Auferstanden aus Ruinen
VIELLEICHT IST ES ein Zufall, dass Josh Homme sich genau in den Sessel fallen lässt, der vor dem großen Fenster steht. Jedenfalls sitzt er so im Schatten und muss sich nicht allzu genau ins Gesicht blicken lassen. Eigentlich sieht der Kalifornier aus wie immer: groß, rothaarig, energiegeladen. Neben ihm verblassen Bassist Michael Shuman und Keyboarder Dean Fertita, die seit 2007 zu Queens Of The Stone Age gehören, sie reden zudem eher wenig. Und doch bekommt man schnell das Gefühl, dass Homme sie momentan mehr denn je braucht. Sie sind wohl vor allem da, um abzulenken, wenn es ihm zu persönlich wird. Oder wenn er schnell mal pinkeln gehen will, weil ihm das Antworten zu schwer fällt. Vielleicht ist das auch alles keine Absicht, aber Homme ist ein schlauer Mann, und er hat in den vergangenen Jahren einiges mitgemacht. Wahrscheinlich befindet er sich noch im Selbstschutz-Modus.
Die gute Nachricht ist: Josh Homme lebt noch. Das ist erst mal keine Selbstverständlichkeit, denn als er sich 2010 einer Knie-Operation unterziehen musste, setzte auf dem Behandlungstisch sein Herz aus, und er war kurzzeitig tot. Darf ein Rockstar so was? Bei einer Knie-OP sterben? Homme war freilich nie der gewöhnliche Rockstar, sondern ein Workaholic, den weder Drogen noch Familie je bremsen konnten. 1987, mit gerade mal 14, gründete er Kyuss und spielte bald den besten Stoner-Rock, den es in den frühen Neunzigern gab. Er stieg kurzzeitig bei den Screaming Trees ein und stellt 1997 Queens Of The Stone Age zusammen, auf fünf grandiose Alben kamen sie bis 2006. Nebenbei nahm er immer wieder mit wechselnden Musikern in Joshua Tree „Desert Sessions“ auf, zehn Alben gibt es bisher. Mit Jesse Hughes gründete er die Garagenband Eagles Of Death Metal; er produzierte, kooperierte und musizierte mit mehr Leuten, als man hier aufzählen kann. Und 2009 kam dann noch die sogenannte „Supergroup“ Them Crooked Vultures mit Led-Zeppelin-Bassist John Paul Jones und Tausendsassa Dave Grohl dazu. Deren Album war zwar nicht so super, aber man hatte das Gefühl, Josh Homme ist überall, kann viel, schafft alles.
Für Pausen war in seinem Leben nie Zeit, seit er die Musik entdeckt hatte. Und dann war da plötzlich dieses große schwarze Loch. Er krümmt sich fast, als er anfängt, davon zu erzählen: „Auf einmal war es mir egal, dass mich die Musik nicht mehr interessiert hat. Eineinhalb Jahre lang habe ich gar nichts gemacht -und davor hatte ich mein Gehirn auch schon ein paar Monate lang abgeschaltet und auf Autopilot gearbeitet. Ich war physisch und mental erschöpft. Dann habe ich mich auch noch verletzt -und mich reingeworfen, bevor ich wirklich bereit war. Und so ging alles den Bach runter.“ Queens Of The Stone Age gingen 2011 wieder auf Tournee, spielten ihr Debüt von 1998 komplett durch, aber danach ging es dem Sänger deutlich schlechter: „Ich fühlte mich wie ein Gemüse. Ein leckeres und schönes Gemüse, aber trotzdem: nicht brauchbar. Ich habe erst nach langer Zeit gemerkt, dass ich meine Geschwindigkeit jetzt meinen Umständen anpassen muss. Die alte Geschwindigkeit kann man nicht aufrechterhalten, wenn man noch ein geregeltes Leben haben will. Man kann nicht 24 Stunden am Tag so leben.“
Homme ist 40, er hat zwei Kinder (sieben und fast zwei) mit seiner Kollegin Brody Dalle, die Familie lebt in Los Angeles und Palm Springs. Es passte nicht in seine vielleicht etwas altmodische Vorstellung von einem Mann, dass er plötzlich so etwas wie ein Burn-out hatte. „Ich konnte nichts mehr wahrnehmen. Deshalb konnte mir auch keiner helfen oder etwas raten. Es war, als würde ich einen Schlagbohrer bedienen und keine Außenwelt mehr hören. So ähnlich. Ohne ins Detail gehen zu wollen.“ Wie macht man weiter, wenn man nicht weiterweiß? Homme war verwirrt. Ob er noch Songs schreiben kann, wusste er nicht. Er musste erst einmal herausfinden, ob er überhaupt je wieder eine Gitarre in die Hand nehmen will. „Ich habe ewig lange gewartet, auf ein Zeichen oder so. Aber dann fiel mir auf, dass ich wohl nie ein Zeichen sehen werde, wenn ich mich nicht bewege. Das kann ich aus Erfahrung sagen: Wenn man nur herumsitzt, passiert gar nichts. Man muss aufstehen und anfangen zu laufen.“
Er begann, ein paar Demos zu machen -eine Arbeitsmethode, die er früher allerdings immer abgelehnt hatte. Und künftig auch nicht wieder anwenden wird, weil seine Kollegen wenig damit anfangen konnten. Entweder waren Hommes Entwürfe schon zu ausgefeilt – oder sie waren zu grob, um sie überhaupt beurteilen zu können. Bei der Erinnerung daran muss Homme jetzt doch mal lachen: „Mir liegt das Rumdaddeln einfach nicht. Schon als Kind konnte ich nie aus Spaß mit anderen raufen, ein bisschen abklatschen und so. Ich habe einmal fest hingehauen, und das war’s dann. Nicht der Sinn der Sache, ich weiß! Aber bei mir ging es immer um alles oder nichts.“
Fünf Monate lang haben die Queens Of The Stone Age an ihrem sechsten Werk „Like Clockwork“ gearbeitet. „Dieses ganze Album besteht aus Zweifeln“, sagt Homme. „Es war diesmal manchmal ein bisschen schwer, und mit ,manchmal‘ meine ich ,dauernd‘, und mit ,ein bisschen‘ eigentlich ,sehr‘. I felt completely lost. Früher ging ich auch mal kurz in die falsche Richtung oder auf einen kleinen Umweg, aber ich wusste immer: Okay, da hinten ist das Ziel, irgendwie kommen wir da schon hin. Diesmal dachte ich manchmal:,Wo ist überhaupt die Straße? Und wer fährt das Auto?'“ Shuman springt ihm zur Seite: „Manchmal muss man einfach den Kopf senken und weiterlaufen. Sich auf die anderen verlassen und nicht aufgeben.“
Homme hat bei Queens Of The Stone Age immer mal wieder Bandmitglieder ausgewechselt und 2004 sogar seinen besten Freund, den Bassisten Nick Oliveri, rausgeworfen. Gemeinhin gilt er deshalb als einer, der nicht gerade viel Wert auf Beständigkeit legt. Im vergangenen November musste Schlagzeuger Joey Castillo gehen. Wenn Homme nun erzählt, wie sehr er unter dem Verlust des Kollegen litt, stellt sich natürlich die Frage, ob es dann wohl ein Missverständnis sei, dass „ich ein gedankenloses Arschloch bin, das Leute feuert, wie es ihm gerade passt?“ Er lacht ein bisschen gallig. „Trennungen sind immer unschön. In dieser Band ist noch nie einer einfach so geschasst worden, das hat alles immer ewig gedauert, und so wurde es nicht leichter. Ich treffe solche Entscheidungen ungern. Aber ich treffe sie notfalls, damit die Band überlebt. Und es schadet nicht, wenn alle Beteiligten das wissen.“
Die anderen nicken, aber Fertita betont dann doch noch, dass das nicht bedeutet, dass QOTSA eine Diktatur sind, im Gegenteil: „Jeder muss sagen dürfen, was er will. Ohne Strafandrohung.“ Und Shuman ergänzt: „Deshalb wollte ich in diese Band: weil klar war, dass konstruktive Kritik erlaubt ist.“ Homme nickt erfreut, sie haben ihn verstanden. „Man muss das Risiko eingehen und sich mit Leuten umgeben, die Meinungen haben und sie vertreten. Das ist manchmal hart, aber es ist der einzige Weg. Sonst hat man keine verdammte Chance, als Band zu überleben. Wer keinen Widerspruch duldet, endet wie Axl Rose: ganz allein, umgeben von ja-sagenden Arschlöchern. Und man selbst ist auch eins – ein kleines rothaariges Arschloch.“
Für das neue Album hat er einen Song darüber geschrieben, wie er sich Freundschaft nicht vorstellt, „Fairweather Friends“. Als er zusammenbrach, lernte er nämlich zumindest eines: dass viele vermeintliche Kumpel plötzlich nicht mehr da sind, wenn man sie braucht. Nicht dass er Hilfe angenommen hätte, aber es wäre doch nett gewesen, wenn jemand sie angeboten hätte.
Stattdessen saß der einstige Mittelpunkt jeder Party zu Hause rum und bemitleidete sich selbst.
Unter diesen Bedingungen wirkt es fast wie ein Wunder, dass „Like Clockwork“ so ein großartiges Album geworden ist: eine Fleischtasche voll überbordender Lieder, die von psychedelischem Rock über fragile Balladen fast bis zu Westcoast-Pop reicht, mit kleinen Ausflügen in Disco und Wüste – und mit nichts anderem vergleichbar ist, was zurzeit auf den Markt kommt. „Das Schönste ist der Moment, in dem man merkt: Es ist echt, und es klingt gut“, erzählt Homme. „Ausatmen, Erleichterung. Das Wichtigste ist für mich Wahrhaftigkeit. Wenn ich etwas singen soll oder will, das nicht der Wahrheit entspricht, dann werde ich krank. Im wahrsten Sinne des Wortes: Mir geht es dann richtig schlecht, oder ich muss etwas kaputt machen. Das geht einfach nicht. Da drehe ich durch. Ich bin ja kein Schuhverkäufer. Ich will den Menschen etwas geben, und manchmal weiß ich nicht einmal, was, oder ich weiß nicht, wie – und das ist dann sehr frustrierend.“
Homme war nie ein Kind von Traurigkeit. Seine Drogenexzesse sind so bekannt wie sein Hang, sich zu Schlägereien und Verbalattacken hinreißen zu lassen. Doch seit seinem Zusammenbruch lebt er lieber etwas zurückgezogen: „Rockstarsein bringt nichts, außer wenn man einen guten Tisch im Restaurant will. Ich will jetzt vor allem meine Familie schützen, ich brauche diese Scheinwelt nicht. Ich möchte keine Seifenblasen zerstören, aber das Entscheidende ist nicht der Status, sondern die Leidenschaft, die Arbeit, die Musik.“
Was nicht bedeutet, dass in seinem Privatstudio Pink Duck in Burbank nicht dauernd prominente Kollegen herumhängen. Die Liste der Leute, die bei „Like Clockwork“ mitgemacht haben, scheint noch länger zu sein als einst seine Aufzählung von Drogen in „Feel Good Hit Of The Summer“: Elton John, James Lavelle, Alex Turner, Trent Reznor, Mark Lanegan, Jake Shears, Dave Grohl. Die Erklärung ist denkbar einfach: „Wir sind alle so beschäftigt, und man sieht seine Freunde kaum. Also lade ich sie ins Studio ein, damit ich überhaupt Zeit mit ihnen verbringen kann! Nach fünf Stunden Tequila-Trinken und Quatschen mit Alex Turner bin sogar ich ein bisschen entspannter. Mit Jake Shears schaue ich sonntags immer fern. Wir machen uns was zu essen und glotzen gemeinsam. Außerdem ist er ein toller Sänger und ein Flummi, der durch den Raum springt und jedermanns Laune verbessert.“
So ähnlich war das auch mit Dave Grohl. Die beiden kennen sich seit 20 Jahren, und natürlich war Grohl zur Stelle, als Castillo die Band verlassen hatte. Er kam zwei Tage später vorbei und steckte mit seiner notorischen Energie alle an:“Wir brauchten einen Schlagzeuger, aber noch mehr brauchten wir einen Dave. Unseren Freund Dave, diesen sensationellen Typen, der viel zu viel Kaffee trinkt und immer aufgeregt ist. Gut, dass er auch noch einer der besten Drummer der Welt ist. Wir können uns einfach aufeinander verlassen. Und das Vertrauen wird noch größer, wenn man zusammen Musik macht. Ich mag das, es ist meine Art, Freundschaften zu pflegen. Normale Leute würden stattdessen vielleicht “ Josh Homme guckt etwas ratlos. Was machen normale Leute eigentlich? Er versucht, sich zu erinnern. “ zusammen ins Kino gehen oder so.“
Inzwischen sind die Queens Of The Stone Age wieder auf Tournee. Bei der Frage, ob er sich darauf freut, zuckt Josh Homme tatsächlich zusammen. Er überlegt lange und sagt dann: „Ich möchte dazu lieber nichts sagen, ich will keine Seifenblasen platzen lassen. Ich bin ein Familienvater. Deshalb ist die Antwort auf die Frage, ob ich gern auf Tournee gehe, leicht, aber vielleicht nicht schön zu hören. Ich liebe es zu spielen. Und ich vermisse meine Kinder jede Minute.“ Fertita ist wieder zur Stelle: „Man hofft natürlich, dass sie stolz auf einen sind, und dass es deshalb okay ist, weit weg zu sein.“
Im Falle dieser Band kommt noch eine weitere Motivation dazu. Homme will nicht bloß großartige Alben machen, er will nicht einfach gute Shows abliefern. Er will einzigartig sein, nicht weniger. „Sollte das nicht die minimale Verpflichtung jeder Band sein: wie man selbst zu klingen und nicht wie andere? Man muss Angst bekommen, man muss mutig sein. Ich lasse doch nicht meine Familie allein, um etwas Durchschnittliches zu machen. Man muss alles riskieren und schauen, was passiert. Ich kann nur hoffen, dass diese Unbedingtheit bei den Leuten ankommt. Mir ist das wichtiger als alles andere. Ich will etwas hinterlassen, sonst lohnt sich das alles doch gar nicht.“
TAGE DER OFFENEN TÜR IN HOMMES STUDIO
Josh Homme ist bekannt dafür, dass er gern Kollegen ins Studio einlädt. Aber so viel wie bei den Aufnahmen zu „Like Clockwork“ war noch nie los. Ein Auszug aus der Gästeliste
ALEX TURNER
Der Arctic-Monkeys-Mann singt bei „If I Had A Tail“ mit, wie auch Mark Lanegan und Ex-QOTSA-Bassist Nick Oliveri, mit dem Homme erstaunlicherweise immer noch befreundet ist, obwohl er ihn vor neun Jahren feuerte.
JAKE SHEARS
Der Scissor-Sisters-Sänger ist beim Auftaktsong „Keep Your Eyes Peeled“ zu hören. Homme nennt Shears seinen „TV-Buddy“, weil beide eine ausgeprägte Liebe zur Fantasy-Serie „Game Of Thrones“ hegen.
ELTON JOHN
Der Brite rief Homme eines Tages aus heiterem Himmel an und behauptete, die Band brauche mal eine richtige „Queen“. Also spielt Elton John bei „Fairweather Friends“ Piano und singt mit (was man allerdings kaum hört).
DAVE GROHL
Mit Dave Grohl (Nirvana, Foo Fighters) ist Homme seit 20 Jahren befreundet. Der Multiinstrumentalist half bei einigen Songs aus, als den Queens plötzlich ein Schlagzeuger fehlte -und brachte vor allem viel positive Energie mit.
TRENT REZNOR
Homme besuchte seinen alten Freund Reznor und bat ihn um ein paar Beats oder Percussion für „Kalopsia“. Später kam der Nine-Inch-Nails-Kopf dann vorbei, um auch noch bei dem irren Track mitzusingen.