Amy und der Schokoriegel
Ferry, der Designer: Neil Kirk, der für drei Roxy-Music-Alben ikonische Fotos schoss, über die Kreativität des Bandleaders, den Helm von Tony Curtis und den Faktor Sex.
Bildende Kunst pflegt Bryan Ferry nicht nur als private Leidenschaft: Regelmäßig leitet er das Team, das seine Plattenhüllen gestaltet, selbst steht er in den Credits meist an erster Stelle. Ein regelmäßiger Mitstreiter war dabei der Londoner Modefotograf Neil Kirk, der drei Roxy-Cover mit ihm in Szene gesetzt hat.
Mister Kirk, wie war die Party, die man auf dem „Manifesto“-Album sieht? Cool oder eher angestrengt?
Sie hat jedenfalls lange gedauert. Wir haben die ganze Nacht gearbeitet, in meinem Studio, Weihnachten 1978. Damals hatte man bei solchen Gelegenheiten ja nur eine Maxime: ein außerordentliches Bild zu bekommen. Zeit, Platzbedarf und Budget waren zweitrangig. Bryans Idee war es, die letzte Party vor dem Ende des Universums darzustellen. Die einzigen echten Mädchen auf dem Foto sind übrigens ein Zwillingspaar. Zwischen einer von ihnen und Bryan gab es irgendwann auch gewisse sexuelle Verwicklungen.
Das Foto, auf dem alle Menschen und Puppen nackt sind, schaffte es leider nur auf die Picture Disc.
Ein solches Bild gibt es? Daran erinnere ich mich gar nicht.
Dass eine Plattenfirma die Musiker selbst ans Design heranlässt, ist die große Ausnahme. Wie hat sich Bryan Ferry dafür qualifiziert?
Wenn es um Kunst geht, kann man ihn hundertprozentig ernst nehmen. Er lebt und atmet Kunst. Und er ist definitiv der Grund für die besonderen Nuancen, die Roxy-Cover haben. Und die sie von den Design-Workshop-Hüllen unterscheiden, die viele Bands von ihrer Plattenfirma vorgesetzt bekommen.
Wie muss man sich die Teamarbeit mit ihm vorstellen?
Wir haben immer zu viert gearbeitet. Außer Bryan und mir waren noch Peter Saville und sein alter Freund dabei, der Modedesigner Antony Price. Bryan hat ein Talent dafür, ausgefallene Leute zu entdecken. Im Team durften alle mitreden, das sprang hin und her. Aber Bryan war immer der Initiator der Grundidee. Ganz einfach, weil er ja die Musik machte. Die Musik war dem Design natürlich immer übergeordnet.
Was war die Idee für das „Avalon“-Cover?
Ein Geist, der durch die Lüfte reist und über eine Insel fliegt. Es sollte eine dezidiert britische Aura haben, man sollte an die Zeit von König Arthur denken. Der Kopf auf dem Foto gehört übrigens Bryans damaliger Freundin Lucy, die später seine Frau wurde. Den Helm, den sie trägt, habe ich in einem Kostümfundus entdeckt – es ist der, den Tony Curtis im Film „Taras Bulba“ getragen hat. Dabei muss man zugeben, dass „Avalon“ eigentlich vom Namen einer New Yorker Bar kam. Also gar nichts Britisches.
Haben Sie die Fotos dann wenigstens an einem britischen See gemacht?
Nicht mal das, wir mussten nach Irland reisen. Sechs oder sieben Tage haben die Sessions gedauert, wir warteten auf das richtige Wetter, auf dies und das. Wir schossen Raketen ab, um Nebel zu erzeugen. Dafür mussten wir eine Menge Sprengstoff mit nach Irland bringen. Und es war politisch nicht die richtige Zeit, um sich an der Grenze mit sowas erwischen zu lassen …
War der Falke echt?
Weiß ich nicht mehr. Ich fürchte: Ja.
Vom künstlerischen Standpunkt aus: Was macht den Reiz der Roxy-Cover aus?
Die Band war von Anfang an Teil eines kreativen Milieus. Die Jungs wussten, dass man sich eine eigene Nische schaffen muss, auch visuell. Und sie setzten sehr bewusst auf den Faktor Sex. So haben wir es bei den Shootings auch gehandhabt: Wir luden Mädchen ein, die wir selbst interessant fanden. Für „Flesh + Blood“ brachte ich zum Beispiel Amy mit, die wundervolle blonde Amy aus Süd-London, die Rodtschenko sicher für den Namen eines Schokoriegels gehalten hätte.
Freuen Sie sich, dass das Foto auf Ferrys „Olympia“ nun an die alten Roxy-Cover anknüpft?
Finden Sie, dass es das tut? Es passt in unsere Zeit, aber wenn Sie mir die Bemerkung erlauben: Es ist schon auf sehr plakative Art kommerziell. Der Bryan von 1980 hätte ein Model gesucht, dass etwas mehr Ausdruck hat als Kate Moss.
Würden Sie Ferrys Musik denn bei ihren Mode-Shootings im Studio auflegen?
Nein. Aber zum Autofahren ist sie großartig.
Interview: Joachim Hentschel