Antony & The Johnsons – I Am A Bird Now
Punkte: 138
Auch wenn’s ein paar Jahre dauerte, bis man Antony Hegarty bemerkte: Selten waren sich die Großen so einig. Nicht nur die üblichen Verdächtigen bei den einschlägigen Fachblättern, sondern auch der Hype-Generierung wirklich völlig unverdächtige Rockstars wie Boy George, Lou Reed oder Rufus Wainwright fanden nach dem schon 1998 erschienenen Debüt warme Worte für den entrückten Stilmix von Antony And The Johnsons.
Nicht nur das: Auf „I Am A Bird Now“, das konsequenterweise 2005 den angesehenen Mercury Music Prize gewinnen konnte, sind die traditionell eher fremdelnden Altherren mit dabei: Wainwright etwa leiht dem kleinen „What Can I Do“ seine Stimme, Reed, der Hegarty 2003 in sein Vorprogramm nahm, spielt im Gospel-beeinflussten „Fistful Of Love“ die Gitarre und spricht einige Worte. „You Are My Sister“ ist ein Duett mit Boy George, an anderer Stelle ist Folk-Kauz Devendra Banhart zu hören. Das Bemerkenswerte: Alle ordnen sie sich dem Gesamtkonzept dieser Platte, aber auch dem jeweiligen Song unter. Es wäre auch gar nicht möglich, Hegarty die Show zu stehlen. Der Brite, der einst mit seinen Eltern zunächst nach Kalifornien und später nach New York auswanderte, bewegt sich in einem betörenden Wunderland, das von tiefer Traurigkeit durchzogen und nicht mit den üblichen Koordinaten fassbar ist. Wie Wainwright verbindet er Songwritertum und Klassik, dessen barocker Bombast ist ihm jedoch völlig fremd. Stattdessen versucht er sich an einer Art Kammermusik, die instrumental in erster Linie von Streichern und Tasteninstrumenten getragen wird und stimmlich stets in der Schwebe bleibt. Bryan Ferry mag man da heraushören, aber auch Aretha Franklin oder Joni Mitchell. Doch wo deren Stimmen immer das jeweilige Geschlecht transportierten, schwebt Hegarty zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit, was auch inhaltlich manifestiert wird. „For Today, I’m A Boy“, heißt es einmal, und dass das keine finale Erkenntnis, sondern genderthematischer Schnappschuss ist, dürfte jedem klar sein, der dieses Album hört.
Notiz am Rande: Neben dem Nachfolger „The Crying Light“ ist auch „Hercules And Love Affair“ einen näheren Blick wert: Auf dem Album des gleichnamigen New Yorker Discohouse-Projekts übernahm Hegarty bei einigen Songs den Gesang.