Auch mit Biscuits kann man boxen
Wer den erhebenden Piano-Pop von Keane bisher nur zum Teetrinken gehört hat, muss umdenken: Bei der Roadshow werden sie keine Taste auf der anderen lassen
Das nennt man großes Comeback: Drei Jahre nach der letzten steht nun Mitte Oktober die neue ROLLING STONE ROADSHOW an – ein Abend mit Keane, den Psych-Rock-Schweden The Soundtrack Of Our Lives und der neuen britischen Sensation Razorlight. Heißes Pflaster in fünf Städten.
Der Schnarchtassen-Verdacht gegen die Band Keane aus der südostenglischen Grafschaft Sussex ist gewaltig. Und, zumindest als Verdacht, bestens nachvollziehbar. Dass die Musik von Keane eher die Wirkung eines Beruhigungsmittels hat, wissen inzwischen Zehntausende von Plattenkäufern, vor allem in England, wo das Debütalbum „Hopes And Fears“ auf Platz eins in die Charts fiel. Leute, die mit Keane im iPod eine Fährfahrt machen, werden nie seekrank, sondern schauen den Möwen hinterher. Der Regen-Tee schmeckt nachweislich besser, wenn „Bend And Break“ läuft: „If only I don’t suffocate/ I’ll meet you in the morning when you wake.“ Nicht nur die kreative Pause von Coldplay ist mitverantwortlich dafür, dass Traumsüchtige, Kuschelmenschen und emotional ausgehungerte Britpopper diese Platte viel viel lieber mögen als die Jazz- und Soul-Substitute, die ihnen Wochenend-Magazine als neue Lieblingsmusik angedichtet haben. Aber live? Hält das wach, am Ende eines argen Tages? Oder, allgemeinverständlich formuliert: Rockt das etwa?
Auch wenn Sie sich wundern: Tut es. Schon deshalb, weil das berühmte Klavier, das bei Keane gleich mehrere Gitarristen ersetzt, im Konzert lauter und voluminöser ist und viel weiter im Vordergrund steht als auf Platte. Keane haben bei uns bisher in kleinen Clubs gespielt, und wenn ihre Bühnen nun zwangsläufig größer werden, könnten sie sich ja einen zweiten Keyboarder dazustellen, der nur so tut, als ob er spielt. Zu dritt sind sie rein optisch keine Macht, klanglich dagegen nehmen sie es gern mit jedem auf, wobei ihnen ein kleiner Computer hilft, auf dem der Bass gespeichert ist. Und Tom Chaplin, die Baby-Dogge mit den Nackenlocken, bewegt sich als Sänger mit freien Händen oft in einem beachtlichen Radius. Dann entschuldigt er sich tatsächlich beim Publikum, natürlich grinsend, dass er am heutigen Tag einen riesigen Energiestoß bekommen habe und Zuhörern und Bandpartnern sicher vergleichbar schwer auf die Nerven falle.
Wie die ersten Auftritte waren, die Keane als junge, leicht zu beeindruckende Band (noch zu viert mit dem Gitarristen Dominick) im aufregenden London spielten, ist nicht zuverlässig überliefert. Nur, dass das alles nicht so toll lief. „Man kann sich ja vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man in eine Stadt kommt, die im Kino toll aussieht, und dann muss man jeden Morgen früh aufstehen, sich durch die rush hour kämpfen und pünktlich bei der Arbeit sein“, sagt Pianist Tim Rice-Oxley. Die Schulfreunde waren eigentlich zum Musikmachen gemeinsam aus dem Sussex-Dorf Battle in die große Stadt gekommen, und dann wurde auch die Musik immer mehr zum zusätzlichen Stress: „Abends heimkommen, die Instrumente in unsere zwei kleinen Autos einladen, meilenweit zum Proberaum fahren, vier Stunden proben, wieder heim, fünf Stunden später wieder aufstehen und alles von vorn.“ Konzerte und Biere mit Promotern brachten Keane nicht weiter, während die Freunde namens Coldplay einen Vertrag bekamen. Der London-Aufenthalt habe sie und ihre Songs vor allem melancholisch gemacht, nie überschwänglich. Entdeckt wurden Keane dann, nachdem sie nach Sussex heimgekehrt waren.
„Mit der Band haben wir unter anderem deshalb angefangen, weil wir so schüchterne Leute sind und uns anders schlecht ausdrücken können“, sagt Rice-Oxley, als wolle er der klischierten Unterstellung einfach zuvorkommen. „Und mit den Jahren haben wir, glaube ich, gelernt, das mit der Musik so hinzubekommen, dass es nicht nur Therapie ist, sondern auch gut klingt.“ Ist das die langfristige Leistung von Travis und Coldplay, Schüchternheit als geradezu offensives Argument dafür eingeführt zu haben, eine Band zu gründen? „Es wird mittlerweile besser akzeptiert. Aber denk doch mal an Paul Simon. Er ist kein Freddie Mercury oder Eddie Van Halen, aber er ist trotzdem voller Leidenschaft und Wut. Da sind nicht nur sanfte Gefühle. Auch Fran Healy redet doch nicht darüber, Blumen zu pflücken und sie einem Mädchen zu schenken. Er kann sehr wütend sein!“
Travis, manche wissen es noch, haben vor grob fünf Jahren bei der ersten Rolling Stone Roadshow überaus brillant geheadlinet. Coldplay und Starsailor gaben uns die Ehre, und der Engländer würde sagen: Nützt die Chance, solange man bei einem Keane-Konzert noch so nah an die Bühne darf. Wie sie singen: „This Is The Last Time“!