Die letzten Stunden im Leben von Amy Winehouse
Amy Winehouse wird schmerzlich vermisst. ROLLING STONE hat alle Infos zu ihrem viel zu frühen Tod im Jahr 2011 zusammengetragen.
Amy Winehouse war vor ihrem Tod etwa zwei bis drei Wochen trocken und nahm regelmäßig Medikamente gegen die Begleiterscheinungen des Alkoholentzugs sowie gegen Angstzustände. Ihre Ärztin Christina Romete besuchte sie am Abend des 23. Juli 2011. Die Sängerin sei zwar leicht betrunken gewesen, ihr Zustand erschien jedoch als gut. Sie erzählte Dr. Romete zudem, dass sie Angst habe ihre Sucht nicht bezwingen zu können.
„Sie sagte mir aber dennoch, dass sie nicht sterben wollte“, so die Ärztin. „Sie freute sich auf ihre Zukunft.“ Wenig später war Amy Jade Winehouse tot.
Laut Polizeibericht wurden in ihrem Haus keine „verdächtigen Dinge“ entdeckt. Daraufhin hatte die Justizbehörde lediglich eine Untersuchung der Todesursache angeordnet. Wochenlang wurde um Amy Winehouse getrauert und über ihre Todesursache gerätselt. War sie clean gewesen, auf dem Weg der Besserung? Und warum starb sie dann so plötzlich? Im Oktober 2011 gab die Londoner Gerichtsmedizin die Ergebnisse der Obduktion bekannt. Die Sängerin sei an einer Alkoholvergiftung mit einem Blut-Alkoholwert von 4,16 Promille gestorben. Illegale Substanzen wurden nicht gefunden. Ein tragischer Unglücksfall, so Untersuchungsrichterin Suzanne Greenway. Eine „nicht beabsichtigte Konsequenz ihres Alkoholkonsums“.
Amy Winehouse und die Medien
„Sogar die Rentner in der U-Bahn und die Leute im Blumenladen reden drüber. Die Mutter sagt, sie sei nicht überrascht gewesen, der Boyfriend schon, weil Amy ja bereits die Kleider rausgelegt hatte, um mit ihm am Sonntag auf eine Hochzeit zu gehen. Und vor ihrem Apartment in London stellen die Leute nicht nur Blumen und Bilder ab, sondern auch Zigarettensträuße und Wodkaflaschen. Absolut geschmacklos, wo die Frau sich doch wahrscheinlich totgesoffen und -geraucht hat, sagen die Leute.
Dass ihre Musik ohne die privaten Süchte und Dunkelpunkte niemals dieselbe, niemals so gut gewesen wäre, ist in den letzten Tagen oft gesagt worden. Auch, dass der Druck der öffentlichen Beobachtung auf ihr lastete und einige Ausfälle wohl erst provozierte. Trotzdem: In den Todesfall Amy Winehouse sind die Medien – die Onlinedienste, Zeitschriften, TV-Magazine, U-Bahn-Newsbildschirm-Belieferer – auf eine Art und Weise verwickelt, wie sie in der Zeit seit dem Tod von James Dean bislang beispiellos war. Und bevor jemand fragt: Ja, auch wir haben mitgemacht. Auch dieser Artikel ist noch immer Teil des Systems, das den Tod von Amy Winehouse zwar sicher nicht verursacht hat. Auf das dieser Tod allerdings ein extrem schmerzendes Licht wirft.“
Immer mehr Geschichten aus dem Abgrund
Wie doppelmoralisch Redakteure und Leser einerseits die Köpfe über Amys Gossengänge schüttelten, andererseits aber auch Spaß, Spannung und Umsatzzahlen aus ihnen zogen, wurde schon im November 2007 von der deutschen „Vanity Fair“-Ausgabe verurteilt. Kleines Problem: Es war Teil einer Amy-Titelstory, unter der Schlagzeile „Sterben für den Ruhm? Stars in der Drogenfalle – warum Amy Winehouse, Britney Spears, Pete Doherty & Lindsay Lohan mit ihrem Leben spielen“. Der Zauber des Hässlichen, Versehrten, dionysisch Kaputten – im Fall Amy Winehouse schien er ins derart unmessbar Große zu wachsen, dass viele ihn nicht mehr vom Glanz des Schönen und Begehrenswerten unterscheiden konnten. Und immer mehr davon wollten.
Die Vorzeichen
„Es war die Chronik eines angekündigten Todes – und dennoch wirkt die Nachricht vom Tod der Amy Winehouse wie eine makabre Erfindung der Klatschpresse, die in den vergangenen vier Jahren vor ihrem Tod stets ein Plätzchen für Fotos von Exzessen, Abstürzen und Peinlichkeiten der jungen Frau bereit hielt. Noch Anfang der Woche vor dem 23. Juli 2011 zitierte Sat.1 Vater Mitchell mit der Aussage, seine Tochter müsse nun viel Zeit zur Erholung bekommen – und einen Arzt mit der drastischen Prognose, sie werde unter den derzeitigen Bedingungen nur noch wenige Monate leben.“
Ende Juni 2011 war Amy Winehouse beim Auftakt einer Tournee in Serbien torkelnd und lallend aufgetreten, gestürzt und schließlich von gnädigen Musikern von der Bühne gebracht worden – unter Buhrufen des Publikums. Die Tournee wurde abgebrochen. Am Nachmittag des 23. Juli 2o11, kurz vor 16 Uhr Ortszeit, wurde ein Notarztwagen zu ihrem Haus in London gerufen.
Der Weg zum Superstar
Die Karriere dieser außergewöhnlichen Sängerin fand – so erstaunlich sie war – im Schatten ihrer Selbstzerstörung statt. Stärker noch als bei Janis Joplin oder Billie Holiday waren ihre Leiden verwoben mit den grandiosen Liedern, die sie zum größten Teil selbst schrieb. Schon an der Theater- und Musikschule für Begabte rebellierte das intelligente Mädchen, geboren am 14. September 1983.
Mit 16 spielte sie in einem Jazz-Orchester, trat in Late-Night-Clubs auf und spielte, WAR die Verruchte; Mutter und Vater – sie Apothekerin, er verkrachter Jazz-Musiker und praktizierender Taxifahrer – erkannten ihr Talent und sahen hilflos zu, wie Amy ihren Weg ging. Ihre Leidenschaft für Soul, Jazz und Girl Groups der 60er-Jahre war ebenso manisch wie die Neigung zu wilden Männern, Alkohol und Drogen. Der erste Versuch einer Plattenfirma, die 18-jährige Amy Winehouse mit Songs im Sound der Zeit zu positionieren, scheiterte vor allem an der Renitenz der Künstlerin selbst.
Der Durchbruch
2003 erschien dann das respektable Debüt „Frank“, ein ordentlicher Erfolg, der Amys Talent indes nur andeutete. Unter den Fittichen des Produzenten Mark Ronson entwickelte sie einen verblüffenden Retro-Stil, den sie mit ihrer Beehive-Frisur und dem düster-pathetischen Make-up spiegelte. An dem zweiten Album „Back To Black“ wirkten die Dap-Kings mit, ein Bläser-Ensemble, das sich ebenfalls dem Rhythm & Blues und Soul der 60er-Jahre verschrieben hat. Fast alle Songs schrieb Winehouse allein, sogar ihr Gitarrenspiel wird im Booklet angegeben. Die Platte erschien Ende Oktober 2006 und entwickelte sich schleichend zum Bestseller und zur Sensation – nach einem halben Jahr erreichte sie die Spitzenposition der US-Charts, in Deutschland belegte sie erst im Januar 2008 die Nummer-eins-Position. In New York kopierten hysterische Mädchen Amys Outfits, sämtliche Konzerte waren ausverkauft.
Was bleibt von Amy Winehouse?
In den wenigen Songs ihres Lebens besang Amy Winehouse furchtlos das Unheil: „You Know I’m No Good“, „Love Is A Losing Game“, „Wake Up Alone“, „Some Unholy War“. Auf Erden war dieser obsessiven, manisch-depressiven, schutzlosen Frau nicht zu helfen. Sie starb nun mit 27 Jahren, der magischen schwarzen Zahl der Popmusik: Hendrix, Joplin, Morrison und Cobain starben ebenso jung.
Es bleibt diese Stimme, die so abgründig und erfahren klingt, so zynisch und herausfordernd, lustvoll und uralt. Es ist die Stimme, mit der Aretha Franklin „Respect“ sang, eine Stimme aus den Sümpfen und Kaschemmen, die Benachteiligung beklagt, verletzte Gefühle, unerwiderte Liebe, das Gewicht der Welt – und die eigene Dummheit. Amy Winehouse hatte die gewaltigste Stimme ihrer Generation – aber sie gehörte gar nicht zu dieser Generation. Man wird in Jahrzehnten nur von der legendären Sängerin sprechen, die so Recht bekam wie keine andere und der das nichts bedeutete. Die ein Meisterwerk und ein halbes hinterlässt und ein Mysterium bleibt. „What’s inside will never die“, sang Amy Winehouse. „I go back to black.“