AUF DIE HARTE TOUR
„Zweite Chance? What the fuck! Wir haben zwölf Songs gespielt, dann konnte ich nicht mehr singen und bin von der Bühne gegangen. Diese eine Nacht wird überschätzt“
LANGE BEVOR DIE KINGS OF LEON auftauchen, ist die Vorahnung ihrer Größe schon da. Sie spiegelt sich in den erwartungsfrohen Gesichtern der 22.000 Menschen, die unverdrossen durch den Regen zur Berliner Waldbühne stapfen. Sie zeigt sich an der angespannten Security und der Armada von Trucks, die das Equipment bringen. Sie sitzt im Backstage-Raum, den keiner betreten darf, weil die Band ja gleich kommen könnte. Doch die vier Followills befinden sich noch in ihrem Privatjet, der sich leider verspätet. Es ist 18.30 Uhr, zwei Stunden vor Showbeginn. In einem kleinen Schuppen, zwischen Feuerlöschern, Klappstühlen und Rechen, darf ich gemeinsam mit ein paar Spinnen und vielen Stechmücken einige Stücke des neuen Albums „Mechanical Bull“ hören, das am 20. September erscheinen wird. Eigentlich sollten jetzt, kurz vor dem Auftritt, Interviews stattfinden. Um 19 Uhr sind immer noch keine Followills da, dafür mehr Leute mit Walkie-Talkies, die ein Filmteam bitten, sich hinter einem Zelt zu verstecken, weil die Band ja bestimmt nicht gleich eine Kamera sehen will, wenn sie denn erscheint. Um 19.30 Uhr werden die Interviews auf den nächsten Tag verschoben. Während die Journalisten den Backstagebereich räumen, kommen die Kings Of Leon doch noch an, das Konzert beginnt fast pünktlich. Es dauert (verglichen mit der E Street Band oder Pearl Jam) „nur“ 100 Minuten, der Jubel ist trotzdem enorm-vor allem natürlich bei „Use Somebody“ und „Sex On Fire“.
Das Backstage-Bohei, die straffen Zeitpläne, der Jet, die feiernden Massen: Das alles zeigt, wie weit es die Kings Of Leon gebracht haben. Sie sind die größte Rockband der Welt – die noch Mitglieder unter 30 hat. Und die doch schon seit zehn Jahren im großen Geschäft mitspielt. Ihr Debüt, „Youth And Young Manhood“(2003), war ein Überraschungserfolg für die Familienbande, seitdem lieben Musikmagazine und Klatschpresse sie gleichermaßen. Ihre Geschichte war allerdings auch zu gut, um nicht erzählt zu werden: Als Söhne eines Wanderpredigers aus Oklahoma wuchsen Sänger Caleb (31), Schlagzeuger Nathan (34) und Bassist Jared Followill (26) in ärmlichen Verhältnissen auf, gründeten noch als Teenager mit ihrem Cousin, dem Gitarristen Matthew (28), in Nashville eine Band. Creedence Clearwater Revival und The Band gab’s längst nicht mehr, Lynyrd Skynyrd waren peinlich geworden. Da kamen die Kings Of Leon gerade recht. Und sie warfen sich mit voller Macht in die neue Rolle als Rockstars, nicht nur Album um Album (immerhin fünf in neun Jahren), sondern auch Rausch um Rausch. Kein Monat ohne irgendeinen Bericht von Gelagen, Groupies, dem üblichen Quatsch halt. Angeblich mussten sich Caleb und Nathan als Kinder zwei Hosen teilen, die sie abwechselnd trugen. Jetzt lebten sie im Überfluss und genossen das bis zum Umfallen. Wortwörtlich.
Vor der Tournee zu ihrem letzten Album, „Come Around Sundown“ (2010), gelobten sie Besserung, doch daraus wurde nichts. Und erschöpft -psychisch, physisch -waren sie auch. Als die Band ein Konzert „aus gesundheitlichen Gründen“ abbrach, weil sich eine Taube in Jareds offensichtlich zu weit geöffneten Mund entleert hatte, erinnerte das schon sehr an „Spinal Tap“. Im Juli 2011 brach Caleb in Dallas endgültig zusammen. Nach einem Dutzend Songs behauptete er, keine Stimme mehr zu haben, lallte unzusammenhängendes Zeug und verließ die Bühne, um „zu kotzen und Bier und Tequila zu trinken“. Er kam nicht zurück. Ihr Sänger sei „a litte unfit“, erklärte der Rest der Band und entschuldigte sich unbeholfen -unter anderem mit den Worten „Fucking burn our records!“ und „Hasst Caleb, nicht uns!“ Der Rest der Tournee wurde abgesagt, eine längere Pause angekündigt.
Manche dachten, das wäre das Ende der Kings. Aber die vier wissen ihren privilegierten Status zu schätzen -und geben ihn nicht einfach auf. Vielleicht sind sie die Letzten, denen solch eine Karriere gelingt. Die noch einen ordentlichen Plattenvertrag bekommen haben, sich seit sechs Alben relativ unbehelligt von Marketingstrategien austoben dürfen und mit Gitarrenriffs statt Inszenierungen massenhaft Menschen begeistern. Die Kunst der Kings Of Leon ist, es ohne Kunst oder Konzept, jenseits von Kanye West und Lady Gaga, aber mit Bärten und Knitterhemden zu einem Stadionphänomen gebracht zu haben. Da wir das Jahr 2013 schreiben, kann man allerdings auch auf Twitter mitverfolgen, was diese eigentlich so altmodische Band treibt. Zumindest zwei Brüder teilen gern ihre Abenteuer. Jared (Selbstbeschreibung: „I make your seats vibrate“) erlaubt sich gern mal Klischees: „I’m so sorry to announce this, Manchester. I’ve come down with an illness. Rock Fever. The only way to get over it is to melt your faces!“ Er hat aber auch Selbstironie drauf. Vor Kurzem schoss er ein Foto einer Taube, der Kommentar dazu: „Hello, old friend. I hate you.“ Nathan (Selbstbeschreibung: „I’m a daddy, drummer, lover, smoker, drinker and a thinker“) offenbarte indes, wie er seinen 34. feierte: mit zwei Weinflaschen, die um die 1.000 Euro wert waren.
Im Interview, das kurz nach diesem Geburtstag stattfindet, relativiert er die Sause: „Ich war um 22.30 Uhr im Bett. Ich habe als Erster meine eigene Party verlassen! Meine Frau und mein Baby mussten am nächsten Tag früh weg. Also wollte ich in der Lage sein, mit ihnen aufzustehen.“ Vor dem Gespräch -natürlich in einem Fünf-Sterne-Hotel -sieht es ähnlich aus wie am Vortag backstage. Der Tourmanager läuft wieder hin und her und dirigiert alle mit harschen Gesten; der Bodyguard der Followills sieht aus wie Questlove, nur noch massiger und weniger freundlich. Und während man sich gerade so fragt, warum hier mehr Gewese gemacht wird als bei U2 und Springsteen zusammen, schlurfen die Kings Of Leon herein – und sind natürlich nett und entspannt. So ist das ja fast immer: Die Band leistet sich den Luxus, cool zu bleiben, während alle um sie herumwuseln, als würde eine Atombombe hochgehen, wenn das Bier zu bitter ist oder das Handtuch nicht vorgewärmt. Und es ist natürlich Unfug, alles auf die bösen Manager zu schieben, denn jede Band sucht sich ihre Angestellten selbst aus, und wer wie ein König behandelt wird, der will das wohl auch so.
Auch das traditionelle Superstar-Accessoire, die Sonnenbrille, ist beliebt bei den Kings Of Leon, aber Caleb setzt sie immerhin sofort ab, als das Gespräch beginnt -und Nathan lächelt hinter seiner so freundlich, dass man ihm verzeiht. Mit den langen Haaren und vielen Tätowierungen sieht er als Einziger noch wie ein Proto-Rocker aus. Er bestellt auch gleich mal, zur Mittagszeit und bei immerhin 20 Grad, einen „Hot Toddy“(Whisky, heißes Wasser, Zitrone, Zucker). Nicht ohne sich zu fragen, ob es so was wohl auch ohne Alkohol gibt? Worauf Caleb eine Augenbraue hochzieht und sagt:“Natürlich, das nennt man heiße Zitrone.“ Wahrscheinlich hätte er noch ein „dumbass“ hinzugefügt, wären sie unter sich gewesen. Der Sänger gibt sich mit einem Weizen zufrieden. Na ja, zufrieden nicht wirklich: „Schmeckt nach Zimt“, murmelt er stirnrunzelnd, trinkt es dann aber doch. Matthew und Jared bleiben bei stillem Wasser, der Bassist zieht verzweifelt an einer elektrischen Zigarette. Über das Rauchverbot setzt sich also nicht mal er hinweg.
Wenn Ihr vor Zehntausenden auf der Bühne steht, fragt Ihr Euch dann manchmal, warum ausgerechnet Ihr so erfolgreich seid?
Jared: Schon, aber man sollte keine Band je abschreiben. Man ist immer nur einen Song vom Durchbruch entfernt. Wir hatten halt gleich ein paar solche Songs und dürfen jetzt in riesigen Arenen spielen. Das können andere genauso schaffen.
Wie sehr hängt Ihr an diesem Erfolg?
Jared: So sehr wie an unseren riesigen Hypotheken! Im Ernst: Mir ist Erfolg schon wichtig. Nicht wegen des Geldes, sondern weil wir ganz oben bleiben wollen, auf Augenhöhe mit unseren Kollegen. Nicht dass uns einer überholt!
Matthew: Mir kommt es inzwischen allerdings vor, als hätten wir zwei Arten von Fans: Die, die bis „Only By The Night“(das vierte Album mit den beiden Hits – Anm. d. Red.) Fans waren, und Leute, die seitdem Fans sind. Jetzt müssen wir uns wohl entscheiden, wem wir gefallen wollen. Keine Ahnung, wie.
Ihr habt jetzt zum Teil andere Fans, aber Ihr seid ja auch nicht mehr die Band, als die Ihr vor 13 Jahren angefangen habt, oder?
Jared: Wir sind noch dieselben Leute, aber definitiv eine andere Band. Damals hatten noch keine richtige Identität. Wir schrieben ein paar Songs und wurden kurz darauf schon in die Welt hinausgeschubst. Ich war 15, Matthew 17. Wir hatten lange Haare und kauften in Secondhand-Läden ein. Wir waren gerade erst dabei, zu Menschen heranzuwachsen. Bei der dritten Platte hatten wir dann erstmals ein richtiges Gefühl dafür, was unser Sound ist, womit wir uns wohl fühlen.
Stört Euch der Rummel manchmal?
Jared: Ach, wir haben ja immer noch keine Paparazzi, werden selten um Fotos gebeten, und vorm Hotel ist nie ein großer Mob von Leuten. Wir haben da Glück: dass wir so viel Erfolg haben ohne all die negativen Nebenwirkungen.
Warum ist das wohl so?
Jared: Weil wir hässlich sind?
Während Jared sich als Scherzkeks entpuppt und Matthew lieber mild lächelt, statt zu viel zu erzählen, reden die beiden Älteren gern und viel. Nathan gibt dabei das Energiebündel, Caleb den Grübler. Er sieht auch die Sache mit dem Erfolg etwas ernster. Erst während ihrer Pause hatten die Kings Of Leon überhaupt mal Zeit zum Durchatmen und Sich-selbstauf-die-Schulter-Klopfen. Selbstzweifel sind trotzdem geblieben, vor allem beim Sänger. Bezeichnet man sie als „große Rockband“, fallen Caleb gleich die ein, die noch größer sind:“U2, Springsteen, die Stones, aber auch die Foo Fighters, Green Day und so – da ist noch Luft nach oben.“ Nathan fällt ihm ins Wort: „Aber hey, allein in derselben Kategorie wie diese Leute genannt zu werden! Man kapiert den Erfolg ja gar nicht, bis man ihn fast schon wieder hinter sich hat. Das nächste Album könnte schließlich floppen, dann wirft einen das Label raus, und man macht nie wieder eine Platte.“ Caleb fügt mit Grabesstimme hinzu:“The end.“
Worauf seid Ihr am meisten stolz?
Nathan: Darauf, dass wir so krass gefeiert und doch nicht den Kopf verloren haben. Unsere Motivation war immer die Musik, nicht der Lifestyle.
Nicht die Groupies, die Drogen, das Saufen. Viele Bands verlieren sich darin, und die Kreativität geht flöten, und dann sitzt man den Rest des Lebens in einer Bar und redet von den guten alten Zeiten. Wir haben es geschafft, den Drive und die Entschlossenheit mit dem anderen zu verbinden, booze and boobs and all the fun stuff.
Caleb: Wir reißen uns jetzt ein bisschen mehr zusammen, wir haben ja auch Familien. Meine Vorstellung einer tollen Nacht ist ein schönes Abendessen, danach meine Tochter baden und einen Film mit meiner Frau gucken. Es wird jetzt weniger gefeiert, aber mindestens genauso hart gearbeitet.
Habt Ihr das nicht bei der letzten Tournee auch schon gesagt?
Nathan: Ertappt! Aber heutzutage lassen wir einfach unsere Vorgruppen für uns feiern. Die sind noch so jung, dass ihnen der dauernde Kater nichts ausmacht. Mit 21,22 sollte man einfach alles machen, was man kann. Alles. Keiner weiß, was morgen kommt, also muss man mitnehmen, was geht. Allerdings haben wir immer auch schon ans nächste Album gedacht, wenn wir mit einem fertig waren.
Man darf also noch mit einer langen Karriere der Kings Of Leon rechnen?
Nathan: In sieben Jahren können wir schon in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen werden! (Eigentlich nicht, stellt sich später bei genauerer Recherche heraus, das geht erst nach 25 Jahren.)
Caleb: Das kann gar nicht sein. Das sollen schon 20 Jahre sein? Dann hätte ich doch mit elf angefangen. Nathan (leicht genervt): Nein, 20 Jahre in sieben Jahren! Wir haben vor 13 Jahren angefangen, 2000. Caleb (eingeschüchtert): Ah. Okay. Sorry.
Nathan: Neulich kam ein hübsches Mädchen an und erzählte, dass ihr Bruder ihr „Youth And Young Manhood“ zum achten Geburtstag geschenkt hat. Sie war gerade 18 geworden. Und ich dachte nur: „Holy shit!“
Caleb: Oder dachtest du (mit Meuchelmörderstimme):“Get in the van! Do you like candy? And puppies?“
Die vergangenen Monate im Studio haben den Kings Of Leon sichtlich gut getan. Inzwischen sind alle glücklich verheiratet (vorzugsweise mit Models) und – bis auf Jared -Väter. Sie sind wieder enger zusammengerückt und haben sich nicht so ablenken lassen wie bei den Aufnahmen zu „Come Around Sundown“, die in New York stattfanden. Diesmal gingen sie in ihr eigenes Studio, zu Hause in Nashville. „Sehr gemütlich“ nennt Jared das, weil sie in den eigenen Betten schlafen und mit dem eigenen Auto rumfahren konnten. „In New York feiert man dauernd, in L. A. auch. Ablenkungen und Swimmingpools gibt es überall, aber wenn man die Familie in der Nähe hat, kann man abends Dampf ablassen und sich normal fühlen.“ Matthew stimmt ihm zu:“Diese eine New-York-Platte war die einzige, die sich wirklich ein bisschen wie Arbeit anfühlte. Wir waren zu weit weg von daheim.“
Alle vier sind sich einig, dass die Studiozeit das Allerschönste an ihrer Arbeit ist. Und nachdem sie mehr als ein Jahr Pause gemacht hatten und ihre Batterien wieder aufgeladen waren, konnten sie die Aufnahmen diesmal noch mehr genießen denn je – was man dem Album durchaus anhört. Stücke wie „Don’t Matter“, das ein bisschen an Pearl Jam erinnert, oder die erste Single, „Supersoaker“, haben wieder mehr Druck, sie klingen weniger schwerfällig als zuletzt. Matthew atmet richtig hörbar auf, als dieses Thema angeschnitten wird: „Bevor wir diese Platte aufgenommen haben Ich habe das den Jungs gar nicht gesagt, aber ich habe so gehofft, dass am Ende keine lahme Platte rauskommt! Ich wollte etwas Euphorischeres, das auch live Spaß macht. Das letzte Album war Midtempo genug, und das davor eigentlich auch.“
Den Druck abwerfen, zur Lässigkeit der Anfangstage zurückkehren – das war das Ziel. Deshalb blieben die Kings auch bei ihrem Stammproduzenten Angelo Petraglia, obwohl sie vorab mit einigen sogenannten Starproduzenten im Gespräch waren. Sie wollten es lieber wieder gemütlich angehen. Nathan erklärt das so: „Die Platte nach der Hit-Platte hatten wir ja schon hinter uns, wir konnten also einfach die Instrumente nehmen und hingehen, wo der Song uns hinführt. Beim letzten Album blieben wir irgendwie in diesem Gedankenkarussell stecken: Welches Album wollen die Leute hören? Statt: Was wollen wir hören?“ Dann sagt er allerdings doch wieder, dies sei „quasi ein Greatest-Hits-Album mit Songs, die man noch nicht gehört hat“ – eine Phrase, die er schon bei der letzten Platte verwendet hat.
An der nächsten Frage sind sie selbst schuld: Wer zu oft den Film „Urban Cowboy“ mit John Travolta gesehen hat und sein Album „Mechanical Bull“ nennt, muss natürlich auch Auskunft geben, ob er denn auf so einem Stier reiten kann? Nur Jared gibt das zu: „Ich kann’s ganz gut. Es macht Spaß! Und ist gefährlich. In Oklahoma ist das Bullenreiten ja sehr beliebt, aber inzwischen gibt es das sogar beim Coachella-Festival. Allerdings machen es alle falsch, die halten sich mit zwei Händen fest. Man muss eine aber in die Luft halten, nur so ist es korrekt.“ Widerspruch von Matthew, der das lockerer sieht und findet, es sei die Hauptsache, dass man irgendwie die Balance hält, lässt er nicht zu. Und wenn wir schon beim Thema „Balance“ sind und die Stimmung gerade gelöst ist, dann muss jetzt wohl das Thema „Zusammenbruch in Dallas 2011“ auf den Tisch.
Hattet Ihr selbst – wie viele Kritiker und Fans – Angst, dass dieser Abend das Ende der Band ist?
Jared: Wir haben uns genau eine Nacht lang Sorgen darüber gemacht, ob es mit uns weitergeht. Wir hatten einen Riesenstreit und dachten: „Scheiße, Mann, wo wird das enden?“ Und am nächsten Tag wacht man auf und versöhnt sich. Wir haben keinen Monat dafür gebraucht, nicht mal eine Woche. Matthew: Wenn man mit der eigenen Familie in einer Band ist, kann man sich schnell streiten und viel streiten, aber in derselben Stunde, in der man einem den Kopf abreißen möchte, will man ihn auch schon wieder umarmen und sagen: „Sorry, man!“
So einfach ist das? Gab es gar keine Zukunftsängste?
Caleb (abwinkend): Na. Wir wussten, dass alles völlig übertrieben werden würde. Aber ich wusste auch, dass ich weiter Musik machen würde. (Kunstvolle Pause.) Und ich habe nie daran gezweifelt, dass sie mit mir Musik machen würden.
Nathan: Er hat nur vorsichtshalber erst mal keine Presse mehr gelesen.
Caleb: Ich habe einen Monat lang keinen Computer geöffnet und nichts im Fernsehen angeschaut, von dem ich dachte, da könnte was erwähnt werden.
Nathan: Ich fand’s komisch. So viele unkten, das sei unser Ende. Und dass es abzusehen war, dass so was passiert. Klar, sie halten den Druck und den Erfolg nicht aus! Aber wenn man uns eine Woche später gefragt hätte, hätten alle vier gesagt:“Natürlich werden wir wieder ins Studio gehen, zusammen.“ Wir brauchten nur ein paar Monate Zeit, dann fanden die Teile des Puzzles wie von selbst wieder zusammen. (Überlegt kurz.) Es ist aber nicht so, dass wir das alles für selbstverständlich halten. Jeden Tag, an dem wir glücklich und gesund aufwachen und unsere wunderbaren Familien um uns haben und unsere tolle Karriere sehen, sind wir uns dessen bewusst. Wir haben eine zweite Chance bekommen, die kriegt nicht jeder. Während unserer Pause hatten uns doch viele schon abgeschrieben.
Caleb: Für mich klingt es fucking funny, dass die Leute das so sehen könnten. Zweite Chance? What the fuck! Hank Williams Jr. war jede Nacht auf der Bühne so fucking hammered. George Jones ist nicht mal aufgetaucht, man nannte ihn No-Show Jones. Wir haben zwölf Songs gespielt, dann konnte ich nicht mehr singen und bin gegangen. Ich bin auch froh, dass wir immer noch hier sind, klar. Aber diese eine Nacht wird wirklich überschätzt.
Er seufzt, sehr tief und sehr lang, damit klar ist: Das war’s dazu. Man sollte auch nicht erwarten, dass auf „Mechanical Bull“ wilde Geschichten breitgetreten werden. Caleb hat kein Interesse daran, zu viel von seinem Innenleben nach außen zu kehren. Zum Glück, findet Jared: „Er verschleiert die wahren Erlebnisse immer ganz gut und macht etwas daraus, das ehrlich ist, aber nicht zu offensichtlich. Wir sind ja keine HipHopper, die originalgetreu davon erzählen, was sie so treiben.“ Zumindest bei der Ballade „Beautiful War“ hat Caleb aber doch sein ganzes Herz reingelegt. „Wenn die kein Riesending ist, dann habe ich keine Ahnung von Musik. Ich kann unsere eigenen Songs kaum anhören, weil ich es komisch finde, mich selbst zu hören. Aber dieses Lied ist so schön, das ist ein no-brainer.“ Er hat es, erzählt Nathan, in derselben Nacht geschrieben wie „Use Somebody“, sie haben es nur nicht früher fertigbekommen. Caleb widerspricht:“Du schmeichelst mir, so gut bin ich auch nicht. Nicht dieselbe Nacht, dasselbe Wochenende. Dieselbe Nacht, das wäre ja der Wahnsinn gewesen. Da wäre ich wahrscheinlich gestorben.“ Nathan lässt nicht locker:“Du warst betrunken und auf Schmerztabletten. Woher willst du eigentlich wissen, dass es nicht dieselbe Nacht war?“ Caleb gibt nach:“Ich weiß, dass ich auf derselben Seite in meinem Notizbuch mit den beiden Liedern angefangen habe. Okay, ich bin gut.“
Das Stück handelt von den schönen Momenten der Liebe, von Zweifeln und Streit. Seine Frau, das Model Lily Aldridge, die damals noch seine Freundin war, hat Caleb dazu inspiriert. „Ich war gerade operiert worden und schluckte viele Pillen, ich war kaputt. Das Lied ist also sehr ehrlich, wie auch ,Use Somebody‘. Manchmal habe ich mich sehr allein gefühlt, lag vielleicht auch an den Drogen. Auf jeden Fall bin ich oft verdammt ehrlich, aber manchmal erzähle ich auch einfach Geschichten. Manchmal glotze ich auf eine Wand und denke mir was aus. Wenn jetzt ein rotes Licht blinken würde und wir aufnähmen, würde ich vielleicht etwas von den Streifen auf der Tapete singen.“
Was er im Studio spontan dichtet, um schon mal irgendwas zur Melodie vor sich hin nuscheln zu können, wird dann oft doch gar nicht mehr geändert. Man muss sich also nicht wundern, wenn man nicht alle Texte kapiert, das geht dem Sänger genauso. Caleb hadert oft mit sich selbst, wie diese Band überhaupt ständig zwischen Hybris und Selbstverachtung zu schwanken scheint, je nachdem, ob gerade die Rockstars oder die Priestersöhne durchkommen. Nathan bewundert seinen Bruder jedenfalls für dessen Mut, manchmal auch „Dummy-Lyrics“ einfach stehen zu lassen. „Er hat wirklich Talent. Ich finde, er hätte auch Romanautor werden können.“ Caleb reißt die Arme hoch, als wäre er Rocky. Und sagt dann:“Wenn ich je gelernt hätte, richtig zu lesen und zu schreiben.“
STADION-ROCK
DIE LETZTEN GROSSEN RIESEN
Es gibt nur noch eine Handvoll klassischer Rockbands, die Zehntausende Zuschauer anziehen, die sogar Stadien füllen können, über Alters-und Genregrenzen hinweg. Was macht sie aus -und was machen sie besser als andere?
VON BIRGIT FUSS UND ARNE WILLANDER
SIND DIE KINGS OF LEON DIE LETZTEN IHRER ART? DIE EINE BAND, DIE nicht alt ist und trotzdem Zehntausende Zuschauer zieht – und das „nur“ mit Rockmusik, ohne Showkonzept, Kostümzwang oder Feuerwerk? Hoffentlich nicht. Allerdings muss doch ein Trend zur Vergreisung konstatiert werden: Die großen Alten füllen immer noch Stadien, während in den vergangenen Jahren nur wenig Nachwuchs folgte. Aber was macht eigentlich eine klassische Rockband aus, wodurch hält sie sich über Dekaden -und wieso können sich auf manche Bands (fast) alle einigen? Warum müssen die einen wieder in Clubs zurück, während andere jederzeit große Festivals headlinen können? Was sind ihre Stärken und Schwächen? Wir haben versucht, das anhand von 15 Bands, die noch immer so weit oben mitspielen, dass die Kings Of Leon eine Menge von ihnen lernen könnten, herauszufinden -und natürlich ist unsere Auswahl eher exemplarisch, denn die Grenzen sind fließend. Wo hört der klassische Rock auf? Schon bei Muse -oder erst bei Radiohead, die alles tun, um nicht mehr als Musik für die Massen wahrgenommen zu werden, sondern als Kunst? Und wo fangen Hardrock und Metal an – bei Iron Maiden, deren Maskottchen längst auf Designer-Shirts zu sehen ist, oder schon bei AC/DC? Gerade die haben freilich alles drauf, was stadionkompatibel macht: Sie arbeiten seit Jahrzehnten hart und weichen dabei nicht zu weit von ihrem Erfolgskonzept ab. Experimente? Nein, danke! Sie setzen lieber auf massive Riffs und Refrains. Hit-Singles haben sie eher zufällig, ihr Metier ist das Album.
In den 70er-Jahren nannte man die sanfte Version dieses Stadionrocks „AOR“, was entweder „album oriented“ oder „adult oriented rock“ heißt, so genau weiß das heute keiner mehr. Die Bands, die damals groß waren, sind heute größtenteils in der Versenkung verschwunden: Boston und Chicago, Foreigner und R.E.O. Speedwagon waren wohl doch zu unspektakulär -und ihre Sänger nicht in der Lage, mit großen Gesten die Massen zu begeistern. Das Gegenteil geschah in den 80er-Jahren: Def Leppard und Guns N’Roses konnten zwar kurzzeitig pompöse Triumphe feiern, bekamen dann aber genauso wenig die Kurve zum Langzeitphänomen. Die einen verloren den Anschluss ans Zeitgeschehen, die anderen konnten dank ihrer Egos kein stabiles Line-up aufrechterhalten. Denn das ist auch wichtig: nicht dauernd Musiker austauschen, zusammen durchhalten. Wie sollen Musiker Gemeinschaft stiften, wenn sie selbst keine sind? Schließlich ist klassische Rockmusik in einer Welt, in der sich dauernd alles ändert, einer der letzten Fixpunkte, an die man sich halten kann. Wenn die ersten Akkorde von „Highway To Hell“,“Badlands“ oder „Alive“ ertönen, weiß man als klassischer Rockfan, dass man zu Hause ist. Und die 20.000 Leute, die um einen herumstehen, wissen es auch.
ROLLING STONES
GRÜNDUNGSJAHR:
1962
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 200 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Durchhaltevermögen
Zählebig, ledern und hagestolz stehen sie noch immer auf der Bühne. Die wachsenden Abstände zwischen den Alben werden mit Wiederveröffentlichungen und Memorabilia gefüllt – ein Jubiläum gibt es ja jedes Jahr. Der Preis für eine Konzertkarte hat den Wert eines Gebrauchtkleinwagens erreicht, doch wer dabei war, macht einen erleuchteten Eindruck. Der Zwist zwischen Mick und Keef wird von beiden kunstvoll befeuert.
VORSICHT VOR:
dem Tod
Über Keith Richards‘ Gesundheitszustand gibt es die abenteuerlichsten Gerüchte -von Gicht bis zu partieller Blindheit. Auch Charlie Watts schwächelte schon mal. Aber virilere 70-Jährige sind kaum denkbar.
VEREWIGT MIT:
„Satisfaction“
AEROSMITH
GRÜNDUNGSJAHR:
1970
VERK AUFSZ AHLEN:
mehr als 150 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Dramatik
Seit vier Jahrzehnten gibt es bei den Bostonern immer wieder Ärger -und doch können Sänger Steven Tyler und Gitarrist Joe Perry nicht voneinander lassen. Manchmal glaubt man, die explosive Dynamik zwischen den „Toxic Twins“ förmlich in ihren Songs zu hören -das sind die besten Momente der Band, die natürlich auch von den exaltierten Auftritten ihres Sängers lebt, der nie ohne bunte Schals, massenhaft Schmuck und wilde Locken ins Licht zappelt.
VORSICHT VOR:
zu viel Ablenkung
Man sah Steven Tyler zuletzt alles Mögliche machen: Jury bei „American Idol“, Autobiografie, Werbung. Angesichts der schwachen letzten Aerosmith-Alben sollte er sich lieber wieder aufs Songwriting konzentrieren.
VEREWIGT M IT:
„Walk This Way“
EAGLES
GRÜNDUNGSJAHR:
1971
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 150 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Geschäftssinn
Ihre beispiellose Erfolgsgeschichte endete 1979 mit dem misslungenen Album „The Long Run“ – doch 1994, als ihre Solo-Karrieren abflauten, kehrten die Eagles kaltschnäuzig zurück. Nach einem müden Akustik-Album folgte nur noch ein sensationell erfolgreiches Doppel-Album, und jede Tournee wird als möglicherweise letzte annonciert. In Wahrheit sind Don Henley und Glenn Frey in glänzender Verfassung, und Joe Walsh hat allen Giften abgeschworen.
VORSICHT VOR:
Gitarristen
Zuletzt wurde der treue Gitarrist Don Felder aus der Band verabschiedet, weil er keinen kleineren Anteil an den Konzerteinnahmen akzeptieren wollte als Henley und Frey. Walsh und Timothy B. Schmit akzeptierten.
VEREWIGT MIT:
„Hotel California“
BRUCE SPRINGSTEEN & THEE STREET BAND
GRÜNDUNGSJAHR:
1972
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 120 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Disziplin
In den frühen Jahren verzichtete Springsteen auf den allzu kreativen Pianisten David Sancious, der später bei Sting und Peter Gabriel spielte, und den eiernden Schlagzeuger Vini Lopez. Gitarrist Steven Van Zandt kam, ging und kam, Nils Lofgren ist seit 1984 dabei. In den vergangenen Jahren starben Keyboarder Danny Federici und Saxofonist Clarence Clemons, doch sogar diese Verluste hielten die soldatische E Street Band nicht auf.
VORSICHT VOR:
Fernseh-Engagements
Van Zandt spielte jahrelang eine Hauptrolle in den ,,Sopranos“ und fehlte sporadisch bei Tourneen, jetzt dreht er in Norwegen die Serie „Lilyhammer“. Max Weinberg trommelte in der Show von Conan O’Brien.
VEREWIGT MIT:
„Born To Run“
AC/DC
GRÜNDUNGSJAHR:
1973
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 150 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Effektivität
Das Klischee, dass AC/DC immer denselben Song spielen, stimmt natürlich nicht ganz -man höre sich nur die fiese Erotik von „Can I Sit Next To You Girl“ an und die Breitseite von „Hells Bells“. Aber AC/DC sind eben Meister der Effektivität: Ein grandioses Angus-Young-Riff reicht für viele, viele Songs (die sich thematisch aufs Wesentliche beschränken), und so können sie mit kleinen Varianten immer wieder ein Ass aus dem Ärmel zaubern.
VORSICHT VOR:
auf blasbaren Puppen
Geschmackssicher sind AC/DC nicht: Selbst große Fans fürchten den Moment, wenn auf der Bühne eine barbusige und bestrapste Riesen-Gummipuppe zu „Whole Lotta Rosie“ aufgeblasen wird.
VEREWIGT MIT:
„Highway To Hell“
KISS
GRÜNDUNGSJAHR:
1973
VERK AUFSZ AHLEN:
mehr als 100 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Slipknot
Die genialische Erfindung wurde als Geldscheffelmaschine angelegt -und funktionierte auch so. Kiss gelang es, ohne eine einzige nennenswerte Platte auszukommen; ihr größter Hit, „I Was Made For Loving You“, gilt bei Fans bis heute als Fremdkörper. Gene Simmons schaffte es sogar, seinen einzigen Fehler zu überstehen: Das Abschminken raubte Kiss jede Ausstrahlung, alles Geheimnisvolle, allen Glamour.
VORSICHT VOR:
Hautkrankheiten
Das Alter ging barmherzig mit ihnen um, auf Ace Frehley konnte verzichtet werden. Gene Simmons‘ Zunge darf niemals schrumpfen -und auch die Funktionalität anderer Körperteile war immer sehr wichtig für ihn.
VEREWIGT M IT:
„Rock And Roll All Nite“
U2
GRÜNDUNGSJAHR:
1976
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 150 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Zusammenhalt
Bei keiner anderen Rockband sind die einzelnen Mitglieder so auf Augenhöhe -was daran liegen mag, dass die vier zusammen zur Schule gingen, immer noch in Dublin leben und tatsächlich Freunde sind. Bono wirkt vielleicht wie der Anführer, aber im Studio ist oft genug The Edge der Chef -und ohne das Rückgrat von Larry Mullen und Adam Clayton geht gar nichts. Das ist allen bewusst -und daran wurde auch nicht gerüttelt, als Bonos Ego kurzzeitig explodierte.
VORSICHT VOR:
Selbstironie
Zu ernst sollte man sich selbst nicht nehmen, aber als Bono 1992 plötzlich sein eigenes Rockstar-/Messias-Dasein als „MacPhisto“ persiflierte, war das doch zu viel des Lustigen. Danach wurde die Selbstironie deutlich zurückgefahren.
VEREWIGT MIT:
„Sunday Bloody Sunday“
METALLICA
GRÜNDUNGSJAHR:
1981
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 100 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Wucht
Metallica sind live eine Macht, der sich selbst Leute nicht entziehen können, die Metal sonst albern finden. Das liegt an der ungeheuren Kraft, mit der Lars Ulrich auf sein Schlagzeug eindrischt, und an James Hetfield, der es jederzeit versteht, das Publikum mitzunehmen und anzufeuern. Und nebenbei hat diese Band es immer wieder gewagt, neue Wege zu gehen -und sich notfalls unbeliebt zu machen. Keine Kompromisse!
VORSICHT VOR:
öffentlichen Therapien
Der Dokumentarfilm „Some Kind Of Monster“ von 2004 war ein hartes Brot. Wer will schon sehen, wie zimperlich eine so gewaltige Band privat sein kann? War zwar ein mutiges Statement, aber auch ein quälendes.
VEREWIGT MIT:
„Enter Sandman“
BON JOVI
GRÜNDUNGSJAHR:
1983
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 100 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Fleiß
Nicht umsonst sind Bon Jovi immer wieder dabei, wenn es um die „erfolgreichsten Tourneen des Jahres“ geht: Sie touren mit jedem Album monatelang. Dass man Jon Bon Jovi die Routine nur selten anmerkt, ist keine kleine Leistung. Es muss ganz schön anstrengend sein, jeden Abend den Strahlemann zu geben – zumal ihm tatsächlich das Kunststück gelingt, dass immer noch Mädchen in der 76. Reihe denken, er sänge nur für sie.
VORSICHT VOR:
zu vielen Balladen
Dass BJ oft gar nicht mehr als Rockband wahrgenommen werden, die sie live definitiv sind, liegt an den Balladen („Bed Of Roses“!“Always“!) und daran, dass der Sänger gern mit LeAnn Rimes oder Christina Stürmer herumschmachtet.
VEREWIGT MIT:
„Livin‘ On A Prayer“
RED HOT CHILI PEPPERS
GRÜNDUNGSJAHR:
1983
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 80 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Experimentierfreude
Erfolg durch Chuzpe: Die Kalifornier scherten sich einfach nicht um Genre-Grenzen und mischten fröhlich Rock und Funk und was noch so daherkam -lange bevor plötzlich alle Crossover toll fanden. Flea besorgte den Groove, Anthony Kiedis die Großmäuligkeit, und für die besonders magischen Momente war John Frusciante zuständig. Ohne den irren Gitarristen sind die Chili Peppers nicht dieselben.
VORSICHT VOR:
Socken
Es kam ihnen vielleicht „Freaky Styley“ vor, aber sich nur mit Socken bekleidet für ein Titelbild ablichten zu lassen, war keine gute Idee. So was wird man doch nie wieder los! Und was sollen die Kinder denken?
VEREWIGT MIT:
„Under The Bridge“
GREEN DAY
GRÜNDUNGSJAHR:
1987
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 75 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Ambitionen
Von der rotzigen Punkband zur Rock-Oper und wieder zurück, mit ein paar Volten zwischendrin: Wenn Green Day eins nicht ausstehen können, dann Stillstand. Sogar Menschen, die der juvenilen Energie von „Dookie“(Lieder über Ablehnung, Selbstbefriedigung, Rumhängen) nichts abgewinnen konnten, mussten beim ambitionierten Konzeptalbum „American Idiot“ den Hut ziehen: Billie Joe Armstrong überrascht einen mitunter doch.
VORSICHT VOR:
Kajal
Es wäre an der Zeit, den Kajalstift zu entsorgen. Mit 40, als neuerdings wieder trockener Familienvater und anerkannter Rockstar, muss Armstrong nicht mehr wie ein kleener Punker aussehen.
VEREWIGT MIT:
„Basket Case“
PEARL JAM
GRÜNDUNGSJAHR:
1990
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 60 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Integrität
Pearl Jam haben sich -nach dem Vorbild von R.E.M., der ersten Alternative-Rockband, die zu Weltruhm gelangte -ihre eigene Welt aufgebaut: Sie arbeiten seit Jahren mit denselben Leuten und lassen sich weder von Plattenfirmen noch Veranstaltern reinreden. Als die Eigenbrötler damals zur Grunge-Hochzeit beschlossen, keine Videos mehr zu drehen, um künftig weniger im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen, war das nur der Anfang.
VORSICHT VOR:
Jammerei
Nach Kurt Cobains Tod war das Gejammer von Eddie Vedder oft schwer zu ertragen -bis er sich am Riemen riss und versprach, sich niemals unterkriegen zu lassen, mit den schönen Worten: „I’m gonna quit being a quitter.“
VEREWIGT MIT:
„Alive“
FOO FIGHTERS
GRÜNDUNGSJAHR:
1994
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 20 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Spaß am Spiel
Es gibt nur wenige Menschen, die so penetrant so gute Laune zu haben scheinen wie Dave Grohl. Der Mann spielt einfach gern -mit allen und jedem -, er redet gern, er singt gern, er lacht gern, er komponiert gern, er tritt gern auf. Und das alles ohne größere Drogenzufuhr, der Mann trinkt bloß viel Kaffee. Seine Energie befeuert auch die Alben und Konzerte der Foo Fighters, die sich aus dem Schatten von Nirvana herausgestrampelt haben.
VORSICHT VOR:
verfrühten Greatest Hits
Grohl hielt ihr „Greatest Hits“-Album 2009 selbst für verfrüht: „Bräuchte man dafür nicht mehrere Hits?“, fragte er -und gab zu, dass er vertraglich dazu verpflichtet war. Nächstes Mal besser aufpassen!
VEREWIGT MIT:
„Everlong“
COLDPLAY
GRÜNDUNGSJAHR:
1996
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 60 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Gefühligkeit
Coldplay begannen mit einigen hübschen EPs als nette Band von nebenan, deren Songs vor allem als Sound funktionierten. Ganz gut, fanden die Kritiker -nur dieser Sänger ist wenig charismatisch. Der Sänger, Chris Martin, heiratete eine der begehrtesten Frauen des Planeten, die Schauspielerin Gwyneth Paltrow, und wurde ein Superstar. Die nette Band von nebenan schloss mit ihrem dritten Album zu U2 auf.
VORSICHT VOR:
Aussagen
Schaden könnte den Melodiemagiern allenfalls ein Auftritt beim Diktator von Tadschikistan oder ein unachtsam geschriebener Songtext, der die Taliban in Afghanistan oder Wladimir Putin glorifiziert.
VEREWIGT MIT:
„Yellow“
THE KILLERS
GRÜNDUNGSJAHR:
2001
VERKAUFSZAHLEN:
mehr als 20 Millionen Tonträger
VORBILD FÜR:
Ehrgeiz
Die Killers wollen was. Sie sind aus Las Vegas, aber für sie ist die Musik kein Spiel. Es geht ihnen nicht nur um eine coole Show oder ein bisschen Spaß. Brandon Flowers ist auf einer Mission: Er möchte so groß werden wie U2, er will unsterbliche Melodien schaffen – und hin und wieder gelingt ihm das auch fast. Von Album zu Album justieren The Killers ihre Ambitionen neu, strecken sich und haben keine Angst, alles in die Waagschale zu werfen.
VORSICHT VOR:
Krampf
Was Killers-Alben so attraktiv macht – die großen Gesten, das Pathos -, wirkt live leider oft verkrampft, wenn Flowers wie ein aufgezogenes Zinnsoldätchen über die Bühne stolziert. Lässigkeit ist nicht ihr Ding.
VEREWIGT MIT:
„Human“