„Ans Ziel schaffe ich es nie“
ÜR EINEN MOMENT sorgt man sich um seine Konstitution, als im Vorfeld wiederholt gebeten wird, laut und deutlich zu sprechen, bevor er gleich -„Woody likes to be on time“ – pünktlich auf die Minute in seine Suite des Pariser Hotels Le Bristol kommt. Doch entweder trägt Woody Allen inzwischen das beste Hörgerät auf dem Markt, oder die Warnungen der PR-Phalanx rund um seinen aktuellen Film „Blue Jasmine“ waren schlicht übertrieben. Denn wie bei noch jeder Begegnung in all den Jahren versteht der Meister auch mit 77 jedes Wort, weiß scheel lächelnd Pointen zu setzen und macht so gar nicht den Eindruck, eingeschränkt zu sein in seiner Schaffenskraft. Ganz im Gegenteil kommt er direkt von der Côte d’Azur, wo er mit Emma Stone und Colin Firth gerade seinen Beitrag fürs Filmjahr 2014 abgedreht hat. Das wird dann übrigens sein 50. Spielfilm sein.
Und so einzigartig die Routine jährlicher Dreharbeiten nach eigenen Büchern ewig bleiben wird unter den großen Regisseuren unserer Zeit, so selbstverständlich möchte er nicht belobigt werden für seine Arbeit. Manchmal glaubt man, es sei Koketterie, wenn Allen sich für ein kleines Licht hält im Vergleich zu seinen Idolen Ingmar Bergman oder Akira Kurosawa. Doch die feste Überzeugung, dass seine Filme am Ende nie so gut gelingen, wie er sie vorher im Kopf hatte, sie sitzt noch immer tief beim New Yorker Filmemacher schlechthin, der mit um den schmalen Körper flatterndem Outfit aus Cordhose und Karohemd ein bisschen aussieht wie Großväterchen beim Taubenfüttern. Zweifellos sind es die tiefen Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, die ihn immer wieder antreiben. Und zuweilen zu Meisterwerken beflügeln wie im Fall von „Blue Jasmine“. Sein bestes Drama seit „Match Point“, mindestens, das eine oscarreife Cate Blanchett in der Hauptrolle einer gefallenen Finanziersgattin zeigt, die nach einem Leben in Luxus in der Realität aufschlägt und schleichend dem Wahnsinn verfällt.
Mr. Allen, in einem früheren Interview erklärten Sie einmal, das Schreiben von Frauenrollen erst durch Ihre Zeit an der Seite von Diane Keaton gelernt zu haben. Lassen Sie sich auch heute noch durch Frauen in Ihrem Umfeld inspirieren -und gab es ein Vorbild für das nervliche Wrack in „Blue Jasmine“?
Es stimmt, Keaton hatte ganz allgemein großen Einfluss auf mich. Sie besitzt eine so große Persönlichkeit, ist so smart und kreativ, dass ich die Welt damals durch ihre Augen zu sehen begann. Bis dahin schrieb ich fast nur Männerfiguren, meist für mich selbst, doch plötzlich konnte ich die Figur aus „Der Stadtneurotiker“ schaffen. Ein wahrer Heureka-Moment, zum ersten Mal begann ich, die Mehrdimensionalität von Frauen zu verstehen, als Autor und als Privatmann.
Und heute? Könnten wir in Ihren Filmen Frauen aus Ihrem Leben wiederfinden?
Nicht, wenn ich es vermeiden kann. Als Autor muss man über den Punkt hinwegkommen, an dem man sein eigenes Leben reflektiert, und den Mut zur Imagination aufbringen. Die Idee zu „Blue Jasmine“ kam mir, als meine Frau von der Freundin einer Freundin erzählte, deren Leben in der Upper Class mit traumatischen Folgen kollabiert war. Doch ich habe diese Person nie getroffen und finde in Jasmine eher einige meiner eigenen Charakterzüge wieder. Auch ich habe mich schon schuldig gemacht, zeitweise die Realität auszublenden oder die Wahrheit nicht hören zu wollen. Doch letztlich ist Jasmine eher ein Produkt unserer Zeit als persönliche Reflexion.
US-Kritiker fühlten sich mehrfach an Blanche DuBois aus „Endstation Sehnsucht“ erinnert. Eine künstlerische Inspiration?
Nein, an Tennessee Williams habe ich beim Schreiben für keine Sekunde gedacht. Ich überlegte vielmehr, ob „Blue Jasmine“ ein besserer Stoff für eine Komödie oder für eine Tragödie wäre. Dann fiel mir der Film „Die tolle Tante“ von 1958 ein, in dem eine Society-Lady in den Zwanzigern durch die große Depression aus der Bahn geworfen wurde. Das war eine Komödie, also entschied ich mich für den gegenteiligen Ansatz.
Welchen Stellenwert hatte die Wirtschaftskrise unserer Tage für Ihren Stoff?
Auch daran habe ich nie gedacht während der Arbeit. Es ist eher ein Zufall -ich will nicht sagen, ein glücklicher Unfall, aber ein Zufall -, dass der Film das Publikum anzusprechen scheint, weil er breites Identifikationspotenzial bietet. Im Grunde ist jeder erwischt worden vom Banken-Crash, Menschen aller Schichten in den USA und in Europa. Ich konzentrierte mich trotzdem allein auf die persönliche Tragik dieser Frau, und könnte Filme für den Zeitgeist auch gar nicht planen, selbst wenn ich es wollte.
Wurden Sie auch persönlich von der Wirtschaftskrise getroffen?
Nicht besonders. Ich habe Börsenspekulationen immer vermieden und wollte nie wohlhabend sein. Meinen Buchhalter instruierte ich schon vor langer Zeit, dass ich zwar genug zum Leben und Arbeiten brauche, aber auf keinen Fall reich werden möchte durch riskante Anlagen. Das Finanzgeschäft ist nicht meine Welt. Ich bin im Showbusiness und habe in Folge der Krise nur Zinseinkünfte auf mein Erspartes verloren. Nicht zu vergleichen mit den Verlusten, die Lehrer oder Fabrikarbeiter bei ihren Pensionen hinnehmen mussten.
Wäre finanzielle Freiheit nicht auch hilfreich für künstlerische Unabhängigkeit?
Früher, als ich etwas mehr auf der hohen Kante hatte, habe ich tatsächlich Geld in meine Filme gesteckt, um ein, zwei Wochen nachzudrehen. Heute kann ich das nicht mehr. Wenn ich mitten im Dreh erste Muster sehe, die nichts taugen, quetsche ich die Nachdrehs sofort in den Produktionsplan. So überziehe ich den Dreh vielleicht um zwei Tage, wo es in den Achtzigern noch oft zwei teure Wochen waren.
Ihren Film „September“ haben Sie 1987 mit Studiomitteln sogar komplett ein zweites Mal mit neuer Besetzung gedreht. Besteht die Chance, dass die erste Fassung jemals ans Licht kommt?
Oh nein, diese Version ist für immer vergraben. Stattdessen wünschte ich, dass ich „September“ ein drittes Mal hätte angehen können. Womöglich hätte der Film dann auch so funktioniert, wie ich es erhofft hatte.
Was sind Ihre individuellen Kriterien dafür, ob eine Arbeit geglückt ist oder nicht?
Ich muss am Ende immer den fertigen Film mit dem Film vor meinem inneren Auge vergleichen, der zuerst existiert, wenn ich das letzte Blatt aus der Schreibmaschine ziehe. Und die Differenz ist eigentlich immer niederschmetternd. Mal mehr, mal weniger, doch ganz ans Ziel habe ich es noch nie geschafft.
Sind Sie möglicherweise gar nicht in der Lage zur objektiven Beurteilung? Kritiker und Publikum, die nicht wenige Ihrer Arbeiten als Meisterwerke feiern, können doch nicht alle falsch liegen.
Ich habe keine einzige Filmkritik mehr gelesen, seit ich 1966 „What’s Up, Tiger Lily?“ drehte. Damals schickte mir der Produzent einen ganzen Packen Rezensionen, in dem von Hymnen bis zu Verrissen alles dabei war – und ich habe früh begriffen, dass ich daraus überhaupt keinen Wert für mich ziehen kann.
Gibt es Menschen in Ihrem Umfeld, deren Urteil Sie zu Rate ziehen?
Rohschnitte meiner Filme zeige ich immer einigen Freunden und Familienmitgliedern. Doch die haben strenge Anweisungen, mir danach nur zu sagen, was ihnen überhaupt nicht gefallen hat. Lob stößt bei mir ohnehin auf taube Ohren, so freundlich es gemeint sein mag. Doch wenn manchmal ein paar Freunde die gleichen Probleme mit der Story oder einer Figur haben, dann ist das für mich ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass ich mich verrannt habe und beim Schnitt noch genauer arbeiten muss. Haben Sie nach all den Jahren ein sicheres Gefühl dafür, ob ein Film beim Publikum ankommen dürfte?
Überhaupt nicht. Es ist ein endloses Rätsel, warum der eine Film ein Hit wird und der nächste untergeht. Meinen Psychiater habe ich früher wahnsinnig gemacht mit solchen Zweifeln. Inzwischen habe ich die Unplanbarkeit des Lebens akzeptiert und gehe auch nicht mehr zur Gesprächstherapie. Psychoanalyse hilft, wenn du den Willen, das Geld und die Zeit dafür hast. Doch das Problem ist, dass du nie die Problemlösungen bekommst, die du dir eigentlich erhoffst.
Wie gehen Sie in Ihrem Alter physisch mit den Belastungen um, jedes Jahr einen neuen Film zu inszenieren?
Oh, das ist okay. Die Produktion nimmt ja nur acht, neun Wochen im Jahr ein. Die Leute glauben immer, meine Arbeit sei so schwierig, doch im Vergleich zu anderen Regisseuren ist sie sehr leicht, weil ich im Grunde sofort in Produktion gehe, wenn ein Drehbuch fertig ist. Das klappt nur, weil ich strikt innerhalb eines bescheidenen Budgetrahmens bleibe. Dagegen kenne ich viele Kollegen, die sich aufreiben, weil sie jahrelang das Geld für ihre Großprojekte jagen müssen.
Haben Sie es leichter, weil Schauspieler blind zusagen, wenn Woody Allen anruft?
Ich wünschte, Sie hätten recht. Doch auch ich bekomme viele Absagen von Schauspielern, denen die Gage nicht genügt oder die am Drehbuch herumwerkeln wollen. Manchmal braucht man einfach nur reines Glück. Cate Blanchett ist zweifellos die führende Schauspielerin ihrer Generation, ihr Vielfältigkeit ist ein natürliches Geschenk. Meryl Streep, Gena Rowlands oder Geraldine Page besitzen auch diese Tiefe und Komplexität, aber oft findet man das als Regisseur nicht. Doch dass sie „Blue Jasmine“ drehen konnte, war reines Glück -sie war davor jahrelang am Theater verpflichtet und hatte zufällig ein kleines Zeitfenster frei.
Bei „Whatever Works“ arbeiteten Sie schon mit Larry David, diesmal besetzten Sie Louis C. K. und Andrew Dice Clay. Drehen Sie oft mit Comedians, weil Sie selbst dieser Welt entstammen?
Mit den Jahren habe ich die Überzeugung gewonnen, dass Komiker fast immer auch gute Schauspieler sind. Ich weiß nicht, warum. Aber Leute, die im Hauptberuf lustig sind, können schauspielern, während sich ernsthafte Mimen meist schwer damit tun, uns zum Lachen zu bringen. Marlon Brando war sicher der größte, der je gelebt hat. Sobald er aber witzig wirken wollte -oje! Keine gute Idee.
Für John Turturros „Fading Gigolo“, der gerade beim Filmfestival Toronto Premiere feierte, waren Sie seit Langem wieder rein als Schauspieler aktiv. Warum sind diese Ausflüge so selten?
Ich würde gern öfter für Kollegen arbeiten, doch in meinem Alter sind gute Parts schwer zu finden. Mit 77 können Sie schwerlich als leading man antreten, der das Mädchen bekommt. Selbst wenn ich eigene Skripts schreibe, ist inzwischen kaum noch was für mich dabei zum Spielen. Auch sonst fragt mich nie jemand. Ein Anruf wie von Turturro kommt vielleicht alle fünf Jahre mal. Ich mag ihn, er wollte in New York drehen und mir gefiel die Idee, einen Zuhälter zu spielen.
Ist es lehrreich für Sie, zu sehen, wie andere Regisseure am Set arbeiten?
Ja, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, was für eine Freude es ist. Denn am Ende des Tages kann ich nach Hause gehen und in Ruhe schlafen – während all die Ängste und Leiden des Filmemachens für Turturro übrig blieben.