Ausgerechnet die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN haben mit einer spektakulären Online-Aktion die Fans in ihre Studio-Sessions einbezogen – gegen Spende

Jetzt macht er das ja schon wieder!“ Irritiert reckt sich Blixa Bargeld ein Stück weit aus seinem Designer-Sessel, in dem der Kopf der Einstürzenden Neubauten gerade in Fahrt gekommen ist: Ohne sich um Zwischenfragen zu scheren, doziert er ausschweifend über Interaktivität, Männerbünde und das neue Album Perpetuum Mobile“, bis zu dem Moment, wo sich der Bildschirm des Hotel-Fernsehers verdunkelt: „Ich verstehe einfach nicht warum der immer wieder aussetzt“, murmelt der 44-jährige Berliner mit seltsam ratlosem Gesichtsausdruck. Auf dem TV-Gerät lief das Video eines prasselnden Kaminfeuers. Die ironisch gebrochene Erinnerung an etwas Ursprüngliches, Reines, Direktes.

Auch bei den Neubauten stand am Anfang das Feuer. Ein primitiver, hell lodernder Scheiterhaufen, genährt aus den Abfallen des vergangenen Industriezeitalters. Als hätte man Velvet Undetground in die Steinzelt versetzt und um einen Neanderthal-Mix von „Sister Ray“ gebeten. Dann die Neunziger: Während Techno und HipHop neue, radikale Statements formulierten, führten die Neubauten ihre Spektakel in Kulturtempeln auf und reisten im Auftrag des Goethe-Instituts um die Welt – oft wurde ihnen das vorgeworfen. Nicht zuletzt durch die (letztes Jahr in Freundschaft aufgekündigte) Mitgliedschaft Blixas bei den Bad Seeds und den Ausstieg von Mark Chung und FM Einheit wurden die Songs immer melodischer, melancholischer, immer mehr Artrock. Gleichzeitig entwickelte sich Blixa zur Hüte tragenden Diva.

Wenn man ihn jetzt so sitzen sieht den ehemaligen RAF-Sympathisanten und Mephisto-Darsteller —, scheint das alles endlos lange her. Blixa trägt jetzt einen dreiteiligen Business-Anzug, gutes Essen und alte Rotweine haben das verhungerte Vogelgesicht rund, weich und ein wenig müde werden lassen. Doch der Schein trügt: In begeisterten Monologen schwärmt er vom gelungenen Relaunch seiner Band. Der war schon deshalb nötig, weil die Neubauten seit ihrem letzten Album ohne Labelvertrag dastanden. Freiwillig, wie der Meister betont Mit der Webmasterin ihrer Homepage neubauten.org hatten sie dann eine Art Subskriptions-Modell entwickelt.

„Es begann mit einem Aufruf: Gebt uns 35 Dollar, und schaut zu und mischt euch ein, während wir eine Platte machen.“ Am Ende hatten 2000 Fans Geld in die Aktion gesteckt, ohne Werbung oder Presse. Dafür bekamen sie ein Album, das es nirgends zu kaufen gibt, trotz einiger Überschneidungen mit dem regulär erhältlichen „Perpetuum Mobile“. Doch was wichtiger ist – die Fans durften mitreden: „Im Studio standen drei Webcams, ein wireless Router und unsere schönen Apple-Notebooks. Schon beim ersten Spielen eines Stücks konnten wir sehen, wie die ersten Kommentare langsam herunterscroUten. Die Supporter forderten Änderungen, protestierten gegen inhaltlich falsche Texte, und wenn sie unserer Fachdiskussion über Mikrofontechnik nicht mehr folgen wollten, diskutierten sie eben über Filme.“

Die Neubauten haben als erste prominente Band begriffen, dass es heute um mehr geht als um gute oder schlechte Musik. Die Hörer wollen teilhaben. Wie bei einem Playstation-Spiel, bei einem Online-Chat oder meinetwegen auch bei „Deutschland sucht den Superstar“. „Es war, als würde man einem guten Freund einen Rough-Mix vorspielen“, sagt Bargeld. Bleibt die Frage: Wenn das alles so optimal lief, dass es bald ein zweites Online-Projekt geben wird, warum haben die Einstürzenden Neubauten trotzdem einen Vertrag bei Mute unterschrieben? „In erster Linie wegen der Logistik, die wir für eine weltweite Tour brauchen – das geht nur mit Hilfe einer Major-Firma. Finanziell gesehen haben die 2 000 Supporter uns wesentlich mehr gebracht als der Plattenvertrag.“ Ein möglicher Deal mit Sony scheiterte am Stolz: „Mark Chung ist dort inzwischen Vice oder Senior President. Wir sind zwar nicht im Streit auseinandergegangen, aber die Vorstellung, dass Mark uns jetzt unter Vertrag nimmt, fanden wir absurd.“

Der interaktive Kontakt mit den Fans hat die Neubauten jedenfalls mehr motiviert und inspiriert als jedes nur denkbare Label: Perpetuum Mobile“ ist das beste Album der Band seit 15 Jahren. Die Stücke sind keine reinen Kopfgeburten – sie machen endlich wieder Sinn. In den Texten blitzt trockener Humor auf („Selbstportrait mit Kater“), und die Musik hat wieder diesen sehnsuchtsvollen, poetischen Klang. Wenn der bisher gänzlich unterbewertete, fantastische Drummer Andrew Chudy in „Seltener Vogel“ seine Glöckchen und Röhrchen bearbeitet und es im Hintergrund raunt und raschelt, kommen wieder die alten Bilder hoch – von alterweiser Ironie gemildert Kein lodernder Scheiterhaufen, aber ein intensives, helles Kaminfeuer.

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