Anwalts Eldorado
Bei eBay suchen Anwälte im Namen von Künstlern nach Verkäufern von illegalen CDs - und verklagen sie
Man kennt das ja: Auf dem Flohmarkt, beim billigen Jakob oder auf dem Kaufhaus-Wühltisch liegen unzählige CDs von mehr oder weniger bekannten Künstlern zum Verkauf bereit. Und das zu Preisen, die oftmals den einer Schachtel Zigaretten nicht übertreffen — die Gelegenheit ist also günstig. Und wird durchaus genutzt, denn nur so ist zu erklären, daß mit Geschmack und Vernunft ausgestattete Menschen plötzlich Bands in ihrer Sammlung haben, die sie zum Vollpreis gar nicht mögen würden. Wenn die entsprechenden Platten überraschenderweise dann doch nicht mehr zum Aushalten sind, kann man sie ja immer noch verschenken oder besser noch – problemlos über ein Online-Auktionshaus versteigern. Irgendeiner kauft den Kram ja immer.
Das dachte sich wohl auch Dietmar Wesp. Der 34jährige Versicherungsmakler und begeisterte Plattensammler aus dem bayerischen Waldkraiburg hatte auf einem Flohmarkt eine CD der „Drei Tenöre“ Jose Carreras, Placido Domingo und Luciano Pavarotti entdeckt und für zwei Euro gekauft. Zwar gehört Klassik nicht gerade zu seinen bevorzugten Genres, doch die Platte „wurde so mit anderen einfach mal mitgekauft“. Man weiß ja nie. Aber weil sich weder Wesp noch seine Familie letztlich für das „Superklassisch“ (Georg Ringsgwandl) der drei prominenten Herren begeistern konnten, stellte der zweifache Familienvater diese und auch andere Tonträger bei eBay ein.
„Ich wollte mal sehen, was ich dafür wohl noch bekommen würde“, sagt Wesp. Und tatsächlich: Für ein Gebot von genau fünf Euro und einen Cent fand sich recht bald ein Käufer. Der Höchstbieter überwies fix, Wesp revanchierte sich mit einer positiven Beurteilung: „Superschnelle Bezahlung, top, gerne wieder“ hieß es noch am 16. Juni. Doch schon sechs Tage später ergänzte er seine Bewertung hektisch und warnte andere eBayer: „Vorsicht, ist Anwalt und will 411 Euro zwecks Unterlassungsklage, Finger weg!“
Was war passiert? Wesp — aber auch eine Reihe anderer eBayer mit ähnlichen Angeboten — hatte von dem sich nun als Anwalt entpuppenden Käufer Dr. Gerhard Rau unangenehme Post bekommen. In dem Schreiben, das dem ROLLING STONE vorliegt, wird ihm vorgeworfen, „eine von den Künstlern hinsichtlich der Nutzungsrechte ihrer Gesangsaufnahmen und ihrer Portraitabbildungen nicht autorisierte CD-Veröffentlichung“
angeboten und verkauft zu haben. Die Konsequenzen: Wesp soll sich nicht nur verpflichten, die betreffende CD nicht mehr anzubieten, sondern auch die Kosten des Anwalts in Höhe von insgesamt 822 Euro bezahlen.
Bei dem betreffenden Tonträger hatte es sich also nicht um eine reguläre Veröffentlichung gehandelt. Denn auch so etwas gibt es beim besagten billigen Jakob: Bunt zusammengewürfelte Mitschnitte, deren Inhalt häufig aus mäßigen Live-Aufnahmen oder wahllosen Aneinanderreihungen verschiedener Songs besteht. Herkunft und Label sind zumeist unbekannt, auch optisch sind die CDs alles andere als opulente Deluxe-Editions – aber der Preis ist eben unschlagbar.
Rechtsanwalt Rau, der offiziell im Auftrag von Jose Carreras und Placido Domingo handelt, erklärt sein Anliegen: „Es werden uralte Rundfunkmitschnitte von öffentlichen Aufführungen ausgewertet – und zwar mit all den Schwächen und Fehlern einer solchen Veranstaltung. Studioproduktionen werden dagegen mit höchster Akribie vorgenommen, so daß durch die Veröffentlichung solcher Aufnahmen der künstierische Ruf der Sänger beschädigt wird.“ Zudem, so Rau. würde ja auch der Konsument selbst benachteiligt: „Der Käufer erwartet aufgrund des Covers und der Anpreisung doch eine Höchstleistung der Sänger – und wird ohne diesbezüglichen Hinweis einfach mit minderwertigen Aufnahmen abgespeist.“ Deswegen besucht der Anwalt das Auktionshaus seit einiger Zeit ganz gezielt, um so nach und nach die Spreu vom Weizen zu trennen.
Dietmar Wesp hat dafür zwar Verständnis, ist aber dennoch stinksauer: „Ich kann’s irgendwo verstehen, aber die Wahl der Mittel ärgert mich. Wer über einen Anwalt arglose Kunden verklagt, sollte boykottiert werden. Die Künstler müssen halt verhindern, daß solche minderwertigen Platten überhaupt erst hergestellt werden.“ Auch Joerg Heidnch, Justiziar des Heise-Verlags, kritisiert das Vorgehen: „Nicht selten statten die Künstler und Rechteinhaber Anwaltskanzleien mit Generalvollmachten aus — und kümmern sich später kaum darum, was diese damit anrichten.“ Für die mit einer solchen Vollmacht ausgestatteten Kanzleien sei das Internet quasi eine Lizenz zum Gelddrucken.
„Gerade in den letzten Monaten“, so der Medienrechtsexperte weiter, „hat sich eBay zu einem Eldorado für Abmahnanwälte gewandelt. Neben professionellen Raubkopierern trifft es dabei jedoch auch immer mehr ahnungslose Privatverkäufer.“ Und tatsächlich liegt laut Heidnch in dem Verkauf einer nicht ordnungsgemäß lizenzierten Musik-CD ein Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz vor. Pech für Dietmar Wesp: Es kommt dabei nicht darauf an, ob dem Verkäufer der Verstoß bekannt war.
Wie aber sollen ahnungslose Anbieter wie Wesp vorher wissen, ob die betreffende Platte nun legal ist oder nicht? Joerg Heidrich: „Für eine Privatperson ist es mit vertretbarem Aufwand kaum möglich, in dem Gestrüpp der unterschiedlichen Lizenzvereinbarungen zu erkennen, ob eine CD tatsächlich mit Zustimmung der Rechteinhaber vertrieben wird.“