Arschtritt, bitte! The Prodigy zeigen wieder Zähne
In harten Zeiten fühlen sich alte Füchse am wohlsten. The Prodigy zeigen wieder Zähne.
Die elektronische Musik ist weich geworden“, sagt Liam Howlett, „und sie braucht wieder einen Tritt in den Arsch.“ So als gäbe es gar keinen Zweifel daran, dass dazu irgendjemand anderer als er, der 43-jährige Familienvater, und seine zwei Kollegen, Keith Flint und Maxim, berufen sein könnten. „Es ist der Job von The Prodigy, den Soundtrack zur Konfrontation abzuliefern“, so Howlett weiter.
Der routinierte Tonfall verrät, dass er sich diese Kampfansage schon lange vor unserem Interview als Leitsatz für die Rückkehr seiner Band zurechtgelegt hat. Einer konkreteren Begründung der neu entflammten Aggression in seiner Musik verweigert er sich allerdings ebenso beharrlich wie der Platte fein geschnittenen, duftenden Obstes, die der Zimmerservice vor seine und Kollege Maxims Nase auf dem Couchtisch platziert hat. „Ich mag keine Erdbeeren“, stellt Maxim entschieden fest, und irgendwas im Funkeln seiner Silberzähne rät davon ab, ihn auf die alternativ zur Verfügung stehenden Ananas und Bananen aufmerksam zu machen.
Das Bild zweier Männer in schwarzen Motorrad-Lederjacken in einer weiß getäfelten, gut geheizten Hotelsuite – der eine mit Wollmütze und Kapuze (Howlett), der andere mit Sonnenbrille (Maxim) – schreit förmlich nach hobbypsychologischer Deutung: Man gibt sich gewappnet, nicht nur nach außen hin. Maxim erwähnt unaufgefordert „Sachen, die wir persönlich und auch innerhalb der Band durchgemacht haben“. Und er lacht ein bisschen lauter als nötig auf, als Liam Howlett den bei unserem Termin – vielleicht wegen seiner nebenberuflichen Pflichten als Pub-Wirt – abwesenden Keith Flint als „eigentlich ziemlich komplex“ beschreibt. Sechs Jahre lang haben der fürs Programmieren allein zuständige Howlett und seine beiden Mitstreiter an ihrem neuen Werk, „The Day Is My Enemy“, herumgefeilt und dabei fast alle Tracks, die sie in den vergangenen Festival-Saisons live ausprobiert hatten, wieder verworfen. Insbesondere Bandleader Howlett und seine rabiate Bulldogge Flint, die einander (laut Ersterem) „wie Brüder“ lieben, gerieten immer wieder aneinander, aber dann war der richtige Moment gekommen, und „plötzlich schrieb sich das Album wie von selbst“.
Tatsächlich fühlt sich 2015 wie ein Jahr an, in dem es auch jenseits ihres Stammreviers auf Sommerbühnen zwischen Bier- und Burger-Buden wieder mehr Raum für The Prodigy geben könnte, schon allein der historischen Parallelen wegen: Vor einem knappen Vierteljahrhundert ließ der speedgeschwängerte Hit „Charly“ ihre Breakbeats erstmals weit über die illegale Rave-Szene entlang der Londoner Ringautobahn hinaus erklingen. Bald darauf bestrafte die konservative Regierung den jugendlichen Hedonismus mit ihrem berüchtigten Criminal Justice Act, der öffentliche Versammlungen zwecks Anhören von Musik mit „repetitiven Beats“ zum Delikt erklärte. The Prodigy antworteten darauf damals mit „Their Law“, einer Platte mit einer klaren Botschaft („Fuck ’em and their law“). Der Sound des Raver-Haufens aus der südostenglischen Kleinstadt Braintree war indessen zu einer Art neurotischem Androiden-Rock mutiert, passend zur Paranoia, die die nun überall von Polizeikommandos verfolgte Dance-Szene ergriffen hatte. Im Großen und Ganzen ist die Band seither bei dieser Formel geblieben. „Es ist wichtig für uns, immer wie The Prodigy zu klingen“, sagt Liam Howlett, der seine 2004 auf dem Quasi-Soloalbum „Always Outnumbered, Never Outgunned“ kulminierte Heimbastler-Phase sichtlich bereut: „Es gibt nichts Langweiligeres für mich als nur vor meinem Computer-Bildschirm zu sitzen. Ich weiß selber nicht, wie ich an diesem Punkt angelangt war.“
Die hörbar wiedergefundene Gang-Mentalität von The Prodigy passt nun wieder gut zu einem Großbritannien, in dem höfliche Sprosse guter Häuser alle Kanäle des Pop beherrschen und die Austerity-Gesellschaft jeden Ansatz von Müßiggang mit voller Härte verfolgt. Nicht umsonst hat es der von Jägern gehetzte Vorstadtfuchs aus dem Video zur ersten neuen Single, „Nasty“, sozusagen als symbolisches Wappentier aufs Cover von „The Day Is My Enemy“ geschafft. Kein Wunder auch, dass The Prodigy sich zu den Underclass-Poeten Sleaford Mods hingezogen fühlen, deren Plappermaul Jason Williamson mit einer Tirade gegen USB-Stick-DJs namens „Ibiza“ für einen der originellsten Momente des neuen Albums sorgt. „Für mich ist das etwas, das gesagt werden musste“, meint Howlett. „Außerdem verstehe ich Jasons Bezüge, weil er ungefähr so alt ist wie ich. Er spricht meine Sprache.“ Und Obst rührt der sicher auch keins an.