And The Swing Goes On
So ganz neu ist es wohl nicht, was da als abermaliges Swing-Revi-val oder „Neo-Swing“ über den At-lanstik kommt – oder doch?
Revivals sind seit dem Abklingen der „Golden Era“ mehrfach angekündigt und prognostiziert worden. Meist waren es nur kurzlebige Phänomene, in deren ferlauf die Nostalgie-Krämer mehr schlecht als recht versuchten, den alten Sound in neue Schläuche zu gießen. Gewöhnlich geschah das mit der berühmten Träne im Knopfloch und der sentimentalen Frage „Erinnern Sie sich noch—?“ Bemerkenswert Neues entstand dabei natürlich nicht. Warum auch, werden beinharte Swingfans fragen – das Original ist doch eh nicht zu toppen.
Auch Originale allerdings schmecken – unoriginell aufgewärmt – sehr schnell sehr schal. Schon alte Helden wie Count Basie hatten ihren einst wegweisenden Sound noch zu Lebzeiten rund um die Welt getragen und bis zur Stagnation reproduziert. Manche dieser einst legendären Orchester laufen heute noch, Jahrzehnte nach dem Tod ihrer Gründer und Namensgeber, als eigene Firmen weitet Mit dem, was sich seit einigen Jahren als „Neo-Swing-Welle“ etablierte, hat dieser Totenkult selbstredend wenig gemein. Im Gegenteil. Neo-Swing hat seine Wurzeln mehr im Punk und im Ska als in zur musealen Reife konservierten Musiktraditionen.
Zu verstehen ist dieser scheinbare Widerspruch nur durch die hybride Musikszene, die vor allem an der amerikanischen Westküste mit allen nur erdenklichen Stilen zu jonglieren versteht. Nicht nur Musikstilzn, wohlgemerkt. Für Hepcats war die coole Optik schon immer von geradezu religiöser Bedeutung, und nachdem typische Retro-Szenen wie etwa das Rockabilly-Lager (mit Tolle, roter Jacke und Schnabelschuhen) in ihrer unflexiblen Form erstarrt waren, war ein neues Krachen auch an der Styling-Front allemal überfällig.
Was zunächst im US-Underground seit gut zehn Jahren wenig bemerkt vor sich hin köchelte, schäumte plötzlich über, als einige mediale Initialzündungen den kommerziellen Erfolg einläuteten. Zwei Filme spielten dabei eine herausragende Rolle: In dem Jim Carey-Blockbuster „Die Maske’* bekam die Royal Crown Revue ihre große Chance und legte eine atemberaubende Performance aufs Filmparkett Für Big Bad foodoo Daddy erwies sich die Low-Budget-Produktion „Swingers“ als ein ähnlich probates Sprungbrett: Regisseurjon Favreau hatte die Band mehrfach in einem Club in Los Angeles bewundert und bat sie, für seinen geplanten Film die Musik beizusteuern. Das Underground-Projekt mauserte sich Brian Setzer Orchestras hierzulande veröffentlicht wurde, passierte zunächst einmal gar nichts. Allenfalls alte Rockabüly-Fans griffen bei „Dntyßoogie“ zu, weil sie Setzer noch aus seiner Stray-Cats-Zeit kannten und schätzten. Nachdem jedoch einige Printmedien über die explodierende Neo-Swing-Szene in den USA berichteten, wurde auch das Fernsehen aufmerksam. Wie schon so oft, erwies sich auch diesmal die TV-Sendung „Geld oder Liebe“ ab Impulsgeber und katapultierte den JDhrty ßoogie“hoch in die Charts.
War die Zeit wieder reif für Stil und Eleganz? Liegt es vielleicht daran, dass für die Kinder der 68er Generation der klassische Chic das probate Mittel war, um sich von ihren Eltern bereits optisch abzusetzen? War es die ansteckende Lebensfreude dieser Musik, die nach den Grunge- und Techno-Exzessen der vergangenen Jahre wieder das Bedürfnis nach einer positiveren Klangfarbe auslöste?
Big Rüde Jake, einer der aufgehenden Stars am Neo-Himmel, sieht es so: „Der neue Swing vereinigt die besten Musikstile, die Amerika je hervorgebracht hat: Jump Blues, Swing, Rockabilly und R&B. Die Stile werden aber nicht nur zu einer neuen Legierung zusammengesetzt, sondern setzen in dieser Mixtur auch eine neue und ungeahnte Energie frei“
Diese Energie ist es wohl, die auch die einstigen Punker am Swing fasziniert. Mit dem Wiederaufleben der wildesten Jitterbugs und Lindy Hops bietet sich ihnen die Möglichkeit, ihre alte Power in einen neuen Stil umzuleiten, ohne dabei alt auszusehen. Die einen spielen dabei dicht an den Originalen ä la Louis Prima oder Louis Jordan. (Und taub wäre, wer nicht in ihren Vocals den alten Gab Calloway durchhört, wie er sein „Hi-De-Ho“ in den Saal schmettert.) Andere orientieren sich unverhohlen am Rock – und spätestens seit Brian Setzer, der Rockabilly in den Swing integrierte, kann man in diesem Musikstil auch wieder die E-Gitarre als Solo-Instrument einsetzen. Inzwischen aber stellt sich Setzer eine Big Band in den Rücken und verrockt damit den Swing so erfolgreich, dass er gleich zum neuen „Swing King“ gekürt wurde.
Im England der 80er Jahre gab es bereits ein ähnliches RevivaL Auch diesmal sind die Briten wieder mit von der Partie. Und Deutschland? In den Großstädten haben sich diverse Swing-Clubs fest etabliert, und Günter Discher und seine junge Kollegin Swingin‘ Swanee haben mittlerweile gut zu tun. Sollte Deutschland diesmal etwa die Chance nutzen, gleich von Anfang an dabeizusein?