Arne Wilnder über den Abschied von der Pop-Prinzessin, eine Kerze im Wind und den Schauder angesichts des Schreckens
Es war ein hartes Jahr für Elton John, aber er trug seine Freunde mit Fassung zu Grabe. Erst wurde Gianni Versace schäbig aus seinem glamourösen Leben gerissen, dann verunglückte die Hl.Lady Diana nebst Dodi. Die Rose Englands ist verweht, doch ewig werden ihre Fußstapfen Englands Hügel schmücken, und die Sterne werden ihren Namen buchstabieren. Daß der parfümierte Kitsch von „Candle In The Wind“, den Eltons Hauspoet Bernie Taupin flugs in drei Strophen umfrisierte, bei der Trauerfeier in der Westminster Abbey zur Aufführung kam, ist dem eisernen Willen des Sängers zu verdanken. Elton, im Gesicht wächsern und mit nervös zuckender Augenbraue, griff entrückt in die Tasten und vergaß vor lauter Aufregung den gewohnten Schmalz in der Stimme. Das Lied, 1974 für die ebenfalls mit 36 Jahren heimgegangene Marylin geschrieben, paßt für beinahe jede Gelegenheit. Die schiefe Metapher der Kerze im Wind, die – anders als bei Monroe – hier eben nicht für flüchtig hingehauchtes Leben, sondern für ewiges Andenken steht -, ertrank im Tränenmeer. Prinz William weinte, keine Kamera sah es. Dabei hatte die Mutter zeitlebens Duran Duran gehört.
Oder Pavarotti. Der Koloß wankte als anmutiger Mehlsack in die Kathedrale, grämlich auf zwei zarte Frauen gestützt, das Gesicht aufgelöst in Hitze und Schmerz. Sein größter Auftritt, ohne Frage, und ohne die zwei Tenöre an seiner Seite. Anders als Elton hätte er keinen Ton herausgebracht, so Pavarotti, geschweige denn das Hohe C. Daß Sting und George Michael nicht sangen, muß wohl mit der Garstigkeit der Queen erklärt werden. Die Königin mit einem Herz aus Stein heuchelte eine zweiminütige Ansprache ins Fernsehen, ihre Kälte und Gleichgültigkeit konnten von der vorformulierten Pflicht-Trauer nicht kaschiert werden.
Ein Triumph für den Pop, ein Triumph für die Demokratie war dieser Abschied von einer Frau, die den Pop verkörperte wie keine andere.
Konsequent nur, daß der sonst obligatorische Auftrieb malader Staatsdiener diesmal per Protokoll verhindert wurde.
Deutschland hatte da natürlich ohnehin nichts zu bieten außer einem Botschafter, der zwei Tage zuvor die Amtsgeschäfte übernommen hatte. Ein beherzter Auftritt von, sagen wir: Wolfgang Joop, Wim Wenders, Karl Lagerfeld, Michael Schumacher, Steffi Graf, Boris Becker, Anke Huber und Königin Sylvia von Schweden hätte die Nation geadelt. Gerhard Schröder hatte vergessen, sich selbst einzuladen. Dagegen las sein Bruder im Geiste, Tony Blair, aus den Korintherbriefen: „Die Liebe höret nimmer auf.“ Wie das Rehauge das tat, so mild und verzagt, so eingedenk der Tragik und der Endlichkeit, zugleich bestimmt und erdenfern – das hatte Glamour, das war Staatskunst.
Nun ist alles anders, die Welt hat ihr Lächeln verloren. Schauderte es uns nicht grauslich vor dem Fernseher, als wir das Unfaßbare denken mußten: ein Leben ohne Diana, ohne Fotos von Fitneßklubs und Minenfeldern, keine Schnappschüsse mehr von gewaltigen Yachten im Mittelmeer, von potenten Arabern mit Brustbehaarung und Küssen auf Motorbooten, keine besinnlichen Besuche mehr bei sterbenden Kindern und greisen Ordensschwestern? Keine Reitlehrer mehr, keine Beichten im Fernsehen, keine Bulimie? Ach, es war banal, aber es war erhaben. Mit dem alten Popstar Immanuel Can’t freuten wir uns, denn unser Wohlgefallen war interesselos, wir schauten das Schöne (und manchmal das Schreckliche), mehr wollten wir nicht. Aber der Teilzeit-Philosoph W. Joop hat natürlich trotzdem recht, wenn er in einer Quatschbude den advocatus diaboli spielt: Ist doch auch schön, wenn man der Katastrophe mitten ins Auge blickt und sie nicht zurückschaut. Andererseits steuert uns auch kein trunkener Chauffeur in einem zweifelhaften Mercedes mit 190 Sachen in einen Pariser TunneL Auf „Wettrennen der Machos“ erkannte Alice Schwarzer glasklar, die Trophäe Diana war erlegt.
Beiden „MTV Awards“ dankte L. L. Cool J der Prinzessin ebenso wie Notorious B.I.G. und Tupac Shakur. Kleine Welt. Und schon raunt man von einer Wiedervereinigung der Beatles mit Clapton als Lennon, und Nick Cave ruft aus der Gruft nach Rache: „If there is ever an opportunity to put into exercise the much needed practice of lynching journalists and paparazzi then that time is now. Happy hunting, kids.“ Richard Branson, Mann schneller Entschlüsse, nutzt den Furor für sein V2-Label und motiviert – Überraschung – Paul McCartney, Eric Clapton, Elton und Pavarotti und Lady Annie Lennox für ein Benefiz-Album.
Hören wir also „Candle In The Wind ’97“, in Windeseile bei Nacht und Nebel von eifrigen Wohltätern gepreßt und verpackt, keiner wollte einen Groschen, alles geht an den Fund. Noch eine Träne für die Rose von England – und Dank Dir, Elton, für diesen historischen Moment. Auch der Autor spendet selbstverständlich sein karges Honorar für diese Kolumne. Wer weiß, wozu es gut ist