Arctic Monkeys
Wir gingen an jenem Abend noch in den „Mudd Club“, um uns diese neue Band aus England anzusehen. Eigentlich hatten wir keine Lust: Es war Montag, regnete unablässig, und was sind schon neue Bands aus England? Gibt ja jede Woche eine neue. Und die hier hatte noch keine Platte, nur den ganzen Internet-Kram – aber der war gut. Ziemlich gut sogar. Auch sonst war alles anders: Im Club waren fast nur Briten. Sie tanzten, sangen alles mit, und irgendwann kippten die Boxen um. Die Musiker waren schüchterne kleine Jungs in Polohemden, und der Bassist sah aus wie ein Mallorca-Pauschal reisender. Trotzdem zweifelten wir keinen Moment daran, Zeuge von etwas ganz Besonderem zu sein.
Dreieinhalb Jahre später ist Matt Helders der einzige Monkey, mit dem man noch zu einem Premier-League-Spiel gehen könnte, ohne ein paar auf die Fresse zu kriegen. Jeans, Sneakers, ein Sweat-Shirt mit lustigen Polarhunden – der Schlagzeuger setzt mit bewundernswerter Konsequenz ungebrochen auf britischen Kleinstadt-Realismus. Jamie Cook und Nick O’Malley hingegen sieht man deutlich die modischen Folgen einer Sequenz mit Josh Hommes Wüstenfreunden an, von der wir gleich berichten werden. Zwar haben der Gitarrist und der Bassist, der vor drei Jahren „Pauschal-Urlauber“ Andy Nicholson ablöste, inzwischen wieder ihre Barte abrasiert. Sie wirken aber mit langen Haaren und gereiften Gesichtern irgendwie… wenig britisch, und vor allem: erwachsen.
Das ist übrigens das Stichwort, wenn wir gleich über das neue Album „Humbug“ reden. Mag jetzt langweilig klingen – ist aber sicher nicht halb so öde wie endlose Aufgüsse von „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ es wären. Eigentlich ist es sogar ziemlich aufregend.
„Ich weiß, was du meinst, mag aber den Begriff nicht“, sagt jetzt Alex Turner erwartungsgemäß. Der Sänger sieht auch überhaupt nicht erwachsen aus, eher feminin. Aber lange Haare hat auch er. Turner rührt in seinem Tee – „zu heiß, riecht aber gut“ – und fährt fort: „Weil .erwachsen‘ so ernst und abgeklärt klingt. Als hätten wir keinen Spaß mehr. Tatsächlich hatten wir aber wahnsinnig viel Spaß beim Schreiben und Aufnehmen dieser Songs. Wahrscheinlich sogar mehr als je zuvor. Ich würde also lieber von Weiterentwicklung sprechen. Nicht als bewusst gesteuerter, sondern als ein natürlicher, sich automatisch ergebender Reifeprozess.“
Ich sage ihm, dass das meiner Definition von Erwachsenwerden ziemlich nahe kommt, woraufhin er überlegt – und eher widerwillig noch etwas hinterher schiebt. „Inzwischen schreibe ich mehr mit der Akustik-Gitarre“, sagt er, schlürft vorsichtig am Tee und schüttelt dann lachend den Kopf: „Stopp, das ist totaler Unsinn! Ich sitze hier und lüge dich an. Es hat sich gar nichts geändert, alles war wie immer.“ Eine Untertreibung. Mindestens.
Ursprünglich sollte 2008 bis auf einem Auftritt beim britischen Latitude-Festival Pause sein. Turner war mit seiner Zweitband Last Shadow Puppets beschäftigt, Helders eröffnete daheim in Sheffield einen Klamottenladen (den er inzwischen wieder geschlossen hat), Hobby-Fußballer Cook, von dem man sagt, er hätte vielleicht das Zeug zum Profi gehabt, wenn er dran geblieben wäre, spielte zum ersten Mal seit längerer Zeit eine komplette Saison mit seiner alten Thekenmannschaft in der Sheffield Sunday League. Doch als wir Turner im Sommer bei einem Puppets-Konzert in Berlin treffen, erzählt er überraschend von ersten Monkeys-Sessions in einem Farmhaus in der Grafschaft Suffolk. Eigentlich habe man dort nur ein bisschen proben wollen, doch plötzlich mitten in der Arbeit an neuem Material gesteckt. Seit Wochen wache er Nacht für Nacht auf, so der für seine präzisen Alltagsbeobachtungen gelobte Sänger weiter, und schreibe wie im Rausch bis in die frühen Morgenstunden. „Observations that stimulate the lyrics“, wie er mit dem verschwörerischen Ton eines Chandler-Protagonisten hinzufügt.
Aus Entwürfen wurden Songs, und bald darauf traf sich die Band mit Laurence Bell, dem Chef ihrer Plattenfirma Domino. Sie hätten da all diese neuen Ideen. Im Prinzip könnten sie gleich ins Studio gehen. Irgendetwas aber fehle noch. Eine andere Perspektive vielleicht. Bell schlug vor, man solle Josh Homme anrufen. „Josh Homme?“, fragte Turner, „Josh Homme“, antwortete Bell.
Turner fand, das sei ein seltsamer Vorschlag. Gut: Die Monkeys liebten die Musik der Queens Of The Stone Age ebenso wie Josh Homme die ihre. Das hatte er ihnen zumindest gesagt, als er vor längerer Zeit nach einem Auftritt in Belgien in ihre Garderobe kam. Das Kompliment hat sie stolz gemacht und auch ein bisschen verlegen – aber eine ganze Platte zusammen aufnehmen?
Es wurde dann eine Art Schnupperwoche vereinbart. Man traf sich in L.A., und es muss ziemlich interessant gewesen sein, wie diese Vertreter verschiedener Kulturen und Generationen zum ersten Mal aufeinander prallten. Die middle dass kids aus der britischen Provinz auf der einen Seite -jener geheimbündlerische Zirkel beinahe doppelt so alter amerikanischer Rocker, der Homme seit Jahren umgibt, auf der anderen. Männer wie der Gitarrist und Toningenieur Alain Johannes, der die kompletten Aufnahmen von „Humbus“ begleiten sollte.
Entgegen aller Wahrscheinlichkeit funktionierte das Experiment, und zum Schluss besiegelte Homme die Zusammenarbeit, indem er ihnen vier Paar dieser hässlichen Plastik-Clogs schenkte, die Will Oldham manchmal auf der Bühne trägt. „Die haben wir weggeschmissen“, gesteht Helders. Sonst aber sei Homme ein toller Typ. „Ein wahrer Gentleman des Südens“, wie O’Malley findet – und ein unermüdlicher Arbeiter. „Vor allem ist er ein dermaßen guter Gitarrist, dass wir Komplexe kriegten, sobald er im Raum war.“
Dann ein Rückschlag: Im Oktober wurde Turner nach einem Auftritt seine Aktentasche mit einem braunen Notizbuch geklaut. Nicht irgendein Notizbuch war das, sondern eines, in dem der Sänger sämtliche Texte der neuen Songs aufgeschrieben hatte. Und nein, es gab keine Abschrift, keine Sicherheitskopie, keine elektronische Version. Bono war Ähnliches zum ersten Mal 1980 passiert, und Jahre später ließ er dann seinen Laptop mit sämtlichen Texten für „All That You Can’t Leave Behind“ in einem Hotel stehen, kriegte das Gerät aber später wieder.
Nicht so Turner: Zwar nennen die anderen Monkeys ihn wegen gelegentlicher Anflüge typischer Rockstar-Allüren mit Vorliebe „Bono“ – das Glück des Namenspaten war ihm jedoch nicht beschieden. Der Sänger war verzweifelt, sagt aber heute, der Diebstahl habe auch etwas Gutes gehabt: „Ich konnte vieles rekapitulieren. Ausgehend von diesen Fetzen entwickelten sich die Texte in eine neue, teilweise bessere Richtung, die sie sonst wohl nie genommen hätten.“
Im Dezember hatte er das Meiste wieder beisammen, und es ging zurück zu Homme. Untergebracht war die Band nun im mythenumrankten Joshua Tree Inn-Hotel. O’Malley wohnte dort pikanterweise in jenem Zimmer mit der Nummer acht, in dem der frühere Dauergast Gram Parsons an einer Überdosis starb – heute eine Art Wallfahrtsort. „Es kommen eine Menge Pilger“, erklärt der Bassist. „Vor der Tür steht ein Schrein mit Kerzen sowie leeren Whiskey- und Bierflaschen. Bisschen einschüchternd, wenn man nachts nach Hause kommt.“
Ist also womöglich der Geist von Gram Parsons in die neue Platte gefahren? Cook lacht: „Das vielleicht nicht gerade. Aber du kannst nicht in der Wüste aufnehmen, ohne von ihr beeinflusst zu werden. Zudem hörten wir Roky Erickson und CCR, auch das hat uns inspiriert.“
Zwölf Songs nahm die Band in Kalifornien auf. Eigentlich genug für ein Album – aber irgendwie war die Sache noch nicht rund. „Es gab noch ein paar Ideen, die wir ausbauen wollten“, sagt Cook. Und dabei sollte ihnen James Ford helfen.
Der Musiker, Produzent und DJ ist ein zurückhaltender, ernsthafter Typ, der auf den internationalen Raves, für die er gebucht wird, die Zeit bis zu seinem Set um vier Uhr morgens lieber mit einem guten Buch verbringt als szenetypisch mit Alkohol und Drogen. Neben seiner Arbeit für die Last Shadow Puppets, Klaxons, Peaches und andere ist Ford seit den frühen Tagen mit den Monkeys verbandelt. Fragt man ihn nach seiner Funktion, gibt er zwar gerne Auskunft – er sagt aber auch: „Eigentlich solltest du nur mit den Jungs sprechen, das ist ihre Band.“ Cook ist anderer Meinung: „James ist unser Leader. Wir vertrauen ihm absolut. Ohne ihn hätten wir die Platte nicht machen können.“
Zwar war Ford gerade mit Simian Mobile Disco auf Tournee in den USA, er versprach aber, an freien Tagen zu helfen. Die Monkeys quartierten sich in den New Yorker Mission Studios ein. Dort arbeiteten sie tagsüber „und gingen abends in die Clubs, in denen James auflegte“, erinnert sich Helders. Unter anderem begleitete der HipHop-sozialisierte Schlagzeuger Ford zu einem Auftritt in Miami, wo er eine surreale Erfahrung machte. .James hat auf einer Party von P. Diddy aufgelegt, Busta Rhymes war auch da. Anschließend lud Diddy in seine Villa – und dort stellt sich heraus, dass er ein riesengroßer Arctic Monkeys-Fan ist.“
Derartige Erlebnisse hält Helders übrigens in seinem Video-Blog fest, in dem man die Band unter anderem beim gemeinschaftlichen Bad sieht, aber auch sämtliche Stadien der Albumproduktion nachvollziehen kann.
Eine achtmonatige Reise neigt sich dem Ende zu. Suffolk, Los Angeles, Joshua Tree, New York, Miami – den halben Erdball haben sie umrundet. Und zwischendurch waren sie immer wieder in Sheffield. Bis auf Turner leben alle Monkeys nach wie vor dort, wo alles begann. „Wir kennen uns, seit wir sieben oder acht sind“, erklärt O’Malley. „Haben dieselben Freunde und gehen in dieselben Pubs wie früher.“
„Sheffield ist für uns wie Dublin für U2„, fügt Cook hinzu. „Dort leben unsere Familien, die Stadt erdet uns. Verglichen mit Berlin oder New York mag es wenig zu tun zu geben – aber es ist unsere Heimat.“
Neid sei den alten Freunden trotz des offensichtlichen Sozialgefälles fremd – ebenso wie innerhalb der Band keine derartigen Gefühle kultiviert würden. „Ob ich mir Sorgen wegen der Last Shadow Puppets gemacht habe?“, fragt Cook. „Im Gegenteil: Ich hab Alex sogar dazu geraten. Und letztlich haben wir als Band davon profitiert: Diese Erfahrung hat ihm geholfen, ein besserer Sänger zu werden. Früher war das ja eher so eine Art schnelles Sprechen, aber jetzt singt er richtig.“
Tatsächlich geht der Einfluss der Last Shadow Puppets auf das schließlich von Rieh Costey abgemischte und nach Dickens‘ berühmtem Zitat aus „A Christmas Carol“ benannte Album weiter: Die Sturm-und-Drang-Elemente im Sound dieser Band werden geordneter eingesetzt als zuletzt und immer wieder zu erhabenem Sehnsuchts-Pop verdichtet. Hinzu kommen verschiedene andere Elemente: Hommes Beteiligung etwa wird nicht immer so deutlich wie in den Fuzz-Gitarren von „Pretty Visitors“, ist aber doch allgegenwärtig. Generell gilt: Die Arctic Monkeys klingen auf „Humbug“ souverän und, man muss es sagen: im besten Sinne erwachsen.
Musikalisch und auch sonst ist die Band der jüngsten Brit-Pop-Welle endgültig entwachsen: Sie covern Lady Gagas „Pokerface“, und ihr Produzent ist ein gefragter DJ im gehobenen Elektro-Segment. Die Queens Of The Stone Age verehren sie ebenso wie P. Diddy, aber ihre Melodien erinnern an Scott Walker. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen, kompilieren ihre Alben jedoch ausgewogen und mit Bedacht. Nicht zuletzt haben sie einen festen Heimatbegriff und sind trotzdem global orientiert und interessiert. Die Arctic Monkeys passen perfekt ins Pop-Verständnis dieser Zeit, weil sie nach allen Seiten offen sind – keine Codes, kaum Barrieren.
Eines jedoch sind sie nicht: charakterlos. Und das sagt vielleicht mehr über ihre angeblich so eigenschaftsarme Generation aus als 20 Artikel über Orientierungslosigkeit und die Allgegenwärtigkeit von Krisen jeglicher Art als vermeintlich einziges identitätstiftendes Merkmal.