Auch wenn sein Herz der Tradition gehört, mag Ben Harper auf Experimente nicht verzichten
Man muß nicht alles goutieren, was Harper auf nunmehr vier Alben von sich gegeben hat; man könnte ihm gar vorwerfen, dass er bei seinem andauernden Versuch, Led Zep mit der Carter Family zu verheiraten (oder Robert Johnson mit Metallica, einen Bob Marley-Groove mit Old Timey-Bläsern), zuweilen den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Aber eins ist der 29-jährige Kaufornier bestimmt: jederzeit gut für eine Überraschung. Hören wir da tatsächlich eine human beat box auf dem neuen Album „Burn To Shine?“ Ja, die hören wir.
„Ich hatte gerade einen Song fertiggeschrieben, in Nashville“, erzählt Harper aufgekratzt. „Ging dann zu unserem Tour-Bus, wo unser Bassist immer einen kleinen Amp hat. Und sagte: ,Hey, check mal das hier aus‘.“ Harper fangt an zu singen: „I pulled into Nashville, Tennessee… Der Bassist stieg ein, dann kam unser Stage-Manager dazu und fing mit ein bisschen beat-boxing an. Klang großartig! Also nahm ich’s gleich mit dem Walkman auf. Und für die Platte haben wir dann kaum was verändert.“
Andererseits: Überraschend ist der Einsatz der Beat-Box eigentlich nur im Kontext der Calypso-Soul-Eskapade „Steal Your Kisses“, nicht aber an sich. Harper war ja – da draußen in der Quasi-Wüste östlich von LA. – nicht nur mit den Blues-Platten seines Großvaters aufgewachsen, sondern auch mit Rap. Und Skateboards. Mit Einflüssen mithin, die ihn nicht zwangsläufig zum geborenen Traditionalisten machten.
Seine ersten Gigs indes spielte er mit Taj Mahal, der eines Tages aus heiterem Himmel anrief. Dieses Erlebnis, so Harper, könne er „kaum in Worte fassen. Von einem Mann wie ihm gesagt zu bekommen, dass ich musikalisch so weit gereift sei, um in seiner Welt willkommen zu sein – das war ein Zeichen für das, was kommen sollte.“ Ein Plattenvertrag nämlich, aber vor allem eine Explosion seiner musikalischen Evolution, die selbst Mahals komplexen Musik-Kosmos schnell zu klein werden ließ.
Die drei bisherigen Alben sind heute retrospektiv „eine Platte für mich, eine Trilogie. Ich brauchte drei Alben, um meine kreative Inspiration zu einem Stil zu fügen. „Burn To Shine“ ist der Beginn einer neuen Trilogie, an deren Ende ein anderer Sound stehen wird.“ Grenzenlosigkeit reize ihn, „nicht um clever dazustehen, sondern um verschiedenen Einflüssen mit meiner Stimme Ausdruck zu verleihen“.
Dass Harper damit Puristen ein Greuel ist, die’s nicht ertragen können, wenn die Grenzen zwischen akustischer und elektrischer Musik verwischt werden, weiß er nur zu gut. „Ich kann mir schon vorstellen, wie es damals für Dylan in Newport gewesen sein muß, als sie ihn von der Bühne gebuht haben. Aber ich habe keine Zeit, mich mit solchen Vorwürfen, mit solchen Leuten abzugeben.“ Auf den Hohepriester der – nach wie vor geliebten – Weissenborn-Lap Steel-Gitarre will er sich auch nicht reduzieren lassen. „Man sollte vielleicht nicht radikal brechen mit dem, was man etabliert hat Aber man sollte von dieser Basis aus immer wieder aufbrechen und sie verbreitern – da liegt die Herausforderung. Ich versuche nur, offen zu bleiben. Aber es ist anstrengend genug, im Studio meine eigene Stimme zu finden und alles zu sagen, was ich mir vorgestellt hatte – auch wenn der Abstand zwischen der Vision und dem, was am Ende rauskommt, immer geringer wird.“