Arcade Fire in Berlin: Die größte Band der Welt?
Arcade Fire sind noch immer die größte Indie-Rock-Band der Gegenwart, wie sie beim Konzert in der Berliner Wuhlheide unter Beweis stellten. Sie glänzen in dem, was sie tun, und das wissen sie auch. Ob sie ihrem Spiegelbild verfallen?
Arcade Fire sind der Zirkus Roncalli unter den Rockbands, und sie sind es mit Bravour. Frontmann Win Butler bekreuzigt sich schon nach dem Opener „Reflektor“. Mit Lust preschen sie durch die Perlen ihrer vier Alben. Die Hits von „Funeral“ und „Neon Bible“, gleichzeitig schwermütig und lebensbejahend, sind die wenigen Momente ohne Glitzerstaub und entwickeln so eine stille Sogkraft, auch den Songs von „The Suburbs“ gelingt dieser Spagat.
Was jedoch früh auffällt: „Neighborhood #3“ und „Rebellion (Lies)“, die Herzstücke ihrer ekstatischen Shows, werden zum Überbrückungsprogramm degradiert. Die Melancholie des frühen Materials lässt sich nicht eins zu eins auf das neue Image von Arcade Fire als Glam-Band übertragen, dementsprechend sind eher die neuen Songs auch die frühen Höhepunkte. „Joan of Arc“ zum Beispiel, mit seinem kakophonischem Intro und Régine Chassagnes Bridge in Französisch, oder ausgerechnet „Flashbulb Eyes“: auf dem „Reflektor“-Album gern übersehener Lückenfüller, live jedoch eine Wucht. Während Butler „What if the camera really do take your soul?“ singt, schießt er noch lässig ein Selfie mit Publikum, auf das in sozialen Netzwerken zu diesem Zeitpunkt noch gewartet wird.
Der Budenzauber macht was her: Win Butler sieht arty aus mit seiner Gesichtsbemalung, genauso wie Régine im Sinus-Kosinus-Saturnringkleid und die anderen Bandmitglieder in Glitzerfummelblusen – Hauptsache, es schimmert. Dieser Stil durchzieht den Abend: Kaum ein Song ohne Gimmick. Der Hintergrund ist wie ein Kaleidoskop, mal eine psychedelische Regenbogenleinwand, mal ein Vorhang aus Spiegelscherben am Schnürchen. Gerade die zweite Mini-Bühne in der Mitte der Wuhlheide wird Schauplatz der Kirmes. Bei „It’s Never Over (Hey Orpheus)“ schmachtet Régine Chassagne dort als Eurydike mit Glitzerkopfhörern ihren fernen Orpheus a.k.a Win Butler auf der Hauptbühne an, bei „Supersymmetry“ hantiert sie bedeutungsschwer mit zwei Spiegeln, bei „We Exist“ schlängelt eine Tanztruppe in Skelett-Suits ihre Körper. Ein fleischgewordener Reflektor im Astronautenanzug mit Spiegelbesatz, der die kanadische Kapelle willkommen hieß, taucht später noch einmal zum geheimnisvollen Ausdruckstanz auf.
„Here Comes The Night Time“ singen Arcade Fire auf „Reflektor“, doch die „Night Time“ ließ sich Zeit: Selbst bei den letzten Tönen von „Wake Up“ war es noch frühsommerlich hell, und diese Voodoo-Disco-Gala ist bei Tageslicht etwas weniger mystisch und etwas mehr der Blingbling-Maskenball eines fahrenden Volkes. Sie glänzen in dem, was sie tun, und das wissen sie auch. Ob sie ihrem Spiegelbild verfallen?
Bei der Zugabe gibt eine Band, die sich als „The Reflektors“ ausgibt und die bekannten Bobblehead-Köpfe (diesmal ohne Papst) übergestülpt hat, ein Stück zum Besten: „Komm gib mir deine Hand“, eine der beiden deutschsprachigen Beatles-Singles. Aber Arcade Fire lassen sich doch nicht von maskierten Beatles ausstechen. Win spielt den Erzürnten und kämpft mit „Normal Person“ dagegen an: ein Triumph. Finale. Bei „Here Comes The Night“ ist die Welt ein bunter Regen aus Luftschlangen und Konfettistreifen, und dass es immer noch schön ist, bei „Wake Up“ schief mitzugrölen, sollte bekannt sein.
Arcade Fire machen zurzeit genau das, was sie wollen. Und zufällig scheint es genau das zu sein, was wir wollen. Macht so was nicht die größten Bands der Welt aus?