andere welten: Nach umjubelten Tourneen hatte BRYAN FERRY plötzlich Lust, im Studio die Verstärker aufzudrehen
Was ist bloß mit Bryan Ferry los? Quälte er sich nicht weite Strecken der 90erJahre mit eigenem Material im Studio herum? Um dann doch nur einen faden Cover-Schnellschuss („Taxi“) loszulassen? Anfang 2002 aber blickt der Inbegriff der Vokabel Style auf die womöglich hektischsten zwei Karriere-Jahre seit einer kleinen Ewigkeit zurück.
Dabei hat Ferry Glück und Produktivität an unvermutetem Ort wiedergefunden. „Ich hatte mich ja von der Bühne zurückgezogen. Doch mit der „As Time Goes By“-Tour schien auf einmal alles zu funktionieren. Das Publikum hat das ganze verdammte Ding einfach geliebt!“
Nach der dezenten Hommage an Cole Porter und Co. verspürte Ferry prompt „wieder Lust, die Verstärker für eine Gitarren-Platte aufzudrehen“. Die Sessions für „Frantic“ wurden dann von der Roxy Music-Tbur unterbrochen, die „noch mal eine frische Perspektive“ brachte. Drummer Paul Thompson, Gitarrist Chris Spedding und seine neuentfachte Begeisterung fürs Harp-Spiel kamen frisch von der Bühne gleich mit ins Studio. Dort hat Ferry „gelernt, spontaner zu sein. Ich bin durch die Konzerte jetzt im Kopf soweit, auch im Studio First Takes zu akzeptieren: einfach spielen, weniger arrangieren.“ Dabei hat er auch Material eingesammelt, das über die Jahre hier und da gestrandet war. Erst drei datiert „I Thought“ zurück, Resultat eines Besuchs bei Brian Eno in St. Petersburg.
Den Wirbel um Enos Absage fiir die Roxy-Reunion mag Ferry nicht recht verstehen: „Die Leute vergessen oft, dass er nicht acht Jahre Teil der Roxy-Geschichte war, sondern nur zwei.“ Dann erzählt Ferry noch von dem netten Eno-Brief neulich, „in dem er die falschen Presse-Zitate richtig stellte, wo es hieß, ihm gefiele die Idee einer Roxy-Tour überhaupt nicht Er hat sich ziemlich darüber aufgeregt.“ Und sogar eine Gegendarstellung verlangt.
Ferrys Version von „Goodnight Irene“ stammt sogar noch aus der „Taxi“-Ata vor acht Jahren. „Damals war es einfach nicht fertig. Ich hab’s neu abgemischt, ein paar Dinge rausgenommen, jetzt passt es wunderbar auf dieses Album. Leadbelly war ja mein erster großer Held, als ich mit zehn Radio hörte und mich gleich in Stimme und Feeling verliebte.“
Ferry wäre nicht Ferry, hätte er sich sein Faible für kunstvoll geschichtete Arrangements auf „Frantic“ völlig verkniffen. „San Simeon“ etwa markiert einen wirkungsvollen Kontrast zu Don Nix‘ wuchtigem Blues-Riffbei „Goin‘ Down“ oder der leichten Piano/Harp-Version von „Don’t Think Twice“. Auch die dichte, drängende Bildsprache dieses Ferry-Originals scheint aus einer anderen Zeit zu kommen. „Ja“, bestätigt er, „der Text stammt von 1973, aus einer anderen Welt, die schon ‚In Every Dream Home A Heartache‘ gebar. Ich mag die Idee, zu einem heruntergekommenen Herrensitz zurückzukehren, der all diese Erinnerungen birgt, diese Echos von Leuten und Partys aus einer anderen, wohl glamouröseren Zeit. Verfall ist immer noch ein gutes Thema fiir mich.“ Und wo wird er dem eigenen Verfall weiter entgegenwirken?
Genau: Auch „Frantic“ soll eine Tour folgen. „Konzerte sind großartig, aber sie laugen dich aus. Doch ich will jetzt einfach weitermachen – und die verlorene Zeit aufholen.“ Die hektischen Tage sind noch nicht vorbei.