ars electronica
Man muß Rockmusik nicht verdammen, um die elektronische zu lieben. Wer in diesem Jahrzehnt mit der Gitarre arbeitet, dem geht es um Sublimation, die Innovation aber findet im Großraum Elektronika statt. Und man sollte hinzufügen, daß die Verfeinerung verdammt aufregend sein kann, während Erneuerung zuweilen ein recht langweiliges Geschäft ist. Sowas wie Authentizität jedenfalls, über die sich populäre Musik ja immer wieder legitimieren muß, findet man in beiden Bereichen. Nachmacher natürlich auch.
Bezeichnend, daß die allgemeine Akzeptanz von Techno während der angebrochenen Dekade in jenem Maße wuchs, mit der seine Artisten die Attraktivität von Aspekten wie Aura und Autorenschaft für sich erkannten. Eine schwierige Angelegenheit in einer Klangkunst, deren Vertreter hinter ihren Computern oder Plattentellern rumwuseln. Aber wer hier zu strahlen vermag, der strahlt natürlich umso heller.
Zumal Neutöner wie die Chemical Brothers und Duft Punk archetypische Genres wie Rock per Elektroschock in sogenannte Big Beats transformierten und damit auch die alte Attitüde, womit die zirzensischen Prodigy sich an die Chartsspitzen der Welt schössen. Und wie Aphex Twin. Ein anämisches Kerlchen, dessen Werk keineswegs so grenzüberschreitend aufgefallen wäre, verstände er es nicht, seine Person schillernd in Szene zu setzen. In seiner Garage parkt er einen Panzer, Konzerte veranstaltet er gerne mal in seiner Wohnung. Und auf Plattencover präsentiert dieser Technokobold seine Visage, wenn es sein muß, auch mal häßlich entstellt.
Anfang der Neunziger lancierte sein Label Warp Records halb ironisch, halb trotzig den Begriff „Intelligent Techno“ – um zu zeigen, daß hinter jedem Computer ein denkendes und fühlendes Individuum sitzt Und Aphex Twin, der die meiste Zeit seines Lebens mit einem Joint bei seinen geliebten Blechbüxen verbringt, ist das beste Beispiel dafür. Der Engländer wechselt spielerisch zwischen den Subgenres, von Ambient bis Breakbeat ist alles möglich. Seine Kunst ist hochkomplex und auf eigenwillige Art theatralisch.
Natürlich nicht ganz so wie die von Tricky. Der steigt gerne mal in Kostüme, seine Lyrics sind die totale Selbstentäußerung. So wurde der TripHop-Tragöde aus Bristol zum Star. Massive Attack, bei denen er sein Handwerk gelernt hat, gehören zu den Vorreitern des Genres. Sie haben als erste HipHop-Beats, Dub-Schlaufen und kunstvolle Samples mit dem klassischen Song verhandelt. Tricky ist hingegen seit seinem Debütalbum „Maxinquaye“ das Gesicht, das ewig mit dem „Sound Of Bristol“ verbunden bleibt – auch wenn er oftmals seine Konzerte launisch im Dunklen abhält. Allerdings ist er auch ein Beispiel dafür, wie gefährlich es ist, wenn Künstler und Kunst zur Einheit verschmelzen. Mit seinen Nachfolgewerken verzettelte er sich in seiner Rolle als leidendes Individuum.
Sowas kann Goldie nicht passieren. Er hat Drum’n’Bass zum Pop erhoben, spätesten seit seinem Monumentalwerk „Timeless“ ist dieses Underground-Thema kompatibel für die Charts. Der Mann ist ein Stratege, ein Tausendsassa, jedenfalls kein Leisetreter. Drum’n’Bass stellt zweifellos die schnellste und am kompliziertesten codierte elektronische Musik dar. Hardcore, Dark, Ragga, Hardstep,Jazzy Jungle – die Aufsplitterung und Ausformulierung in den wenigen Jahren seit Entstehung ist enorm. Shut Up And Dance, 4 Hero, Grooverider gelten zu Recht als die innovativen Kräfte. Doch Goldie hat das Sentiment einer Musik herausgearbeitet, die nur vermeintlich abstrakt ist. Wie jeder große Künstler ist er Magier und Manipulator. Ein Star eben.