Aus dem Nichts
So sieht also die grosse Hoffnung der Briten aus? Genau so. Von Damon Albarn bis Noel Gallagher lieben alle den 18-jährigen Jake Bugg. Er kennt die Welt vielleicht noch nicht, aber seinen Sound hat er schon gefunden – zwischen Folk und Pop, Sixties und Jetzt. Der Senkrechtstarter gewährt uns einen Blick in sein leben – von A bis Z
Jake Bugg steht auf dem Daches Universal-Hochhauses und blickt auf Berlin. Er ist nicht beeindruckt. „Nice“, murmelt er und zieht dann wieder hastig an seiner Zigarette. Nicht mal zum Rauchen hat er momentan genug Zeit – der 18-jährige Singer/ Songwriter muss sehr viele Interviews geben. Seit sein Debütalbum „Jake Bugg“ im vergangenen Herbst auf Platz eins der britischen Charts stand, ist nichts mehr, wie es war für den Jungen aus Nottingham, der immer noch ein Milchgesicht hat, aber voller Selbstbewusstsein von seiner Musik spricht. Es ist allerdings nicht die arrogante Großmäuligkeit, wie man sie sonst vom Britpop kennt, eher eine stolze Gelassenheit. Bugg hat noch viel mehr vor als hinter sich. Doch was ist das eigentlich für ein Typ, von dem plötzlich alle schwärmen – von Noel Gallagher und Damon Albarn bis Michael Kiwanuka und Jools Holland? Wir nähern uns dem Phänomen in 26 Schritten – von seinen Anfängen bis zu den rosigen Zukunftsaussichten.
Anfänge
„Mein Onkel hat mir eines Tages eine Gitarre mitgebracht und mir ein paar Akkorde gezeigt. Mir war sowieso langweilig, also habe ich einige Lieder gelernt. Mit 14 fing ich dann an, eigene Stücke zu schreiben – vor allem, weil ich gemerkt habe, dass all die Musiker, die ich mochte, auch eigenes Material hatten.
Mit 15 bin ich schon in verschiedenen Kneipen in meiner Heimat aufgetreten, in Nottingham und Umgebung. Mit 17 der Plattenvertrag, und dann habe ich das Album aufgenommen. Und jetzt sitze ich hier. (schaut sich um und grinst verlegen) Ich hatte kein Sicherheitsnetz, keinen Plan B. Ich hätte nie gedacht, dass ich tatsächlich so eine Chance bekomme, aber es gab einfach nichts anderes, was ich machen wollte. Deshalb bin ich jetzt sehr dankbar.“
Bildung
„Überraschenderweise haben die Leute um mich herum nicht gesagt:, Lern doch erst mal was Anständiges!‘ Meine Freunde sind jetzt auch nicht neidisch oder so, sondern freuen sich, dass ich es geschafft habe. Dass ich meinen Traum leben kann – das zeigt ihnen, dass es eben doch möglich ist. Sie können dasselbe machen.“
Country
„Ich höre schon ein bisschen Country in meinen Songs – und ein bisschen Folk, ein bisschen Blues, was auch immer. Ich picke mir gern hier und da ein paar Ideen raus – aus verschiedenen Genres, von verschiedenen Künstlern – und baue sie bei meiner Musik ein. Ob das Popmusik ist? Ach, die Beatles nannte man auch Pop – aber an ihrer Musik ist nichts Vergängliches, nichts von dem, was heute Pop genannt wird. Ich glaube, Pop ist ein Missverständnis.“
Dylan, Bob
„Er ist natürlich ein großer Held, aber andere Leute haben mich mehr beeinflusst – Donovan, Don McLean, Jimi Hendrix, Johnny Cash.“
Erstes Album
„Als ich ins Studio ging, hatte ich schon ziemlich viele Songs parat – also keinen Grund zur Panik. Das Label hat mich im Großen und Ganzen in Ruhe mein Ding durchziehen lassen. Ich war nicht in Eile, das konnte sich ganz natürlich entwickeln.“
Festivals
„Mit 17 habe ich beim Glastonbury gespielt. Das war fantastisch – obwohl ich den Schlamm bescheuert fand. Hatte keine Gummistiefel dabei. Und einen Sonnenbrand bekam ich auch. Bin vielleicht kein Festival-Typ. Aber natürlich haben dort schon alle Leute gespielt, die ich bewundere, also will ich mich nicht beschweren. Außer über den Schlamm.“
Gallagher, Noel
„Ich bewundere Noel als Songschreiber, er hat einige sensationelle Alben gemacht. Manchmal muss ich mich schon zwicken, wenn ich höre, dass solche Leute mich mögen. Dass sie sich überhaupt für meine Musik interessieren, finde ich schon surreal. Aber natürlich auch toll.“
Haare
„Beim Britpop wurde immer ein großes Gewese um die Frisuren gemacht. Ich weiß nicht, ob das heute noch wichtig ist. Ich schneide meine Haare einfach, wenn sie nerven, und mache mir keine weiteren Gedanken. Ich finde es wichtiger, dass man regelmäßig duscht.“
iTunes vs. record stores
„Ich liebe Plattenläden. Natürlich suche ich auch auf iTunes nach Kram, den ich noch brauche, aber hin und wieder will ich was in der Hand halten. Allerdings stehen jetzt in jedem Plattenladen meine Alben, das irritiert mich. So oft gehe ich jetzt nicht mehr hin.“
Jeans
„Immer gut. Klamotten sind nicht so wichtig, wichtig ist nur: Man sollte nicht wie ein Idiot aussehen. Und sich wohlfühlen, sonst macht’s keinen Spaß.“
Konzerte
„Auf der Bühne fühle ich mich zu Hause. Ich liebe es, aufzutreten und zu singen. Die Menschen zu sehen und wie sie auf meine Musik reagieren. Da zahlt sich dann aus, dass man so lange daran gearbeitet hat. Es ist ein erstaunliches Gefühl, wenn man angejubelt wird. Wir sind auf der Bühne ja nur zu dritt – ich, ein Drummer und ein Bassist. Da kann immer was schiefgehen, aber es macht mir nichts aus, mal abzufucken. Die Tournee als Support von Noel hat mir enorm viel Selbstbewusstsein gegeben. Selbst wenn ich vorher noch nervös bin, hört das vor dem Mikrofon sofort auf. Ob 10 000 Zuschauer da sind oder 50, ist mir komplett egal. Hinter den ersten fünf Reihen sehen sowieso alle gleich aus, das macht dann keinen Unterschied mehr.“
Liebe
„Liebe ist so ein Klischee-Thema, oder? Es ist ja wohl das Thema, über das die allermeisten Lieder geschrieben werden. Wenn man über Liebe singen und dabei wirkliche, echte Gefühle vermitteln will, wenn man seine Seele reinpackt, dann kann es das Allerschönste sein – und sehr leicht. Aber eben nur, wenn man etwas zu erzählen hat. Wenn man bloß die 08/15-Phrasen bringt, sollte man es lieber gleich lassen.“
Musikmagazine
„Ich fasse lieber keine Musikmagazine an. Wenn man anfängt, das alles zu glauben, was da über einen steht, dann wird man vielleicht noch verrückt. Manchmal, wenn es nicht um mich geht, sondern zum Beispiel um meine Gitarren, dann lese ich das gern – hin und wieder erfahre ich sogar noch etwas Neues. Aber der andere Kram verwirrt einen nur. Am Anfang habe ich noch Rezensionen gelesen, gerade nach meinen ersten Konzerten. Die Vorstellung, dass Leute sich extra die Zeit nehmen, um über meine Musik nachzudenken, ist ja auch inspirierend. Aber irgendwann wurde es mir zu viel. Meine Eltern können den Kram sammeln, Eltern dürfen so was. Ich blättere lieber weiter, sobald ich meine Fresse sehe.“
Nummer eins
„Ich hätte nicht mal gedacht, dass ich es in die Top 40 schaffen könnte. Aber ein Nummer-eins-Album? Verrückt, oder? Ich hoffe, es liegt daran, dass meine Songs den Leuten etwas bedeuten, dass sie sich damit identifizieren. Dass sie gemerkt haben, dass ich es ehrlich meine. Na ja, mein hübsches Gesicht wird es schon nicht sein.“ (lacht)
Ohnmacht
„Ein paar Mädchen sind schon umgefallen, aber es hat noch keine Justin-Bieber-Ausmaße angenommen. Die letzten Konzerte waren ein bisschen verrückt – was ich ganz wunderbar finde. Ich komme damit klar.“
Plattenfirma
„Eins habe ich gelernt: Sobald man ein gutes Angebot hat, kann man von anderen Plattenfirmen noch bessere Angebote bekommen – so entsteht ein massiver Wettbewerb. Aber will man das? Ich nicht. Ich habe mich für das Label entschieden, das sich zuerst für mich entschieden hat. Sie wollten das Risiko eingehen, sie glaubten an mich. Ohne großen Deal hat man auch weniger Druck, man kann sein eigenes Tempo weitergehen – und am Ende ist es so besser für alle Beteiligten.“
Querulant
„Man muss jetzt dauernd nein sagen, das gehört zum Geschäft. Man bekommt die seltsamsten Sachen angeboten, auch sehr viel Geld. Aber will ich wirklich Sonnenbrillenwerbung machen? Auch wenn die Kohle verlockend ist – ich denke weiter: Is it gonna come back and bite me in the ass, you know? Johnny Marr kann das machen, er setzt wahrscheinlich wirklich immer Ray-Ban auf, ist ja auch eine coole Marke. Aber für mich ist das nichts.
Natürlich ist das immer eine Gratwanderung: Was geht, was nicht? Wenn man einen Rat bekommt, nimmt man ihn an oder ist es nur Bullshit? Nicht immer leicht zu unterscheiden! Ich vertraue einigen Leuten, die schon lange in dieser Industrie arbeiten – aber am Ende muss ich hinter meinen Entscheidungen stehen. Wenn ich etwas nicht will, wird es nicht gemacht. Simple as that.“
Rumgammeln
„Freizeit, was ist das? Ich arbeite nur noch. 2013 werde ich ein paar Tage frei haben, schätze ich, auch wenn ich sehr lange auf Tournee bin. Ich will nicht bis an den Rand der Erschöpfung gehen. Und es fällt mir schwer, auf Tour Songs zu schreiben. Es steht jeden Tag so viel an: Interviews, Soundcheck, blablabla. Aber ich nehme immer meine Gitarre mit und versuche, zwischendurch ein bisschen zu spielen.“
Songwriting
„Mein Manager hat den Kontakt zu Iain Archer (Songschreiber für Snow Patrol, Tired Pony und andere) hergestellt, mit dem ich dann einige Sessions gemacht und ein paar Songs für mein Debüt geschrieben habe. Als Songwriter könnte man natürlich in die Defensive gehen und sagen:, Was soll das, sind meine eigenen Lieder nicht gut genug?‘ Aber ich bleibe gern offen, ich nehme gern Ideen von anderen auf, und ich bin doch keine Insel. Iain und ich wurden schnell Freunde, wir hatten viel Spaß – und es ging gar nicht darum, ein Top-40-Album aufzunehmen oder eine Nummer-eins-Single. Er ist einfach ein netter Typ, der mir geholfen hat, einiges klarer zu sehen. Er war so was wie mein Reiseführer. Und wenn die Leute jetzt die Nase rümpfen und denken:, Klar, der Typ von Snow Patrol hat ihm die Hits geschrieben!‘? Dann sollen sie doch, mir egal. Ich weiß, was ich kann – aber ich geniere mich nicht, auch noch zusätzlichen Input anzunehmen. Nicht dass ich mich mit denen vergleichen möchte, weil das ja Legenden sind, aber: Lennon brauchte manchmal McCartney, Simon brauchte Garfunkel, Ian Brown brauchte John Squire. (Den Einwand, dass Garfunkel gar keine Songs schrieb, lässt er nicht gelten: „Egal. Dann hatte er halt die Stimme. Und die Locken.“)
Manche Lieder wie, Lightning Bolt‘ habe ich in fünf Minuten geschrieben, auch, Seen It All‘ tauchte einfach so auf, ohne dass ich es forciert hätte. Andere dauern ewig. Dann denkt man, es ist die schlimmste Arbeit der Welt und man wird nie, nie etwas erreichen. Aber wenn es läuft, gibt es nichts Schöneres, als mit einer Gitarre rumzusitzen und sich ein Lied auszudenken.“
„Two Fingers“
„Der Song handelt vom Erwachsenwerden. Von mir und meinen Freunden und was wir machen und wo wir herkommen. Es geht auch ums Flüchten. Viele meiner Kumpels wollen raus aus der muffigen Hochhaussiedlung und endlich ein anderes Leben haben. Nicht, dass ich es schlecht hatte. Aber jetzt habe ich es besser! (kichert) Und ich verstehe mich mit meinen alten Freunden immer noch so gut wie eh und je – wenn nicht sogar besser. Natürlich habe ich weniger Zeit, aber manchmal nehme ich sie auch auf Tour mit.“
Unsicherheit
„Mir war immer klar, dass ich nicht in Clifton (ein eher bescheidener Stadtteil Nottinghams) bleiben will. Aber ich wusste nicht, ob ich es nach London schaffe – die hohen Mieten, Arbeitslosigkeit und all das. Kennt man ja überall. Ganz Europa ist ja eine einzige Krise. Aber deshalb darf man nicht zu Hause hocken bleiben und alles aufgeben, bevor man überhaupt angefangen hat.“
Vorbilder
„Mir geht es um Langlebigkeit. Darum, weiter Alben machen zu können – viele, viele Jahre lang. Wie Neil Young zum Beispiel. Noel Gallagher – die Nummer eins. Auch Ian Brown. Sie haben es geschafft, ohne sich zu verbiegen.“
Weisheit
„Do what you want to do – das ist der beste Ratschlag, den man bekommen kann. Scheiß auf Trends, scheiß auf Strategien. Die Zeit, die man damit verbringt, über mögliche Erfolge nachzudenken, investiert man besser ins Songschreiben.“
„X Factor“, „The Voice“ etc.
„Niemand von all den Leuten, die bei diesen Sendungen aufgetreten sind, haben längerfristige Karrieren daraus gemacht. Aber genau darum geht es mir. Ich will von meiner Musik auf lange Sicht gut leben können. Das ist meine Definition von Erfolg. 50 minutes of fame? Interessieren mich nicht. 50 Jahre will ich, in denen ich meine eigenen Lieder schreibe und damit um die Welt ziehe.“
YouTube, Facebook etc.
„Ich habe über 90 000 Likes auf Facebook – vor einigen Monaten waren es noch 5 000 oder so. Erstaunlich! Aber ich verbringe kaum Zeit dort. Ich twittere ganz gern, das reicht mir. Und ich schaue mir natürlich alles Mögliche auf YouTube an – nur nicht mein eigenes Zeug, ich höre mir ja auch nicht meine eigenen Platten an. Aber ich habe festgestellt, dass Videodrehen Spaß macht, obwohl ich wahrscheinlich kein großer Schauspieler bin – und obwohl man so verdammt früh aufstehen muss. „
Zukunft
„Ich bin ja erst 18, ich kann noch viel lernen. Ich schreibe gern allein Songs, aber manchmal macht es mir auch Spaß, mit anderen Vibes auszutauschen, Akkorde hin- und herzuschieben, Ideen durch den Raum zu werfen. Da geht noch einiges.“