Ann Peebles – Das Fliegengewicht mit der Jahrhundert-Stimme

John Lennon erklärte ihren Song „I Can’t Stand The Rain“ zu einem seiner all-time-favorites. Kommerziell erfolgreiche Coverversionen von Eruption und Tina Turner dürften der Co-Autorin des Soul-Evergreens ein Auskommen bis ans Lebensende sichern. Peebles, 1947 in St. Louis/Missouri geboren, definierte Anfang der 70er Jahre mit emotionsgeladenen Interpretationen von Blues/Soul-Standards (wie „Part Time Love“ oder „I Pity The Fool“) als auch von Originalen (wie „Beware“ oder „Come To Mama“) die erdigere Seite des Memphis-Sound Im Gegensatz zum Soft-Soul ihres Labelkollegen Al Green entfernte sich Peebles nie allzuweit von ihren Wurzeln in Blues, Country und Funk. Insgesamt sieben Alben spielte sie von 1968 bis 1981 für Hi Records ein. 1992 bescherte das großartige „Full Time Live „-Album (Zensor) dem „99 pounds“-Fliegengewicht mit der Jahrhundertstimme ein erneutes Comeback.

Zusammen mit ihrem Mann, dem ehemaligen Soulsänger und Hi-Hauskomponisten Don Bryant, empfing sie Jonathan Fischer zum Tee in ihrer Villa im Gartenviertel von Memphis.

Ihr Vater leitete den Chor der First Baptist Chunh in St. Louis. Dennoch war das nicht das Sprungbrett Ihrer Karriere…

Mit meinen elf Geschwistern sowie diversen Nichten und Neffen sang ich natürlich in der Kirche. Aber wenn ich nach Hause kam, stellte ich mich mit irgendeinem Gegenstand, der entfernt wie ein Mikro aussah, vor den Spiegel und träumte, ein Soulstar zu sein.

1968 besuchte ich eine Freundin in Memphis. Wir gingen in den Rosewood Club, wo Gene „Bowlegs“ Millers Band spielte, und in der Pause fragte ich ihn, ob er mich ein Stück mit der Band singen ließe. Es war „Steal Away“ von Jimmy Hughes. Offensichtlich war Gene von meinem eigenwilligen Stil so beeindruckt, daß er mich an Willie Mitchell weiterempfahl.

Viele Southern Soul-Sänger verhauen ausschließlich auf Material, das ihnen Produzenten oder professionelle StoffWriterzuteilen. Sie hingegen haben bereits früh angefangen, selbst zu schreiben…

Mit Clay Hammonds „Part Time Love“ hatte ich meinen ersten Hit. Am Anfang beschränkte ich mich noch darauf, das Beste aus Standards wie Bobby Blue Blands „Pity The Fool“ oder O.V. Wrights „You’re Gonna Make Me Cry“ herauszuholen. Viel spannender aber war es, selbstgeschriebene Songs einzuspielen: Ich habe immer versucht, eine autobiografische, persönliche Note hineinzubringen.

Hi Records, so sagten Sie mal, sei für das kleine Mädchen aus St. Louis zu einer Ersatzfamilie geworden…

Bereits beim Komponieren haben die Jungs von der Hi Rhythm Section die Hodges-Brüder und Drummer Al Jackson – ausgeholfen, wo immer sie konnten. Die meisten Songs sind von Anfang bis Ende in Teamarbeit entstanden: Otis Gay, Syl Johnson, Al Green, Willie Mitchell, wir haben uns alle gegenseitig unterstützt – wahrscheinlich mit ein Grund für den Erfolg von Hi Records.

Vor allem hat es mich stolz gemacht, mit O.V. Wright auf dem selben Label zu sein. Ich hatte ihn schon als Teenager im Radio gehört: Seine Stimme geht dir einfach unter die Haut. Sogar ein Al Green stand damals in O.V.’s Schatten.

Haben Sie im Rahmen der Hi-Familie auch Ihren zukünftigen Mann Don Bryant kennengelernt?

Don Bryant spielte damals in Willie Mitchells Band und hatte auch ein paar Singles veröffentlicht. Ab ich zu Hi kam, arbeitete er dort als Staff-Writer. Beim gemeinsamen Verfassen von Titeln wie „I Needed Somebody“ oder „I Can’t Stand The Rain“ haben wir gemerkt, daß wir ähnliche Erfahrungen im Leben gesammelt hatten. Das hat uns immer näher zusammengebracht. 1973 haben wir dann geheiratet.

Oft genug verpacken Southern Soul-Sänger Country-Melodien in R&B-Armngements. Ihr Song „I’m Gonna Tear Your Playhouse Down“ – vom englischen Journalisten Clive Anderson „eine der packendsten Soul-Aufnahmen aller Zeiten“ genannt – hat seinen Text gar einem George Jones-Song entliehen.

Don Bryant und ich haben sogar zwei C&W-Songs geschrieben: „I Die A Little Each Day“ und „Love Vibrations“. Wenn wir zusammen arbeiteten, kam eigentlich immer diese Art Musik dabei heraus. Vermutlich liegt es daran, daß ich mit Hank Williams und Johnny Cash aufgewachsen bin. Noch heute hör ich diese Musik gern.

Wie haben Sie auf den Zusammenbruch Ihres Plattenlabels Hi Records Anfang der 80er Jahre reagiert?

Wegen meiner Familie war ich ohnehin gezwungen, mich aus dem Musikgeschäft zurückzuziehen. Ich hatte früher als Kindergärtnerin gearbeitet. Don und ich haben dann die „Bryant Academy“ gegründet, eine Einrichtung für Kinder im Vorschulalter, die unter Sprachdefiziten leiden.

In den 80er Jahren bin ich noch einmal für Willie Mitchells Waylo Label ins Studio gegangen: Für das resultierende „Call Me“-Album habe ich allerdings weder Songs geschrieben noch war die Hi Rhythm Section beteiligt. Manche Kritiker mäkelten, der Keyboard-Sound sei zu glatt, zu kommerziell gewesen. Aber das Publikum erwartet, daß du mit der Zeit gehst. Mir gefallen zwar Sam Cooke und Mahalia Jackson, aber genauso gerne höre ich Whitney Houston oder Anita Baker.

In Europa sind allerdings gerade Ihre alten Aufnahmen nach wie vor populär.

Sehen Sie einen Widerspruch zwischen europäischer Soul-Nostalgie und Ihrem heimischen Publikum?

Mit der „Memphis Soul Revue“ sind Otis Clay, David Hudson, Lynn White und ich 1990 durch Europa getourt. Damals hatte man uns daheim längst abgeschrieben: Wenn du ein paar Jahre lang keinen Hit hast, bist du in Amerika vergessen. In Europa trug man uns auf Händen! Man nannte mich die „Queen of Memphis Soul“. Memphis hat seine schwarzen Musiker nie beachtet Erst heute wird vielen klar, daß dies auch ein Produkt des Rassismus ist.

Ihr Mann hat als Gospelsänger der weltlichen Musik den Rücken gekehrt. Sie hingegen halten auch auf Ihren letzten zwei Alben dem Soul die Treue…

Wir sind beide wiedergeborene Christen, aber wir respektieren gegenseitig unsere Gefühle: Jeder ist für sein Seelenheil selbst verantwortlich. Gelegentlich begleite ich Don in sein Studio, um Background für eine Gospel-Aufhahme zu singen. Ansonsten gehen wir musikalisch getrennte Wege.

Können Sie HipHop etwas abgewinnen? Schließlich hat Missy Elliot gerade ihren Hit-Song „Can’t Stand The Rain“ als Sample populär gemacht…

Mir sind die meisten der Botschaften im HipHop zu negativ. Oft bin ich geschockt, welche Texte sich Sechsjährige anhören. Ich habe nichts gegen Rap, aber ich kann ihn nicht fühlen, er gibt mir nichts. Mir liegt halt eher das balladeske Material. Mein persönlicher Favorit ist „I Thank You“. Ich habe den Text mit Don geschrieben: Er handelt vom gemeinsamen Frühstück, wie wir die Kinder zur Schule bringen und am Abend wieder zusammenkommen. Familie eben. Das ist für mich der schönste Lovesong überhaupt.

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