Die „Dschungel-Olympiade“ zeigt, wie lustig Sport sein kann
Der Zeichentrick-Klassiker ist genau das richtige Begleitprogramm für die Olympischen Spiele. Kein anderer Film spiegelt derart spitzfindig Sinn und Unsinn des Sports und seine Überhöhung in den Medien.
Bis zu eine Milliarde Menschen sitzen zu den Olympischen Spielen vor ihren Fernsehschirmen, um für zwei Wochen über erstaunliche menschliche Höchstleistungen und große Geschichten des sportlichen Glücks oder Leids zu staunen. Abertausende von Journalisten und Sportkommentatoren sorgen mit großer Konzentration und statistischem Zahlenwerk dafür, dass noch jeder Bewegungsmuffel sofort begreift, worum es hier geht: alles oder nichts. Olympia ist die einzige echte Friedensbewegung, welche die Menschheit je zustand gebracht hat. Aber dafür zahlen die Athleten einen hohen Preis, denn sie befinden sich im Krieg mit ihrem Körper.
Würde dies von den Medien nicht mit heiligem Ernst begleitet, wäre das Schauspiel eigentlich ganz schön lustig. Wie in „Animalympics“ (das in Deutschland unter dem etwas bräsigen Titel „Die Dschungel-Olympiade“ bekannt ist). Der Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1979 erzählt mit großer Leichtigkeit und erstaunlicher Ironie von einer Tierolympiade 1980 im so genannten Tatzenstadion. Dabei werden Wettbewerbe wie Fußball, Turmspringen, Ski-Langlauf, Eiskunstlauf, Bodenturnen, Boxen, Gewichtheben, Fechten und natürlich die Königsdisziplin, der Marathonlauf, präsentiert. Eben all das, was bei Olympia bewegt.
Bissige Satire auf Sportübertragungen
Eigentlich als Parodie auf den Hype um die Olympischen Spiele im kanadischen Montreal als Kurzfilm im Jahr 1976 konzipiert, entschied sich Regisseur Steven Lisberger (der 1982 den wegen seiner Computereffekte wegweisenden „Tron“ inszenierte), den Sender NBC um ein größeres Budget für ein etwas anspruchsvolleres Projekt zu bitten. Dabei wurden zunächst zwei jeweils 30-minütige Teile produziert: „Animalympics: Winter Games“ und „Animalympics: Summer Games“.
Interessanterweise wurde 1979 lediglich die Winterspiele-Version im TV übertragen. Das hatte einen einfachen Grund: Die USA boykottierten die Olympischen Spiele 1980 in Moskau, weil die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert war. Erst im Folgejahr wurden die beiden Abschnitte zusammengefügt und, um einige neue Szenen ergänzt, zu einem eigenen Spielfilm verarbeitet. „Die Dschungel-Olympiade“ lief am 01. Februar 1980 auf HBO und gewann von Jahr zu Jahr an Popularität.
„Animalympics“ ist schlicht der lustigste und wohl auch ehrlichste Sportfilm, den man sich denken kann. Die Marotten der Athleten, die in Form der Tiere natürlich die erfolgreichen Sportler der ausgehenden 70er karikieren, werden hinreißend durch den Kakao gezogen.
US-Schwimmer ‚Dean Wilson‘, ein Beachboy vor dem Herren, wird von einem Otter dargestellt. Die eurasische Nerzdame Tatiana Tushenko, anmutig und selbstverliebt, reißt die Wertungsrichter mit ihrer Bodenturnkür zu Begeisterungsstürmen hin. Das Ski-Ass Kurt Wuffner kurvt elegant über schneebedeckte Abhänge (und findet sich plötzlich in einem versteckten Paradies namens Dogra-La wieder). Und ein Ziegenbock und eine Gazelle kämpfen zunächst erbittert um die Marathonkrone, um schließlich Hand in Hand und mit pochendem Herzen gemeinsam über die Ziellinie zu spurten.
Kinder können sich an den hübsch zusammengesponnenen Geschichten erfreuen, die vielen Sportlern ein Gesicht geben. Erwachsene lachen aber vor allem über die gekonnte Parodie auf die gängige Übertragungspraxis der Spiele (der Sender Z.O.O. ist live vor Ort). Da moderiert eine sarkastische Schildkröte im Fernsehstudio und die US-Fernsehmoderatorin Barbara Walters verwandelt sich kurzerhand zu einem Strauß namens Barbara Wuschig.
Prächtige Einblendungen simulieren den Aufwand, der graphisch betrieben wird, um den Sportwettkämpfen im Fernsehen stets ein buntes und visuell attraktives Antlitz zu geben – inklusive absurder Slowmotion-Verfahren. Die hinreißenden Synchonisationsleistungen von Billy Crystal, „Simpsons“-Sprecher Harry Shearer und Gilda Radner, sehr überzeugend ins Deutsche übertragen, übertünchen locker, dass die Animationen auch für das Jahr 1979 etwas behäbig und im Vergleich zu vielen Kinoproduktionen der damaligen Zeit wenig detailreich aussehen.
In den Wettbewerben geht es um die Wurst: Eishockey wird zum Kriegsspiel und im Fußball ist natürlich eine Dackelmannschaft mit ihrem Kapitän Rolf Schmecker einfach nicht zu schlagen. Fußball ist ein Spiel mit 22 Mann und am Ende gewinnen immer… – Sie wissen ja. Die Zeiten haben sich da etwas geändert.
Ganz nebenbei werden auch all jene Widerhaken des Sports beleuchtet, die nun einmal zum Geschäft dazugehören. Surfer Dean Wilson macht Werbung für Frühstücksflocken, windige Manager verfolgen ihre Klienten auf Schritt und Tritt – und über allem steht ein kaum verhohlener, hier auch konsequent veralberter Nationalstolz, der sich im stets glorifizierten Medaillenspiegel niederschlägt. Einige sexistische Kommentare, wie sie anscheinend immer noch nicht zu verbannen sind, hört man ebenfalls.
Glänzender Soundtrack
Zu den Zeichnern gehörten einige der bekanntesten Vertreter ihrer Kunst. So war „Die Dschungel-Olympiade“ dem noch jungen Brad Bird – der später mit Pixar „Die Unglaublichen“ und „Ratatouille“ auf die Leinwand brachte – eine erste Lehrschule. Auch Roger Allers, der die goldene Disney-Phase um „Arielle“, „Die Schöne und das Biest“, „Aladdin“ und „König der Löwen“ mit seinen Fingerfertigkeiten entscheidend prägte, war mit an Bord.
Untermalt wird „Animalympics“ von einem geradezu kongenialen Soundtrack von Graham Gouldman, dem Sänger der englischen Band 10cc, der das Pathos der sportlichen Wettbewerbe, aber auch die kleinen Storys der tierischen Helden, präzise einfing. Der Soundtrack ist 1980 nur auf Vinyl erschienen und gilt seitdem als ausgesprochene Rarität.
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