Anarchisten im Disneyland
Mit Freude am Stil-Chaos gehen Chumbawamba gegen kulturelle Gleichmacherei auf die Barrikaden
Es wird gescherzt, verulkt und großen Tieren an den teuren Lackschuh gepinkelt. „Der Rock’n‘-Roll ist immer noch eine schwere Waffe“, schlägt Dunstan „Bulldog“ Bruce sich auf die Kämpferbrust, „und wenn du als Rock’n’Roller morgens aufwachst und das Gefühl hast, dass irgendwas mit dieser Welt nicht stimmt, dann solltest du darüber schleunigst einen Song schreiben. Und ja nicht vergessen, die Schuldigen zu nennen.“ Und die sind schnell ausgemacht: Die miesen Imperien von McDonald und Walt Disney, die Firmenriesen Nike, Coca Cola, Ford „und natürlich die EMI!“
So was werden ihre Vertragspartner gerne hören – aber wer sich eine „Anarchist Pop Group“ in den Stall stellt… „All diese Konzerne“, wütet Boff „Beagle“ Whalley, „wollen uns Standards aufzwingen, bis die gesamte Welt im Gleichschritt herummarschiert.“ Genau diesem Vorhaben aber haben Chumbawamba den Krieg erklärt, und sie haben eine Menge Spaß im Felde.
Die ersten Opfer indes sind ihre Rezensenten. „Wie oft wir schon so beieinander gesessen und uns halbtot gelacht haben“, sagt Alice „Retriever“ Nutter, „wenn wir uns die Jungs auf der Suche nach der passenden Schublade für uns vorstellten.“ Einfach herrlich! Und nach dem Rendezvous mit Chumbawambas neuer Platte „WYSWYG“ (für „What you see is what you get“) vermisst man in der Tat eigentlich nur Speed Metal und Free Jazz aus dem Fundus der populären Musik des letzten Jahrhunderts. „Wir gehen halt gerne klassische Wege im Studio“, grinst Boff diabolisch, „so wie die Beatles bei Sergeant Pepper‘. Da hat auch Paul diese Streicher angeschleppt und John fand’s gerade deshalb spannend, weil die vielleicht seinen Song hätten zerstören können.“ Genauso gehe man bei Chumbawamba vor, erläutert Boff weiter. „Wir schmeißen jedes Mal ’ne Menge Zeugs auf einen Haufen, rühren einmal um, denken uns so komische Zutaten aus wie ein Banjo oder Samples von ’nen schmalzigen Doo-Wop-Platte und fangen dann an. Wer bei uns mit einem fertig arrangierten Song ankommt, fliegt raus.“
Kein Wunder, dass unter den Credits in der Rubrik „Producer“ nun der eigene Bandname auftaucht Denn mit dem achtköpfigen Team hielte es kein Sound-Wizard lange aus, „und umgekehrt“, sagt Alice, „wär’s wohl noch schwieriger.“ Er sei immer „unheimlich erschrocken“, so Boff, „wenn ich andere aufnehmen sehe. Die verlassen sich total auf ihren Producer, und wenn sie ’nen anderen Sound wollen.
suchen sie sich ’nen neuen Mann am Mischpult.“ Mitleidigen Blickes räumen sie zwar ein, „dass einer Truppe wie den Backstreet Boys natürlich nichts anderes übrigbleibt, aber wieso gehen richtige Bands wie Blur, Oasis, U2, die Manie Street Preachers den gleichen Weg? Also, jemand wie Frank Zappa wäre doch auf so ’nen Gedanken nie im Leben gekommen!“ Und sie ja auch nicht. Weshalb ihre Platten so schön bunt klingen, als handle es sich um eine Compilation von fast allen Kontinenten. „Man könnte unsere Musik sogar malen“, meint Alice und träumt von „Bits & Pieces aus dem 20 Jahrhundert in höllisch vielen, grellen Farben.“ Dunstan denkt eher an „so ein Jackson-Pollock-Bild, literweise Ölfarben, durch die wir dann mit dem Fahrrad fahren.“ Und Boff malt Chumbawamba „ab Mondrian-Fake, über das ganze Zimmer, so mit Zahnpastatuben, Porno-Bildchen und zerquetschten Orangen.“
Verdammt, nun haben wir den Agitprop ja ganz aus dem Auge verloren. „Ach was“, winkt Boff ab, „der Kampf geht weiter. Solange es noch eine Boygroup gibt, geben wir die Gewehre auf keinen Fall ab!“