er kaum eine Willkommens-Show für den Papst in Lyon oder Auftritte in Pekings Verbotener Stadt veranstaltet.
Dann kommt Jarre tatsächlich. Er trägt eine Sonnenbrille im fensterlosen Ausstellungsraum. Eine dunkle Jeansjacke, gelbes Shirt. Bei so viel Ehrfurcht, die so manchen im Raum die Knie wacklig werden lässt, brauche ich einen Moment, um die Situation fassen zu können.
Jean-Michel Jarre überspielt die allgemeine Aufregung gekonnt, er lässt sich davon kaum beeindrucken – er wirkt fasst etwas verlegen. Wie der coole Daddy, der in seiner Jugend viel gekifft hat und manchmal mit seiner Tochter auf Indie-Konzerte geht. Mit derselben Sanftheit erklärte er uns, dass er irgendwann mal bei einem Konzert in China von einem Kerl mit ungepflegtem, langen Bart im Backstage-Bereich angesprochen wurde. Er hätte ausgesehen wie Fidel Castro und erst beim dritten Hinschauen habe er erkannt, dass es Mick Jagger gewesen ist. Eine Anekdote „zum Schmunzeln“, Jarre verpackt sie gekonnt authentisch.
Etwas Besonderes an der Arbeit seines Freundes und Arbeitskollegen Mark Fisher war letztlich auch der Entstehungsprozess: Er hatte bis zu seinen letzten Bühneninszenierungen alles zunächst in Skizzenbüchern festgehalten und vorgezeichnet. Später erst pflegte man diese Zeichnung in Computer ein, sodass die geplante Bühne in 3D-Modellen dargestellt werden konnte. Insgesamt sollen es über hundert vollgeschriebene Bücher sein. Auch Plakate oder farbige Kreidezeichnungen sind zu sehen. All das soll etwa ein Drittel das verblieben Archivs des Architekten aus Zeichnungen und anderen Werken sein.
Ebenso besonders war das Umfeld, in dem Fisher während der meisten Konzerte zu arbeiten hatte: Da die Events größtenteils nach Sonnenuntergang stattfanden, nutzte er diese Beeinträchtigung durch die Dunkelheit für seine Kunst, anstatt sich davon beinträchtigen zu lassen. Viel Licht und große spektakuläre Formen und Figuren waren sein Fachgebiet.
Mittlerweile wird Wein ausgeschenkt und die Veranstaltung nach draußen verlagert. Ich würde mir gerne nochmal eine Zigarette schnorren, aber nicht ein Mensch raucht im Innenhof der Tchoban Foundation. Als Teilnehmer des „Festivals of Lights“ ist auch eine auf die Wand projizierte Lichtshow geplant, und nach ersten technischen Problemen des Partner-Unternehmens sind die farbigen Bilder schließlich auf der Außenfassade des Museums für Architekturzeichnung zu sehen. Spektakulär genug, um beim Vorbeilaufen für zwanzig Minuten stehen zu bleiben: So haben es gut hundert Menschen an diesem Abend getan.
Über Mark Fisher und die Ausstellung
Mark Fisher schuf Bühneninszenierungen für Pink Floyd, Lady Gaga, Janet Jackson, Jean-Michel Jarre, Elton John, Madonna, Metallica, The Rolling Stones oder U2, aber auch für Veranstaltungen im Walt Disney World oder dem Cirque du Soleil.
Die Ausstellung „Mark Fisher: Gezeichnete Show“ verfolgt erstmalig den Werdegang des Architekten als Bühnendesigner. Anhand seiner Zeichnungen und Skizzenbücher wird Fishers Beitrag für die Live-Welt im Museum für Architekturzeichnung dargestellt. Auch Videos zu den Konzerten, Bildmaterial zum Aufbau oder Besprechungen mit den auftretenden Künstler*innen sind zu sehen, wie U2 oder Charlie Watts.
Die Ausstellung „Mark Fisher: Gezeichnete Show“ ist noch bis zum 16. Januar 2022 in Berlin zu sehen – im Gebäude der Tchoban Foundation, das Museum für Architekturzeichnung am Teutoburger Platz. Tickets gibt’s ab 5 Euro, ermäßigt für 3 Euro.