Antony Hegarty – „Heirat ist eine dumme Idee“
Antony verabschiedet sich mit "Cut The World" von den Johnsons. Nebenbei propagiert er einen Systemsturz und schützt die Natur
Ein großer dunkler Schatten schlurft in die Bar eines Hamburger Nobelhotels. Antony Hegarty wirkt an diesem Montagmorgen leicht derangiert. Der in England geborene New Yorker trägt verschiedene, sehr dunkle Kleidungsstücke übereinander, nur ein Paar babyrosafarbene Schuhe sorgen für einen Klecks Farbe. Nachdem der Sänger einen müden, aber anerkennenden Blick auf die Außenalster geworfen hat, fragt er, ob dies bereits das Meer sei. Nein, sage ich, bis zum Meer ist es noch weit. Antony ist hier, um über sein neues Album „Cut The World“ zu reden, auf dem er zusammen mit einem großen Sinfonieorchester eigene Songs neu interpretiert. Das Thema Natur steht dabei im Mittelpunkt.
„Cut The World“ wirkt ein wenig wie “ Antony Plays His Greatest Hits With A Symphony Orchestra“. Absicht?
Nico Muhly, ein klassischer Komponist aus New York, hat mich darauf gebracht, denn er wollte einige meiner Songs für eine Symphonie neu interpretieren. Ich arbeite ja bereits seit „The Crying Light“ mit größeren Arrangements. „Cut The World“ ist jetzt ein Live-Album, das ich zusammen mit dem Dänischen National-Orchester aufgenommen habe. Es fasst die Entwicklung der letzten Jahre zusammen und enthält bekannte Songs von mir, die durch symphonische Arrangements stark verändert wurden.
Der einzige neue Song des Albums ist der Titelsong.
„Cut The World“ stammt aus einer Produktion von Robert Wilson, die ich als musikalischer Leiter betreue. Das Stück heißt „The Life And Death Of Marina Abramovic“ – die Künstlerin selbst spielt darin die Hauptrolle. In vielerlei Hinsicht klingen in „Cut The World“ frühere Songs von mir an, aber ich würde es eher als eine Abkehr sehen.
„Future Feminism“ ist dagegen kein Song, sondern eine engagierte Rede, ein Plädoyer für die Natur und die Abschaffung des Patriarchats. Hätte man das nicht als Text beilegen können?
Zuerst fand ich den Gedanken, die Rede auf das Album zu nehmen, auch etwas absurd. Dann wurde mir klar, dass ich auf Konzerten gerne mal zum Publikum spreche. Früher habe ich solche Reden immer sehr persönlich gehalten. Ich habe nie über allgemeine oder politische Themen gesprochen, schon gar nicht in den Medien. In dieser Gesellschaft ermuntert man uns nicht zum Mitmachen. Es sind oft immer wieder dieselben Politiker, Wissenschaftler und CEOs, die in den Medien das Wort ergreifen.
Aber Sie wollten nicht als Experte reden, sondern als ganz normaler Bürger, als Betroffener?
Richtig. Viele von uns fühlen sich nicht gut genug gerüstet, um an solchen Debatten teilzunehmen, sie halten sich für nicht berechtigt, etwas dazu zu sagen. Emotionale Haltungen werden oft als hysterisch angesehen oder als weniger wertvoll. Aber als Künstler habe ich vielleicht auch etwas beizutragen – gerade auf der Basis von Intuitionen und Gefühlen.
Sie möchten zum Beispiel das Patriarchat abschaffen – ein Thema, an dem sich Feministinnen schon seit Jahrzehnten abarbeiten. Wie wollen Sie das erreichen – mit Quoten in Politik und Wirtschaft?
Es ergibt wenig Sinn, mehr Frauen in Regierungs- und Firmensysteme zu integrieren. Es geht nicht nur darum, die gleiche Teilhabe und gleiche Bezahlung zu ermöglichen, sondern darum, das System selbst infrage zu stellen. Wir sollten uns fragen: Ist der Kapitalismus überhaupt in der Lage, sich selbst so weit zu regulieren, dass unsere Interessen und die der Natur gewährleistet sind?
Was halten Sie von der Occupy-Bewegung – ist das ein Schritt in die richtige Richtung?
Occupy hat in Amerika einen Bann gebrochen. Plötzlich geht es nicht mehr nur um Demokraten gegen Republikaner, sondern um Arbeiter- und Mittelklasse gegen die Macht der Firmen. Für viele Menschen in Amerika war das ein Aha-Moment. Aber ich fürchte, dass sich das alles schon bald wieder auflöst.
Das klingt pessimistisch.
Mag sein, aber die Republikaner haben es immer wieder hinbekommen, die Menschen zu manipulieren. Sie lenken Debatten auf moralische Themen wie „Rechte für Schwule“. Das macht sie auch für die Mittelklasse interessant und wählbar. Aber warum sollten Schwule unbedingt heiraten? Das ist eine dumme und abgenutzte Idee, das geht überhaupt nicht!
Warum stört Sie eine Diskussion über die Schwulen-Ehe?
Weil deshalb auch Menschen aus der Arbeiter- und Mittelklasse die Republikaner wählen und so die Interessen der großen Konzerne über ihre eigenen stellen. Dabei sollte es doch um das Wohl der Menschen und des Planeten gehen.
Was für ein Verhältnis haben Sie persönlich zur Natur?
Es gibt die idyllische natürliche Welt, ein Paradies jenseits des Zugriffs durch Menschen. Und dann gibt es Natur als Manifestation menschlicher Arbeit. Wir bauen Fabriken, so wie Viren sich reproduzieren. Wenn Sie Viren unter einem Mikroskop anschauen, stellen Sie fest, dass ein ähnliches System dahintersteckt wie bei der industriellen Produktion.