Arbeiter? Klasse!
Ein Nebenjob kann besser sein als eine gute Szene: Die niedlichen Thermals lärmen im Künstlerparadies
Es ist ein absolutes Rätsel, wie die Band The Thermals ihr Zeug spielt, ohne dass sich irgendwer von ihnen attackiert fühlt. Wenn sie auf eine Bühne gehen, machen sie, dass sich der kleine Raum noch kleiner anfühlt. Dann spielen sie 25 Stücke, die alle so kurz, schnell, schön, gellend, laut, unleise, lärmig und krachend sind, dass es nichts macht, dass sie alle gleich klingen. Fliegenschisse, die in Projektilgeschwindigkeit Schlimmes anrichten. Und Sänger Hutch Harris hat eine Stimme wie eine Raupe, die Eisen frisst, und er singt Punkrock als Mann tatsächlich so feminin wie möglich und mit einem feierlichen Beben. „Ich kann die Töne besser halten, wenn ich sehr laut und hoch singe, deshalb hab ich mir, glaube ich, den Stil angewöhnt“, sagt Harris. „Wenn ich zu Hause bin, klingt die Stimme anders, aber wenn ich Leuten vorsinge, möchte ich sie ihnen ins Maul stopfen.“
Auf den Covern der ersten zwei Thermals-Platten waren Explosionen zu sehen (auf der neuen, dritten „The Body, The Blood, The Machine“ ist immerhin noch Rauch!), und das passt, weil die Thermals klingen, als ob sie gleich explodieren und nur noch genügend Sauerstoff sammeln müssen, als ob die Nachbarn an allen Wänden hämmern und alle Zeiger im roten, brenzligen Teil der Skala zittern. Trotzdem fühlt sich niemand bedroht. Die Thermals wirken niedlich, einmal stand sogar irgendwo, dass sie klingen, als ob Kinder spielen.
So nett sind nicht einmal die Ramones gewesen! Mit 15 war Hutch Harris ein Stubenhocker-Junge in San Jose, Kalifornien, und er spielte auf seiner neuen Gitarre die Lieder von Nirvana. Obwohl er Guns N’Roses lieber mochte, aber die Sachen von Slash waren ihm zu schwierig zum Nachspielen. Er liebte Punk und Metal, ohne selbst ein Punk oder Metal-Kid zu sein, und mit Kathy Foster war er damals schon befreundet. Heute, mit 30, wohnt er in Portland, Oregon, Kathy ist seine Bassistin und Songschreibe-Partnerin, aber ein Punk ist er weniger denn je. Das muss auch nicht sein, das ist ja die Emanzipation der 90er Jahre.
Portland ist derzeit die erste Indie-Rock-Stadt der USA, hier wohnen The Shins, die eben aufgelösten Sleater-Kinney, Modest Mouse, Steve Malkmus, Black Heart Procession, die Decemberists. Wie immer: ökonomische Gründe, billiges Leben, es gibt Jobs, die einen in 25 Stunden pro Woche ernähren und die genug Zeit für die Kunst lassen (Hutch kellnert, Kathy designt Snowboard-Mode für Frauen, wenn sie nicht auf Tour sind). „Wenn ich Geld hätte, würde ich nach New York gehen“, sagt Harris, „aber es ist so schön und freundlich hier. Fast zu schön. Viele denken, dass man hier faul wird. Dass selbst die Künstler in einer Stadt wie Portland irgendwann die Motivation für ihre Kunst verlieren, weil das Leben so leicht ist.“
60 Dollar soll die Produktion der ersten, rauschig-wahnsinnigen Thermals-Platte „More Parts Per Million“ 2004 gekostet haben – Harns enthüllt: Es waren nur zehn Dollar! Zehn Kassetten, die er für den Vier-Spur-Rekorder brauchte, an denen sogar drei Major-Labels Interesse hatten (aber die Thermals wollten lieber zum kleinen Label Sub Pop, wo auch Nirvana waren). Als die Band die bizarre Anfrage der Geländewagen-Firma Hummer ablehnte, eines der Vierspur-Lieder für einen Werbespot zu vermieten und die Nachrichtenagentur AP darüber berichtete, kamen Dankesbriefe aus ganz Amerika. „Auch von Leuten, die uns nicht kannten. Viele Bands werden bekannt, weil sie einen Song in der Werbung haben. Wir wurden bekannt, weil wir eben keinen hatten.“
Was für Schluffis! will man da rufen. Ihr und das ganze Portland-Pack, die schöne, kunstsinnige Teilzeitarbeiterklasse! Der Witz am Schluss ist natürlich, dass alle drei Thermals-Platten und die Konzerte richtig super sind, möglicherweise aber nur für Hörer, die selbst solche Schluffis sind.