Antony & The Johnsons – Heidelberg, Karlstorbahnhof
Die Augen verwirrt, die Ohren verzaubert - Antony & The Johnsons
Wenn Rufus Wainwright der neue Prinz des Pop ist, dann ist Antony die Königin. Die Diva des New Yorker Untergrunds, die dem theatralischen Spiel seines hochbegabten New Yorker Freundes Tragik, Pathos und Grandezza entgegensetzt.
Was man an diesem Abend in Heidelberg erwartet hätte: Zwielichte Gestalten an seltsamen, nie zuvor gesehenen, in Silberpapier eingewickelten Instrumenten im Hintergrund und davor ein zwitterhaftes Wesen – so zwischen Marlene Dietrich, Klaus Nomi, Billie Holiday und Nico -, knietief in Nebel stehend. So stellt man sich doch den veritablen New Yorker Untergrund vor, oder? In Hamburg, Berlin, Köln oder München.
Was man sieht: fünf Menschen mit Gitarre, Baß, Violine, Cello und Akkordeon, die einem auch in der Fußgängerzone von Hamburg, Berlin, Köln oder München nicht aufgefallen wären, wenn man sie vorher nicht hier in Heidelberg auf der Bühne gesehen hätte. Und ein mittelaltes, vollschlankes Muttchen im Schlabberlook mit Jute-Täschchen, wie man es vermutlich in jeder Kindertagesstätte zumindest in Berlin – antreffen kann, das sich umständlich auf der engen Bühne hinter das Piano quetscht.
Was man hört, läßt jedoch alles, was man sieht, im Nu vergessen. „My Lady Story“ leitet den Abend ein: I’m so broken babe/ But I want to see/ Some shining eye/ Some of my beauty/ My lostest beauty“ – eine Performance von gebrochener Schönheit und Pathos von einem zwitterhaften Wesen, das sich niemals zu Ernst nimmt. Als Antony im zweiten Song in „Cripple And The Starfish“ statt „Yes, so Cripple-Pig was happy“, „Mr. Prickle was happv“ singt, bricht er vor Lachen in seiner dunklen Ecke fast zusammen. Dann – wie fast das gesamte Konzert – im Halbdunkel ein feierliches „The Lake“: „But when the night had thrown her pall/ Upon that spot as upon all/ And the wind would pass me by/ In its stilly melody“, später eine anrührende Version von Moondogs Madrigal „All Is Loneliness“, das natürlich mit einer einzigen Stimme eigentlich nicht aufzuführen ist, aber es funktioniert trotzdem – mit stilechtem Taktklopfen auf dem Pianodeckel. Leonard Cohens „The Guests“ kommt zur Aufführung, Nicos „Afraid“ und „Hope There’s Someone“ geraten gespenstisch, als Zugabe spielen Antony und seine Johnsons eine unheimliche neue Ballade und nach längerem Bitten zum Abschluß dann auch „Candy Says“, Lou Reeds Lied über Candy Darling, die ja das „I Am A Bird Now“-Cover ziert. Ein weiblicher Fan überreicht Antony eine weiße Lilie – und plötzlich steht Antony dort engelsgleich, wie der Verkünder der heiligen Botschaft von Marlene Dietrich, Klaus Nomi, Billie Holiday und Nico.