Annette Humpe & Max Raabe – „Eigentlich siezen wir uns“
Deutsches Duo: ANNETTE HUMPE und MAX RAABE sprechen über ihre seltsame Allianz, das neue gemeinsame Album und rollende Rs
Es gibt Wolfsbarsch mit Pastinaken. In einem Members-only-Club mit Blick auf den Berliner Fernsehturm feiern Annette Humpe und Max Raabe die Fertigstellung ihres zweiten gemeinsamen Albums, „Für Frauen ist das kein Problem“. Wider Erwarten trinkt er Bier und trägt einen trockenen Anzug.
Für das Album-Cover war Max Raabe nämlich in feinstem Zwirn in einen See gestiegen. Das Wasser stand ihm bis zum Hals, eine Ente zur linken, Sonnenstrahlen glitzerten. Raabe bleibt der stilvollste Mann der Welt – was auch immer geschieht.
Am nächsten Tag sitzen wir dann also mit Max Raabe und Annette Humpe in einem herrschaftlichen Hotelzimmer. Draußen ist es schon dunkel, Nebel aufgezogen. Sie nennt ihn „Professor Raabe“, weil er eine Brille trägt. Die Stimmung ist gut.
Auf dem Albumcover steht Ihnen das Wasser bis zum Hals -und trotzdem strahlen Sie eine große Würde aus. Vielleicht sollte sich die FDP davon inspirieren lassen?
Raabe: Bis FDP geh ich mit. Danach nicht mehr. Tatsächlich war die Idee zu diesem Bild, dass man in einer absurden Situation steht, nebst Ente, und Haltung bewahrt, als wäre alles so wie immer.
Herr Raabe, wären Sie nicht ein fabelhafter Bundespräsident? Mit Haltung, gescheit und auch noch repräsentativ. Sie als Stimme Deutschlands?
R: Zweifelsohne.
Beide lachen ein heiteres, erfreutes Hahahihi.
R: Ich glaube, dass das ein ziemlich anstrengender Job ist. Das gute Essen und die schönen Wohnorte stehen in keinem Verhältnis zu dem Stress, dem man ausgesetzt ist. Die Beobachtung, unter der man ständig steht, würde mir auch komplett auf die Nerven gehen.
Gestern haben wir uns geduzt, Annette. Aber es ist doch ein stilistisches Ding der Unmöglichkeit, zu Max Raabe Du zu sagen, oder?
H: So ist es. Wir siezen uns ja eigentlich auch.
R: Bei der Arbeit.
Sie sagen „Herr Raabe“ und „Frau Humpe“?
H: Ja, sicher.
Ist Dir denn aufgefallen, dass Herr Raabe keine Socken trägt, sondern Strümpfe?
H: So weit hab ich die Hosenbeine noch nicht hochgeschoben. Nee, das wusste ich nicht. Herr Raabe, tragen Sie Kniestrümpfe?
Raabe zieht die Hose hoch. Es offenbaren sich die feinsten grünen Strümpfe bis kurz unters Knie.
H: Tatsache. Wie niedlich ist das denn? Aber wirklich, das habe ich noch nie bemerkt. Wenn er eine kurze Hose anhat – er ist ja sehr stilbewusst -, dann trägt er keine Kniestrümpfe.
„Will man es genau, dann fragt man eine Frau“, singen Sie auf Ihrer neuen CD. Was haben Sie Annette Humpe diesmal als Erstes gefragt?
R: Wie geht’s, Frau Humpe?
Und was hast Du dann gesagt?
H: Danke der Nachfrage, Herr Raabe. Sehr liebenswürdig. Ich bedanke mich für Ihr Interesse.
R: Wir haben doch schon, als „Küssen kann man nicht alleine“ raus war und der Goldstatus nahte, überlegt, dass wir weitermachen wollen.
H: Auf einem Bein kann man auch nicht stehen. Man muss schon zwei Platten machen.
R: Sonst denken die Leute noch, die erste Platte war ein Zufall.
Diesmal kam die erste Idee zur Platte aber nicht auf dem Fahrrad, oder?
H: Ich fahre immer Fahrrad. Ich habe kein Auto. Den Führerschein habe ich weggeschmissen. Ich kann nicht einparken, ich ramme Papierkörbe und mache Dellen in das Auto.
Du hast den Führerschein wirklich weggeschmissen?
H: Ja.
Wenn Sie jetzt beide Fahrrad fahren, nehmen Sie das Rennrad, das Hollandrad oder das Mountainbike?
R: Ich habe ein Herrenfahrrad …
H: Aus dem Ersten Weltkrieg!
R: … aus den 50er-Jahren. Kein Hollandrad. Ein deutsches, schwarzes Herrenrad aus den Fünfzigern. Das steht jetzt auch vor der Tür.
Sie sind beide Träger des gleichen Rings.
H: Ein Ring?
R: Nicht der unter den Augen. Sondern der Paul-Lincke-Ring.
Das ist eine Auszeichnung für besondere Verdienste um die deutschsprachige Unterhaltungsmusik. Warum hat den Heino eigentlich nie bekommen?
R: Ich weiß auch nicht, wie diese Ungerechtigkeit zustande gekommen ist.
Findest Du es denn wichtig, dass junge Bands auf Deutsch singen?
H: Das finde ich sehr wichtig. Die schimmeligen Texte, die die mit ihrem Akzent rüberbringen, die brauchen wir nicht. Wenn ich englische Popmusik hören will, dann nehm‘ ich mir doch ’ne Band aus Glasgow und nicht aus Castrop-Rauxel – nicht aus nationalistischen Gründen, sondern weil es sonst Käse ist.
Deswegen unglücklich mit Lena gewesen?
R: Mit Lena?
Lena Meyer-Landrut.
R: Ich fand die ganz entzückend.
H: Ja, sie ist ein außergewöhnlich hübsches Mädchen.
Ihre beiden Geburtsorte Herdecke und Lünen in Nordrhein-Westfalen sind gerade mal 30 Kilometer auseinander. Kennengelernt haben Sie sich aber erst in Berlin.
H: Wir kommen aus demselben Mustopf.
Viele, die sehr jung nach Berlin kommen, verleugnen ihre Herkunft. Ganz schnell wollen sie Berliner werden. Wie war das bei Ihnen?
H: Das war etwas ganz anderes. Ich kenne die Provinz. Ich weiß ganz genau, wie sich das anfühlt. Das gibt mir einen klaren Blick. Ich weiß ja, wie Mustopf geht.
Erinnern Sie sich noch an die Mustöpfe zu Hause, Herr Raabe?
R: Ja, meine Mutter hat eingekocht. Wir hatten zwei große Gärten. Meine Mutter hat alles aus dem Garten geholt, was wir mittags und abends auf dem Tisch hatten.
Ihr Lieblingsmus?
R: Pflaumenmus.
Herr Raabe, Sie haben den kleinen Lügen ein Lied gewidmet. Kant wäre nicht sehr entzückt gewesen.
R: Wir brauchen kleine Lügen, damit es zwischen Staaten zu keinen Zerwürfnissen kommt. Hätte Kohl zu Gorbatschow gesagt: „Du müffelst. Und was ist das überhaupt für ein Fleck auf dem Kopf?“, dann hätte Gorbatschow aber ganz schnell gesagt: „Ach, wisst ihr wat, die Wiedervereinigung, die könnt ihr euch sonstwohin stecken.“
Stimmt es wirklich, dass Frauen auf die Frage „Bin ich zu dick?“ die Antwort „Alles schick!“ hören wollen?
H: Männer doch auch. Es gibt genau so viele Männer, die ihre Wampe im Spiegel sehen und von ihren Frauen angelogen werden wollen.
Wie schreibt Annette Humpe eigentlich so einen Humpe-Raabe-Song?
H: Ich warte auf eine Inspiration, und dann kommt Handwerk.
Das Heben einer Augenbraue von Max Raabe soll die komplette Carnegie Hall zum Lachen gebracht haben.
H: Mach mal, Purzi!
Raabe hebt die linke Braue, es sieht tatsächlich sehr komisch aus.
Sie haben sich aber entschieden, der Braue wieder weniger Raum zu geben.
R: Ja, das stimmt.
H: Was ist denn mit Ohrenwackeln, geht das auch?
R: Beim Singen habe ich das noch nicht ausprobiert, aber sonst kann ich das sehr gut.
Raabe wackelt jetzt auch mit den Ohren. Hoch und runter, vor und zurück. Ein grandioser Anblick, Raabe im feinen Anzug, Weste, grüne Strümpfe – und dann Ohrenwackeln.
H: Tatsächlich. Boah, ist das großes Kino! Ich kann das alles nicht.
Zunge rollen?
R: Mhmh.
Ein undeutlicher, zustimmender Laut. Raabe rollt nun auch die Zunge. Annette Humpe hat vor Lachen schon bald Tränen in den Augen.
Warum jetzt weniger Braue?
R: Weil das so in den Vordergrund trat. Das ist wie mit den gerollten Rs. Das wird immer mehr reduziert. Es geht hier um das Wesentliche. Auf der Bühne kann man schon mehr machen. Manchmal finde ich das passend und notwendig.
Stimmt es wirklich, dass Till Lindemann von Rammstein sich das rollende R von Ihnen abgehört hat?
R: Das glaube ich nicht. Das hat er gar nicht nötig.
Humpe stimmt „Ich habe keine Lust“ an, tiefe Stimme, richtig guttural tief und sehr gefährlich.
Muss man als deutsche Band so klischeehaft deutsch sein, um den ganz großen Erfolg zu haben?
H: Kraftwerk hatten das ja gar nicht.
R: Die sahen schon sehr archaisch aus … aber Quatsch! Man will hier Konzerte spielen und ein Publikum finden. Kein Mensch denkt als Erstes daran, international zu bestehen, indem er die Augenbraue hebt oder das R rollt. Inzwischen läuft meine Platte sogar in Russland, aber das kann man wirklich nicht erwarten.
„Kein Schwein ruft mich an“ und „Schieß den Ball ins Tor“ sollen in Japan ja Riesen-Hits gewesen sein.
R: Tatsächlich?
H: Das kenn ich gar nicht.
R: Das hat Rainer Fox geschrieben zur WM 2006.
In China haben Sie auch in der Landessprache gesungen. Ist das der Trick? Sich richtig ranschmeißen – und dann mögen die einen?
R: Ja, so einfach geht das. So wie sich in Deutschland alle freuen, wenn Robbie Williams …
H: Guten Tag, Köln!
R: Alles kreischt dann vor Vergnügen. Genau so geht’s.
Russland und China sind ja nun nicht als Horte der Menschenrechte bekannt. Warum treten Sie dort auf?
R: Wir sind ja Botschafter einer freien marktwirtschaftlichen Demokratie. Die Leute sehen dann, dass es auch was anderes gibt. Aber im Ernst: Ich weiß, dass es dem deutschen Widerstand im Dritten Reich sehr viel gebracht hat, dass britische Bands in den 30er-Jahren in Berlin aufgetreten sind. Einfach, um zu sehen, was es an Kultur noch gibt.
Können Sie beide mir eigentlich erklären, was Pussy Riot sind?
H: Ich glaube, das war einfach eine Aktion von politisch aktiven Mädchen, die gleichzeitig ein bisschen Musik machen. Ich fand das eine total schöne Idee, zu beten: „Jungfrau Maria, befreie uns von Putin.“ Die Reaktion von Putin finde ich lächerlich, ganz arm.
Herr Raabe, die erste Gage sollen Sie in einem Restaurant im Grunewald verjubelt haben. Finden Sie heute überhaupt noch ein Restaurant, in dem es Ihnen möglich ist, an einem Abend die gesamte Gage auf den Kopf zu hauen?
R: So viel kann ich weder essen noch trinken. Das geht heute gar nicht mehr. Wir haben an jenem Abend 300 Mark verdient. Mit zwei Leuten kriegt man das schnell weg. Prinzipiell ist die Haltung aber geblieben, dass man Geld auch ausgeben sollte.
Und bei Dir, Annette, bist Du Bausparerin?
H: Ich bin kein Bausparer. War ich auch nie. Ich habe auch weder Aktien noch Festgeld. Gar nichts!
Herr Raabe, womit betrinken Sie sich gerne?
R: Kommt darauf an. Weißwein weniger. Champagner oder Bier.
Ich war gestern sehr verwundert, dass Sie Bier trinken, Herr Raabe. Irgendwie hätte man das von Ihnen nicht erwartet, also stilistisch.
R: Ich trinke auch nicht jedes Bier. Berliner Pilsener schätze ich zum Beispiel sehr. Helles mag ich aber auch gerne. Es darf nicht so schwer und malzig sein, sondern eher süffig.
Können Sie wirklich über 500 Lieder auswendig singen?
R: Ja. Ich habe mich selbst beim Vorsingen gewundert. Wir haben hier einen Russen im Haus, und dem könnte ich auch mein russisches Lied vorsingen, und er würde sagen, das stimmt. Ich kann auch polnische Stücke. Ein japanisches Repertoire könnte ich auch noch ziemlich fehlerfrei singen. Diese Texte habe ich im Kopf.
Ein Didgeridoo beginnt zu brummen, es ist der Klingelton von Annette Humpes Mobiltelefon.
H: Udo, hallo!
Was für einen Klingelton haben Sie denn?
R: Den normalen von der Telekom.
Sie sind gerade 50 geworden. Und ich habe das Gefühl, ähnlich wie Morrissey werden Sie jedes Jahr attraktiver. Fürchten Sie sich vor dem Älterwerden?
R: Ich war nie schön. Darum habe ich nie Sorge gehabt, hässlich zu werden. Man sieht viele Leute, die im Alter immer schöner werden, also schöne alte Leute. Das ist die Gerechtigkeit für mein vermurkstes Rumlaufen in den ersten 30 Jahren meines Lebens.
Ist das also nur gerecht, dass Helmut Berger jetzt so furchtbar aussieht?
R: Ich hab ihn lange nicht gesehen. In dem Alter ist das dann auch okay. Man will ja auch nicht schön ins Grab steigen. Frédéric schwildeN