AUS LIEBE ZUM SPIEL

Wie ein Imperium sieht der Schuppen nicht gerade aus. Ein mittelgrosser, ein-stöckiger, schwarzer Klotz in der Nashviller Innenstadt,keinen Kilometer entfernt von der Country Music Hall of Fame und dem sogenannten Broadway, auf dem Montag morgens um elf schon armselige Troubadoure für Trinkgeld spielen und unverdrossen hoffen, dass irgendeiner sie entdeckt. Jack White wird es nicht sein, er hat anderes zu tun. Ihm gehört der schwarze Bunker mit den gelben und roten Türen: Er ist die Zentrale seines Labels, Third Man Records, in dem sich Büros, Warenlager, Studio und Plattenladen befinden. Vier Leute schauen sich dort gerade um, damit ist der kleine Store praktisch voll. Touristen in Shorts und Johnny-Cash-Shirts kommen hier ebenso vorbei wie Freaks, die eine ganz spezielle Single suchen. Die rothaarigen Verkäuferinnen, die beide komischerweise wie Schwestern von Whites Exfrau, Karen Elson, aussehen, helfen gern weiter. Sie haben auch Pins, Lollis, Kopf hörer und allen möglichen anderen Schnickschnack mit Third-Man-Logo im Angebot. Es gibt einen Fotoautomaten, eine Telefonzelle, die sich als Mini-Studio entpuppt, und eine Jukebox.

Durch die Tür, einen kleinen Gang entlang, und schon steht man vor den Büros -einem ausgestopften Kudu gegenüber, der neben einer schicken Sitzgruppe platziert wurde. Möglichweise ist es auch eine andere Antilope. Von der genaueren Betrachtung lenkt eine weitere Rothaarige mit der Frage ab, welches Getränk man wünsche. Jeder Raum ist liebevoll dekoriert und mit vielen kleinen Memorabilien ausgestattet, die schwarzen Sofas und Sessel sind gut gepolstert. Alles andere wäre eine Enttäuschung gewesen, schließlich ist Jack White gelernter Polsterer. Seinen Sinn für extravagante Innenausstattung hat er sich bewahrt. An jeder Wand hängen Tierköpfe, im „Blue Room“, dem kleinen Studio mit Bühne, sogar der eines Elefanten. Der scheint als einziger nicht echt zu sein – beruhigend.

Ungefähr zwanzig überwiegend sehr gut aussehende und entspannte Leute arbeiten hier. Als Jack White auftaucht, freut er sich erst einmal, dass die Räumlichkeiten gefallen: „I love them too!“ Sein fester Handwerkerhändedruck und die kräftige Stimme lassen ihn selbstbewusst wirken, aber nicht arrogant. Dafür lächelt er zu gern und freut sich zu offensichtlich darüber, dass er sich hier seine eigene kleine Welt geschaffen hat. Nebenbei hustet und röchelt er ein wenig – was sich als praktisch erweist, wenn er nicht direkt auf unangenehme Fragen antworten will. Über seine Fehde mit den ebenfalls in Nashville beheimateten Black Keys redet er so ungern wie über sein Privatleben. Die Scheidung von Elson ist nach fast zwei Jahren Querelen seit Ende letzten Jahres endlich durch, der Sorgerechtsstreit um die Kinder, Scarlett Teresa (8) und Henry Lee (6), beendet. Jetzt geht es wieder um Musik.

Whites zweites Soloalbum, „Lazaretto“, erscheint am 6. Juni, und statt einfacher Werbekampagnen hat der Mann wieder viel Originelleres in petto. So geht das schon, seit sich John Anthony Gillis, im Juli 1975 in Detroit geboren, mit 22 Jahren als Jack White neu erfand. Mit seiner damaligen Frau Meg gründete er die White Stripes und machte quasi im Alleingang den Blues-Rock wieder zu einer coolen Sache. Meg spielte komisch Schlagzeug, Jack sang nicht wie die klassischen Testosteron-Mucker, vor allem aber sah das Duo mit seinen konsequent rot-schwarz-weißen Outfits anders aus als alle anderen. White war das nicht genug. Er gründete 2005 mit dem Songwriterkollegen Brendan Benson die Raconteurs, 2009 mit Kills-Sängerin Alison Mosshart The Dead Weather. Im selben Jahr zog er nach Nashville um und schuf das neue Zuhause für Third Man Records. Als sich die White Stripes im Februar 2011 nach sechs Studioalben auflösten, arbeitete er schon an seinem ersten Soloalbum, „Blunderbuss“.

Seltsamerweise wirkt White gar nicht wie ein Getriebener, wie ein manischer Workaholic, sondern einfach wie einer, der so viel Spaß an seiner Arbeit hat, dass er kaum auf hören kann. Zum „Record Store Day“ am 19. April dachte er sich mal wieder etwas Besonderes aus: In 3 Stunden und 55 Minuten produzierte er die schnellste Single der Welt: Der Song „Lazaretto“ wurde vormittags live aufgenommen, mittags gepresst, nachmittags im Third-Man-Laden verkauft. In der Nacht davor war noch ein Schneidkopf kaputtgegangen, weshalb es schließlich eine Mono-Single wurde. Und das Album wird es in einer Vinyl-Version geben, die von innen nach außen abspielbar ist, wo sie in einer Endlosschleife endet -und wenn man sie statt auf 33 auf 78 oder 45 rpm laufen lässt, findet man zwei zusätzliche Lieder. Ein Hologramm ist auch noch eingebaut. Die erste Frage ergibt sich damit von selbst:

Wie kommst du auf solche Ideen?

Das passiert einfach, wenn wir zusammen rumsitzen. Vieles davon ist sicher diesem Gebäude geschuldet. Hier kommen so viele Leute vorbei, die immer wieder tolle Einfälle haben. Wir begannen ja mit diesem Gedanken: Lasst uns Sachen auf Vinyl machen, die noch nie zuvor gemacht worden sind. Bei einem 100 Jahre alten Format! Was kann da noch übrig sein? Eine Menge, wie sich herausstellte. Vieles war noch nie ausprobiert worden, und vieles davon haben wir dann gemacht – wie die mit mit Flüssigkeit gefüllte Platte (die er zum „Record Store Day“ 2012 herausbrachte) oder den Triple-Decker (bei der eine 7inch von zwei 12inches umhüllt ist, die man auf brechen muss, wenn man die 7inch hören will -Red.) oder halt die schnellste Platte der Welt.

Warum könnt Ihr solche Sachen machen und andere nicht?

Weil wir es im kleinen Rahmen produzieren. Wenn man Sony oder Warner ist, wird es schwierig: Wie kriegt man so was auf Hunderte Läden verteilt? Zum Beispiel ohne dass Wasser rausläuft? Wie verschickt man es, wie geht man mit den Beschwerden um, wenn was kaputt geht? Da haben wir größeren Labels gegenüber einen Vorteil. Außerdem darf man nicht vergessen, und das ist wohl das Wichtigste: Mit all diesen Ideen verdient man überhaupt kein Geld! (Lacht laut auf.) Null. Das würde viele Labels wohl schon abschrecken. Aber selbst wenn wir wie beim „Record Store Day“ Geld verlieren: Die Leute gehen an dem Tag nach Hause und denken an Vinyl. Hoffentlich entwickelt sich in ihrem Kopf ein Sinn für das Physische, das Mechanische an so einer Platte, und dafür lohnt es sich schon. Außerdem kommt es natürlich dem Ruf von Third Man Records zugute.

Gleichzeitig steigt dann der Druck: Deine eigenen Alben müssen sich gut verkaufen, damit der Laden weiterläuft.

Sicher. Aber das Lustige ist, dass ich gar nicht so viel darüber nachdenke. Die Leute erzählen mir immer, was für ein toller Geschäftsmann ich sei, aber ich kümmere mich fast gar nicht um das Geschäft! Das war schon bei der Polsterei so, damals in Detroit. Ich hatte mit 22 meinen eigenen Laden, und ich habe sehr früh gelernt, Geld nicht so wichtig zu nehmen -und genau dann verdient man welches! Wir machen so viel, was schlecht fürs Geschäft sein müsste, aber auf lange Sicht zahlt es sich immer aus. Es ist wie mit dieser Fernsehsendung „American Pickers“, in der Leute in Garagen und so nach Kram suchen, den sie weiterverkaufen können. In Nashville haben die auch einen Laden mit vielen coolen Sachen, aber das meiste Geld machen sie mit T-Shirts. Oft sind es die Nebenprodukte, die sich lohnen: die Schnapsgläser und Baby-Outfits und Postkarten.

Davon gibt es im Third-Man-Laden auch reichlich.

Ich liebe die alle! Wenn man irgendwohin geht, sollte man immer auch etwas als Erinnerung mitnehmen können -ob man 5 ist oder 50. Nicht so einen Touristenkram, sondern etwas Sinnvolles, das einem was bedeutet. Unser Label steht für etwas. Wir reden hier nicht nur, sondern tun etwas. Deshalb bedeutet das Zeug mit unserem Label drauf auch mehr als ein ,,I went to Paris“-Beutel oder ein Becher mit einer britischen Flagge oder so.

„Etwas tun“ ist eine wenig untertrieben. 45 Alben hat Jack White schon produziert, mehr als 250 Platten sind inzwischen auf Third Man veröffentlicht worden – der Label-Slogan lautet „Your turntable’s not dead“. Das Zugpferd des Unternehmens ist freilich immer noch der bleiche Besitzer selbst, „Blunderbuss“ war immerhin Nummer eins in den US-Charts. Trotzdem besteht er darauf, dass Erfolg „schön, aber auch nicht mehr“ sei, auch Grammys (er hat acht) oder MTV-Awards (sechs) bedeuten ihm eher wenig. Er zählt schnell all seine Idole auf, die nie viele Platten verkauft oder Preise bekommen haben: MC5, die Stooges, Velvet Underground. Und wann hat man schon mal Jimi Hendrix oder Bob Dylan in den Top Ten gesehen? Nein, darauf komme es ihm nicht an, geliebt werden wolle er allerdings schon. Aber aus den richtigen Gründen.

Wie erklärst du dir selbst deinen Erfolg?

Ich mache einfach Sachen, die ich gut finde. Aber wenn man sie dann veröffentlicht, kommt es natürlich immer darauf an, wie Strömungen, Erwartungen und Zeitgeist gerade zusammenspielen. Man ist ja immer ein Opfer der Vorurteile – aber ich liebe es, mit diesen Vorurteilen zu spielen. Oft denken die Leute: So, jetzt rutscht er aus, jetzt hat er einen Fehler gemacht! Aber vielleicht habe ich dann nur versucht zu zeigen, dass man keine vorgefassten Meinungen über mich haben sollte. 2011 habe ich mit Insane Clown Posse „Lick My Ass“ produziert, eine Coverversion von Mozarts Kanon „Leck mich im Arsch“. Mit so einem Projekt kann man doch beweisen, dass die Sichtweise alles entweder glorifizieren oder zerstören kann. Warum schimpft man auf ICP und bewundert Mozart? Warum kommt der damit durch und die nicht? Denkt mal drüber nach!

Im Showbiz muss man immer daran arbeiten,wie man wahrgenommen wird, auf gewisse Weise auch die Leute manipulieren. Man hat keine andere Wahl. Auch Musiker, die sagen: „Hey, ich trage nur Jeans und T-Shirt auf der Bühne, darin habe ich letzte Nacht auch geschlafen, so bin ich halt“, wollen damit nur den Leuten weismachen, dass sie ganz normale Typen sind. Aber man ist kein normaler Typ, wenn man auf dem Cover des ROLLING STONE ist. Man kreiert etwas, man hat keinen Nine-to-five-Job, man mäht nicht den Rasen. Man macht etwas, das von den Massen konsumiert wird. Natürlich kann auch ein Gärtner wunderschöne Sachen machen, aber seine Hecke schauen vielleicht ein Dutzend Leute an. Die Leute, die wir auf ein Podest heben wollen, sind immer eher die, die mit Kunst zu tun haben. Oder mit der Liebe. Es ist eine bizarre Welt. Und ich rede zu viel.

Eine Überraschung für viele, die vor allem dein Stilbewusstsein lieben, ist sicher, dass du zum Beispiel Tom Morello so schätzt -nicht gerade ein Hipster-Typ.

(Lacht laut auf.) Sogar damals, als er mit Rage Against The Machine so populär war, haben die Leute gar nicht richtig erkannt, was für ein origineller Gitarrist der Typ ist. Wie borniert! Die Leute reden immer von Originalität, aber keiner tat, was Tom Morello damals tat! Er ließ die E-Gitarre klingen wie eine kaputte Platte oder wie einen Sythesizer oder was weiß ich. Das war ein riesengroßer Schritt, und mich hat er damit extrem beeinflusst.

Du hast schon 45 Alben produziert. Könntest du alle aufzählen?

Wahrscheinlich mindestens die Hälfte. Aber bitte zwing mich nicht dazu! Für mich sind die Alben wie Zeitkaspeln: Wenn man sie später wieder mal rauszieht, erinnert man sich an viele kleine Momente und freut sich über das, was man geschaffen hat.

Gerade hat Neil Young sein Covers-Album „A Letter Home“ hier aufgenommen. War das für dich noch etwas Besonderes?

Man muss das aus verschiedenen Perspektiven sehen. Für einen Teil meines Gehirns ist es genau dasselbe, wie wenn ich jemanden produziere, den keiner kennt und der zehn Fans hat. Oder wie wenn ich meine eigenen Alben produziere. Ich will einfach immer, dass es so gut wie möglich wird. Manchmal muss man den Musikern dann etwas sagen, das ihnen nicht gefällt, das ist ein harter Job, aber ich liebe die Herausforderung. Ich arbeite besonders gern mit Leuten, die schon 70,80 sind -Jerry Lee Lewis, Loretta Lynn, Wanda Jackson und so weiter. Sie gehen anders an Musik heran. Und zu spüren, wie sehr die Musik Neil Young berührt, wie persönlich und genau er alles nimmt – er überlegt sich alles ganz genau, etwa wie er die Texte singt, damit sie bei den Hörern ankommen -, das war schon faszinierend.

Wenn du mit jemandem arbeitest, geht es dann nur um das Talent, oder muss es auch persönlich passen?

Mir ist ein liebenswürdiger Mensch, der nicht so toll spielt, lieber als einer, der viel kann, aber nicht nett ist. Das ist das Entscheidende. Mich zieht’s auch immer wieder zu Leuten hin, die keine klassische Ausbildung haben. Lillie Mae Rische zum Beispiel -als wir zum ersten Mal im Studio waren, sagte ich: „Das ist ein F, und dann ein C, dann ein a-Moll.“ Und sie erwiderte: „Sorry, ich kann keine Noten!“ Worauf ich sagte: „Ich liebe dich! Lass uns weitermachen.“ Ich selbst weiß recht viel über Musik und das Arrangieren, über Harmonien und Tonarten und so, aber ich verfolge das nicht hundertprozentig. Man muss auch aufpassen, dass es nicht zu mathematisch wird. Notenblätter sind nicht mein Ding, dazu stehe ich mit einem Bein auch noch zu sehr auf Seiten der Punk-Ästhetik, dem Do-it-yourself-Ding. Wenn ich Gitarrensoli spiele, weiß ich nicht, welche Noten ich da gerade spiele. Ich weiß aber, in welcher Tonart ich spiele, das immerhin schon. Ich weiß gerade genug.

Wie viel hast du denn mit der lokalen Country-Szene zu tun?

Die Session-Musiker respektiere ich sehr. In Detroit musste man richtig nach Leuten suchen, mit denen man arbeiten konnte. Hier sagt man: Ich brauche jemanden, der Cello spielt, und schon steht einer vor der Tür. Jeder kennt immer einen, der einen kennt. Unsere Third-Man-Records-Familie ist im Laufe der Zeit riesengroß geworden, das ist wunderbar.

Was bedeutet dir Nashville heute?

Ich habe mich vom ersten Tag an hier wohlgefühlt. Nach drei Jahren habe ich überlegt, ob ich hier ein Studio haben will – und ich wusste: Wenn ich all die Arbeit reinstecke, dann ist klar, dass ich mein Leben lang hier bleibe. Also habe ich das Studio gebaut und ein Jahr später dann Third Man Records gegründet. Jetzt kann ich nicht mehr weg! Aber in den neun Jahren, die ich jetzt hier bin, habe ich es nie bereut. Es ist mein Zuhause. Und viele Bekannte sind inzwischen hierhergezogen. Seit Third Man Records da ist, hat sich einiges verändert. Nashville ist jetzt viel mehr als nur Country, es gibt viele neue Ideen. Die Musikszene hat sich ausgedehnt, die Stadt wird plötzlich als cool wahrgenommen, und das hat viel mit der Präsenz dieses Gebäudes zu tun.

Kannst du hier ungestört rumlaufen?

Die Leute sind auf jeden Fall viel höflicher als in anderen Gegenden Amerikas. Die Südstaaten-Gastfreundschaft ist kein Mythos. Wenn sie dich hier um etwas bitten, dann sehr nett, aber meistens werde ich sowieso in Ruhe gelassen.

Allerdings fährt die örtliche „Homes Of The Stars“-Sightseeing-Tour auch an deinem Haus vorbei.

Klar. Das ist schon seltsam, zumal man durch die Hecke kaum mehr als das Dach sehen kann. Aber das gehört zur Geschichte Nashvilles, dieser Star-Kram. In Los Angeles ist es ja auch nicht anders.

Ist die Stadt groß genug, um Leuten aus dem Weg zu gehen -den Black Keys zum Beispiel?

Ach. (Kurze Pause.) Die Stadt hat sich ja sehr verändert in letzter Zeit. Als ich hierherzog, gingen die Leute kaum essen. Da dachte ich: Wow, das ist wirklich eine Kleinstadt! Ich war es ja gewohnt, in Restaurants zu gehen, weil ich nicht koche. Aber jetzt öffnet jede Woche ein neues Lokal, und man fragt sich schon, wo all die Gäste herkommen, damit sich das rentiert. Aber die Leute sind jetzt aufgeschlossener, und deshalb kommt einem die Stadt größer vor, als sie es in Wirklichkeit ist. Es ist genug Platz für alle.

Lazaretto“, so steht es in seinem ziemlich lustigen Infoschreiben, sei eine genrelose Mischung aus „Rock & Roll, HipHop, Bluegrass, Jazz, Punk, Rockabilly, Funk, Psychedelia, Dubstep, Grunge, Tripwreck, Grindcore, Metal, Electroclash-Garage-Rock, R &B, Disco, Country, Big Band, Flip-Out, Easy Listening, Balladeering, House, Folk, Jump-Blues, Scat, Jungle, Synth-Pop, Intrumental, Richter, Hardcore, Bebop, Gospel und Blues“, was natürlich Quatsch ist, aber schön darauf hinweist, dass Jack White -wie fast alle Musiker -keine Einordnungen mag. Deshalb darf die bereits erwähnte Lillie Mae Rische bei „Temporary Ground“ nicht nur mitsingen, sondern auch wunderschön Fiddle spielen; anderswo dominieren Pedal-Steel oder Mandoline. Doch White bringt mit seiner Gitarre immer wieder den Blues zurück, und Rock kommt ebenfalls nicht zu kurz. Er probiert einfach aus, was geht.

Richtig nah heran lässt er seine Hörer dabei nie. Er lehnt es ab, in seinen Songtexten zu viel von sich selbst zu verraten, Autobiografisches langweilt ihn. Man muss schon zwischen den kryptischen Zeilen lesen. Im Titelsong singt er: „Even God herself has fewer plans than me/But she never helps me out with my scams/She tells me every day, ,Jack, don’t you see?’/ When I say nothing I say everything.“ Einsamkeit oder Freiheit, Abenteuer oder Liebe, Gott oder Geister – die Personen auf „Lazaretto“ stehen vor allen möglichen Herausforderungen, und in „Want And Able“ fragt einer am Ende schon leicht verzweifelt: „Who is the who that is telling who/Just what to do?“

Die Lyrics stellten White diesmal vor ein besonderes Problem. Die Hälfte der Musik auf „Lazaretto“ hatte er schon während der letzten Welttournee geschrieben, mit dem Texten fing er erst acht, neun Monate später an. Plötzlich kamen ihm die Melodien „so weit weg“ vor. Also probierte er eine Technik, die er gelernt hatte, als er Danger Mouse bei dessen Album „Rome“ aushalf: Er tat einfach so, als wären es gar nicht seine eigenen Songs, und versuchte sich ganz neu in sie hineinzuversetzen. Beschwerlich sei das gewesen, sagt er seufzend, aber es habe funktioniert.

Bei „Blunderbuss“ gab es ja nicht wenige Leute, die deine Texte etwas gemein fanden, wenn nicht gar frauenfeindlich.

Ich glaube, es handelt sich da um ein großes Missverständnis. Ich bin nicht Taylor Swift oder John Mayer, ich schreibe keine Lieder über mich selbst und predige der Welt etwas vor. Ich schreibe nicht über Leute, die ich kenne oder mit denen ich ausgehe. Ich nehme fälschlicherweise immer an, dass die Leute die Personalpronomen ‚er‘,’sie‘ oder ‚ich‘ nicht für bare Münze nehmen, das habe ich noch nie gemacht. Wenn ich einen Velvet-Underground-Song höre und Lou Reed „she“ singt, dann kann doch genauso gut er selbst gemeint sein. Ich bin immer geschockt, dass die Leute im Jahr 2014 noch glauben, wenn ich „ich“ singe, ginge es um mich. Wow, really? Diesmal habe ich, um es ganz deutlich zu machen, Gott in einem Song als weiblich beschrieben und im nächsten als männlich. Und jetzt? Was sagt ihr jetzt?(lacht)

Aber was Frauen betrift: Findet doch erst mal jemanden im Musikgeschäft, der mit mehr Frauen zusammengearbeitet hat als ich! Ich könnte diesen ganzen Raum tapezieren mit Bildern von den Frauen, mit denen ich Musik gemacht habe. Ich verehre und respektiere Frauen, und ich habe immer darum gekämpft, dass mehr Musikerinnen sich in den Vordergrund stellen, weil sie auf der Bühne so viel Kraft haben -sie haben einen geheimen Vorteil, den Männer nicht haben. When they hit a home run, it’s a grand slam. Ich habe Frauen immer ermutigt. An diesem Album hast du für deine Verhältnisse sehr lange gearbeitet: eineinhalb Jahre. Warum? Ich hatte eine bewusste Entscheidung getroffen. Ich wollte das letzte Jahr so weit wie möglich freinehmen, für meine Kinder. Für „Blunderbuss“ haben wir ja sehr viel gearbeitet, ich war mit zwei Bands auf Welttournee. Danach brauchte ich eine Pause, und ich habe nur hin und wieder was gemacht. Am Ende waren es sogar fast zwei Jahre -so viel Zeit hatte ich mir noch nie genommen. Und werde ich wohl auch nicht wieder. Ich glaube, ich arbeite so nicht am besten. Meine Geduld wurde doch sehr strapaziert, auch wenn ich jetzt auf das Resultat stolz bin. Einige Songs hatte ich irgendwann einfach satt. Ich dachte manchmal: Wenn ich den noch einmal höre, drehe ich durch! Wie arbeiten Leute so? Wie atmen die? Du hältst dich nie lange mit Aufnahmen auf, obwohl du in deinem eigenen Studio ewig rumdaddeln könntest. Woher weißt du, wann es reicht? I’m the king of stopping! Mein ganzes erwachsenes Leben lang predige ich den Leuten schon, dass das überhaupt das Allerwichtigste ist: wissen, wann man auf hören muss. Deshalb liebe ich Deadlines. Bereust du manche schnelle Entscheidung später? Oh ja. Man bereut dauernd irgendwas. Ach, dieses Schlagzeug hätte lauter sein müssen! Ach, dieser Gesang hätte noch Hall gebraucht! Aber Greg Cartwright, der mal bei einer Band namens The Oblivians war, hat mal gesagt: Es gibt keine schlecht produzierten oder schlecht gemischten Songs, es gibt nur schlechte Songs. Und er hat recht. Der Klang von „Louie Louie“ zum Beispiel ist großer Mist, aber das Lied ist wunderbar und wäre wahrscheinlich auch mit einem besseren Mix gar nicht besser geworden.

Du produzierst deine Alben auch selbst. Von wem lässt du dich denn überhaupt beraten?

Ich spiele die Lieder gern Kindern vor. An deren Reaktion sieht man sofort, ob die Songs etwas taugen. Die lügen nicht. Wenn ich mit meinen Kindern ins Auto steige und sie verlangen einen bestimmten Song, dann weiß ich: Das ist ein gutes Zeichen! Es ist überhaupt so: Wenn man irgendwem -einem Fremden oder sogar jemandem, der Musik gar nicht mag -etwas vorspielt, hört man sofort all die kleinen Fehler. Einfach weil jemand anderes im Raum ist. Plötzlich denkt man: Oh Gott, ich muss den Chorus ändern, der geht gar nicht. Danke, dass du hier rumstehst! Sonst hätte ich es nicht gemerkt.

Welche neuen Lieder mögen deine Kinder denn?

Henry mag am liebsten „Lazaretto“, das er „Razaretto“ nennt. Und Scarlett steht eher auf die Piano-Sachen, sie mag’s etwas ruhiger.

Hast du neben der Musik überhaupt noch Zeit für anderes?

Ja klar, ich schaue Filme und lese viel, aber die meiste Zeit verbringe ich sicher mit meinen Kindern. Das ist die beste Freizeit, die ich in meinem Leben je hatte. Die erfüllendste. Ich wünschte, sie würden niemals älter werden! Obwohl es auch schön ist zu sehen, dass sie auf immer mehr Dinge ansprechen, die ich mit ihnen teile. Ich freue mich jetzt schon darauf, mit ihnen „The Shining“ zu gucken, wenn sie Teenager sind. They are the gift that keeps on giving.

Auf dem neuen Album tauchen immer wieder Geister auf. Warum?

Ich habe das Wort schon immer gern benutzt. Früher, zur Zeit des „Get Behind Me Satan“-Albums, hatte es noch eine andere Bedeutung für mich. Damals ging es um Freunde, von denen ich das Gefühl hatte, dass sie mich verlassen hatten. Die ich nie wieder sehen würde, die zu Geistern wurden, an die ich aber immer noch jeden Tag dachte. Die Wörter ’spirit‘ oder ,soul‘ hätten da nicht gepasst, nur das Wort ,ghost‘. Lustigerweise habe ich in den letzten Jahren aufgehört, an Geister zu glauben. Früher habe ich richtig daran geglaubt -an Häuser, in denen es spukt, und so weiter. Das ließ irgendwann nach, und jetzt finde ich es geradezu lächerlich.

Eine Zeile wie „I’m getting better at becoming a ghost“ hat für mich verschiedene Bedeutungen: Bereitet sich da jemand aufs Sterben vor? Oder lernt er nur, vor anderen Menschen ein Anderer, ein Schwindler zu sein? Oder verschwindet er einfach? Ich glaube immer noch, dass jeder eine Seele hat, aber nicht an Geister, die hier gefangen sein könnten. Das würde Gott doch keinem Menschen antun.

Bevor es noch esoterisch wird, zurück zum Irdischen: Es ist Zeit für das Fotoshooting. In eben dem „Blue Room“, in dem wenige Tage zuvor ein kleines Publikum dem Weltrekordversuch beiwohnen durfte, ist jetzt die Bühne verwaist, nur eine einsame Gretsch-Gitarre steht herum. Bevor es losgeht, klampft White noch ein bisschen zur Hintergrundmusik (The Staple Singers) und behält dann das vom Assistenten geborgte Plektrum: „Das ist toll, so dick in der Mitte.“ Er diskutiert mit Third-Man-Mitbegründer Ben Swank über ein neues Restaurant, scheint da allerdings nicht sonderlich anspruchsvoll zu sein: „Steak is steak, right?“ Wieder dieses laute, leicht meckernde Lachen. Jack White wirkt tatsächlich so entspannt wie nie. Vielleicht kann er gerade deshalb jetzt mal loslassen, weil er sein Leben inzwischen so gut unter Kontrolle hat -wie übrigens auch seine Haare, die er im herbeigebrachten Spiegel regelmäßig überprüft. Er hasse Stil ohne Substanz, hat er schon oft zu Protokoll gegeben, aber das heißt ja nicht, dass man sich keine Mühe geben sollte. Wie er seinen Teint in den sonnigen Südstaaten so weiß erhält, bleibt sein Geheimnis. Wahrscheinlich hat er kaum Zeit rauszugehen. Ein kurzer Blick in die Zukunft noch:

Wie entscheidest du, was du machst und was nicht?

Der Mist ist: Ich sage oft zu diesen richtig großen Produktionen Nein, die Nummer-eins-Alben sein könnten und mir viel Geld und Aufmerksamkeit einbringen würden. Manchmal denke ich jetzt, ich sollte demnächst auch mal Ja sagen. Damit könnte ich viel von dem anderen Kram bezahlen, den ich gern mache. Vielleicht werde ich das im nächsten Jahrzehnt mal tun. Aber ich schieße immer aus der Hüfte und höre auf mein Bauchgefühl. Wenn mich etwas potenziell Supererfolgreiches nicht sofort anspricht, dann sage ich ab, weil ich lieber mit Wanda Jackson arbeite. Weniger Verkäufe, aber mehr Stimulation. Und durch Wanda habe ich zum Beispiel viele Musiker gefunden, die jetzt bei meinen Soloalben dabei sind. Ich kann mich überhaupt an keine Platte erinnern, an der ich mitgearbeitet habe, die mir nicht etwas für mein nächstes Album mitgegeben hätte. Zum Glück!

Wie viele Kompromisse muss man machen? Es kann dir doch nicht wirklich Spaß machen, beim Glastonbury-Festival aufzutreten. Ertappt. Ich hasse Festivals. Ich hasse sie einfach. Aber sie machen einem Angebote, die man nicht ablehnen kann. Und plötzlich plane ich mein ganzes Jahr rund um diese doofen Festivals. Ich will nicht rumjammern deshalb, aber ich sehe es so: Elektrische Musik unter freiem Himmel ist seltsam. Ich kann das auch nicht so gut -ich spiele nicht jeden Abend das Gleiche und rufe: „Great to see you, have a good night!“ So ein Typ bin ich nicht, deshalb passe ich da nicht richtig hin.

Wie geht es nach der Tour 2014 weiter?

Ich habe so viel vor, ich weiß es noch gar nicht genau. Ich muss auch erst mal schauen, wie die Tournee läuft. Am Ende der „Blunderbuss“-Tour hatte ich die Menschenmengen ziemlich satt. Und ich habe eine Theorie entwickelt, warum sie so energielos wirkten: weil sie alle Telefone in der Hand haben! Deshalb können sie nicht mehr klatschen. Die Hälfte der Zuschauer schreibt SMSen, wenn sie eigentlich klatschen sollten. In Schottland war ich richtig schockiert, wie ruhig die Leute waren. Wenn das in Zukunft immer so ist, dann kann ich das vielleicht nicht mehr machen. Ich habe ja keine strikte Setlist und entscheide immer erst anhand der Publikumsreaktion, was ich als Nächstes spiele -was Lautes, was Akustisches, Piano oder Gitarre. Aber ohne Reaktion ist das schwer. Es geht nicht um Bewunderung oder Aufmerksamkeit, sondern um die Energie, die man austauscht -die brauche ich, sonst stehe ich doch da wie ein Komiker, bei dem keiner lacht.

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