AMERICAN PSYCHO
Das San Joaquin Valley in Kalifornien. Etwa auf halber Strecke zwischen Bakersfield und Fresno steht an der Peripherie einer von Fliegen geplagten, zugigen, stinkenden und staubtrockenen Stadt namens Corcoran der gedrungene, weitläufige Komplex des Corcoran State Prison. Hier verbüßt Charlie Manson die verbliebene Zeit einer lebenslangen Freiheitsstrafe, verhängt für sein Mitwirken an einer Reihe bestialischer Morde, die 1969 der Love-&-Peace-Ära ein jähes Ende setzten.
Der Mann, der gerade den Besucherraum betritt, sieht nicht mehr aus wie damals bei seinem Prozess – natürlich nicht. Er ist nicht mehr diese strahlende Gestalt in Hirschlederfransen, gelegentlich mit breiter, grell gemusterter Krawatte oder jener leuchtend bunten Patchwork-Weste, die ihm eines seiner Mädchen genäht hatte, mit dem mondänen Bärtchen, den irren Rasputin-Augen und der unheimlichen Fähigkeit, plötzlich vorwärts zu schnellen, um gerade noch überwältigt zu werden, bevor der Bleistift in seiner Hand dem Vorsitzenden Richter die Gurgel durchbohrt. Diese Tage sind lange vorüber. Manson ist 80 Jahre alt. Er ist ein alter Mann mit vollem grauen Haar, aber schlechtem Gehör, angegriffener Lunge und einer rissigen, abgesplitterten Gefängnis-Zahnprothese. Er geht am Stock, den er nun hebt, um seine Besucher zu begrüßen, unter ihnen eine schlanke, dunkelhaarige Frau, die er Star nennt.
„Star!“, ruft er. „Sie ist keine Frau. Sie ist ein Stern in der Milchstraße!“
Er schlurft auf sie zu, breitet grinsend die Arme aus und sie driftet ihm regelrecht entgegen.
Von einer erhöhten Plattform in der Mitte des Raums behalten zwei mit Pfefferspray und Schlagstöcken bewaffnete Wachen das Paar im Auge. Star ist 25 Jahre alt, stammt aus einer Kleinstadt am Mississippi, wurde im baptistischen Glauben erzogen, ist innerhalb ihrer vier Wände so penibel wie mit ihrer Kleidung und hat durchaus Sinn für Humor. Charlie ist vermutlich der berüchtigtste verurteilte Mörder aller Zeiten. Darin, wie er Freunde manipulierte, in seinem Auftrag zu morden, erkannten nicht wenige das Werk des Teufels. Er verbrachte die letzten 44 Jahre hinter Gittern und saß insgesamt fast 60 Jahre in Haft. Das heißt, er hat weniger als zwei Jahrzehnte in Freiheit verlebt. Er wird das Gefängnis nie mehr verlassen. Auch Star lebt in Corcoran, seit fast sieben Jahren immerhin, also seit sie 19 ist. Nicht Charlies mörderischer Ruf brachte sie hierher, sondern sein Eintreten für den Schutz der Umwelt und des Planeten, fußend auf einer Überzeugung, die er als ATWA bezeichnet, ein Akronym für die Wörter „air“,“trees“, „water“ und „animals“. Sie blieb, um zu seiner leidenschaftlichsten Fürsprecherin zu werden, diverse Unterstützer-Webseiten zu betreiben und ihn jedes Wochenende bis zu fünf Stunden am Tag zu besuchen – vorausgesetzt, Charlie sitzt nicht gerade in Isolationshaft oder wird von der Ordnungsmacht sonst irgendwie gegängelt. „Manche Leute halten mich sicher für verrückt“, pflegt sie zu sagen. „Aber was wissen die schon. Was ich hier tue, ist genau das Richtige für mich. Dafür wurde ich geboren.“
Die Besuchsregeln erlauben ihnen einen Kuss am Anfang und am Ende eines jeden Besuchs. Der Kuss, dessen Zeuge ich nun werde, bevor sich die beiden an einen der freien Tische setzen, ist ein durchschnittliches Küsschen mit Umarmung. Das Erste, was einem an Manson auffällt, ist das X, das er sich während seines Prozesses als Zeichen des Protestes gegen die Behandlung durch die Justiz in die Stirn geritzt hat (und später zu einem Hakenkreuz erweiterte). Eine Geste, die kurz darauf von seinen Mitangeklagten und erst kürzlich, mehr als 40 Jahre später, auch von dem Mädchen übernommen wurde, das ihm nun gegenübersitzt. Das Zweite ist, wie gut er sich gehalten hat. Ihm wachsen keine Haare aus Ohren oder Nase, ihm rinnen keine Speichelfäden aus den Mundwinkeln und sein blaues Knasthemd wird weder von Falten noch von Essensresten verunziert. Er sieht ziemlich gut aus. Als Drittes fällt einem auf, wie sanft er spricht. Er steht auf, blickt sich um und sagt: „Ich dachte, wir hätten Popcorn“, bevor er zu einem Schrank hinübergeht, in dem die Insassen wohl gelegentlich Essen bunkern. Er bückt sich, sieht hinein und schiebt ein paar Sachen hin und her, um schließlich schwer und vernehmlich zu seufzen. Als er wieder Platz nimmt, wirkt er verwirrt und leicht geistesabwesend. Aber dann schnellt sein Arm urplötzlich mit der Geschwindigkeit einer Froschzunge vor, und noch bevor ich überhaupt begreife, was geschieht, hat er mir mit dem Finger an die Nasenspitze gestupst.
Er beugt sich zu mir herüber und ich spüre seinen Atem in meinem Ohr.
„Ich habe allen an die Nase gefasst“, sagt er leise. „Es gibt niemand, den ich nicht an die Nase fassen kann.“ Er legt den Kopf schräg und sagt: „Ich weiß, was du gerade denkst.“ Und ein wenig später: „Wenn ich dich anfassen kann, dann kann ich dich auch töten.“ Er streicht mit seiner Hand über meinen Arm.
Eine Stunde danach unterhalten wir uns darüber, wie es damals auf der Ranch war, mit den vielen Mädchen, ein paar Jungs und dem Gruppensex. „Es war genau so“, sagt Manson und streicht wieder mit der Hand über meinen Arm, bis hinauf in die Armbeuge und zurück.“Wir haben uns alle mitreißen lassen. Keiner hat nein gesagt. Ich gleite vorwärts und du musst nur mit dem flow gehen. Wer auch immer wen auch immer wollte, hat sich zu ihm gelegt.“ Ich nicke, denn für einen Moment, während seine Hand meinen Arm hinaufgleitet, habe ich vor Augen, wie es gewesen sein muss. Es fühlt sich ganz in Ordnung an. Es fühlt sich sogar überraschend gut an, mit dem flow zu gehen, obwohl er von Charlie Manson ausgeht – und obwohl er mich, da er mich ja anfasst, töten könnte.
Inzwischen arrangiert Star eine kleine Auswahl an Leckereien auf dem Tisch: Schokoriegel, Kürbiskuchen, Kartoffelchips, Tortilla-Chips, Erdbeerkuchen, Peanut Butter Cups. Charlie entscheidet sich für einen Schokoriegel und spült ihn mit einem Schluck Limo runter. Auf die Art verbringt er heutzutage seine Zeit. Bis seine Zeit abgelaufen ist.
Am 21. März 1967, nachdem er sechs Jahre wegen eines Verstoßes gegen seine Bewährungsauflagen für das Fälschen eines Schecks über 37 Dollar gesessen hatte, trat der gewöhnliche Kleinkriminelle Charles Milles Manson, 32, aus dem Schatten der Gefängnismauern hinaus in die Friede-Freude-Eierkuchen-Welt der Hippie-Metropole San Francisco. Es war der Sommer der Liebe und was der für ihn bereithielt, war völlig neu für ihn: freie Liebe, Essen und Umarmungen im Überfluss, Hasch und LSD und Mädchen, viele von ihnen gestrauchelt und nur auf der Suche nach jemandem, der sie auffing. Charlie war genau ihr Mann. Er spielte Gitarre, er hatte die geheimnisvolle Aura eines Ex-Häftlings, er beherrschte diese metaphysische Du-kannst-frei-sein-wenn-du-nurwillst-Nummer. Die Mädchen scharten sich um ihn, angefangen mit der Bibliothekarin Mary Brunner, gefolgt von der elfenhaften Lynette Fromme, die bald alle nur noch Squeaky nannten, der sexbesessenen Susan Atkins und Sandra Good, Tochter aus reichem Hause. Es waren die Anfänge einer Gemeinschaft, die der Staatsanwalt später als die „Family“ bezeichnete. Für Manson war es außerdem der Anfang vom Ende.
Irgendwann landeten sie schließlich alle miteinander in Los Angeles.
Laut seinem Biografen, dem Staatsanwalt Vincent Bugliosi, träumte Manson davon, ein Rockstar zu werden. Er freundete sich mit Dennis Wilson von den Beach Boys an, der ihn für talentiert hielt, und mit der Produzenten-Größe Terry Melcher. Er kam rum. Jeder trieb es mit jedem. Es war ein Riesenspaß. Meistens war es das wirklich. Außer wenn Charlie, wie einige der Mädchen später bezeugten, eines von ihnen verprügelte. Sie lebten auf der Spahn Ranch, die früher gelegentlich als Kulisse für Hollywood-Western gedient hatte, und wo Charlie nun verkündete, er wäre vermutlich Jesus Christus, worauf ihm alle dort entsprechend begegneten, was im Nachhinein zu der Überzeugung führte, er wäre so eine Art teuflischer Guru gewesen, der seine Anhänger mittels hypnotischer Superkräfte vollständig in der Hand hatte. Und eine Zeit lang war alles gut. Junge Leute, die nie ein wirkliches Zuhause kannten, hatten nun eins. Aber 1969 änderte sich etwas. Die Beatles hatten unlängst ihr weißes Album veröffentlicht, und Manson entwickelte eine plötzliche und schwer zu durchschauende Faszination für den Song „Helter Skelter“. Er deutete ihn als Prophezeiung eines bevorstehenden apokalyptischen Krieges zwischen Schwarzen und Weißen, vor dem er und seine Gang Zuflucht in einem unterirdischen Arkadien in der Wüste finden und nach dessen Ende die siegreichen Schwarzen ihn beknien würden, ihr Anführer zu werden, da sie sich nicht selbst führen konnten.
Laut Bugliosis Darstellung wurde es Manson schließlich leid, auf den Ausbruch dieses Kriegs zu warten, weshalb er am 9. August 1969 beschloss, ihn selbst loszutreten, indem er Tex Watson, einen Ex-Highschool-Sportstar, Patricia Krenwinkel, ehemals Studentin an einem katholischen College, Susan Atkins, einst Sängerin im Kirchenchor, und einen Neuankömmling namens Linda Kasabian zu einer Villa am Cielo Drive in Los Angeles schickte -ein Haus, das Terry Melcher einmal bewohnt hatte – und der Gruppe die Order erteilte, „alle darin so grausam abzuschlachten wie nur möglich“. Sie sollten „Hexenzeichen“ und Omen hinterlassen, um die Tat wie das Werk der Black Panther aussehen zu lassen. Widerspruch wurde nicht geduldet. Oder zumindest gab es keinen.
„Ich bin der Teufel und ich bin hier, um die Arbeit des Teufels zu verrichten“, verkündete Watson bei Betreten des Hauses. Geschätzte 25 Minuten und 102 Stichwunden später war alles vorbei, zumindest für diese Nacht.
Unter den Dahingemetzelten waren die schwangere Schauspielerin Sharon Tate, 26, Gattin des Regisseurs Roman Polanski, der Prominenten-Friseur Jay Sebring, 35, Drehbuchautor Voytek Frykowski, 32, und Abigail Folger, 25, Erbin der KaffeeDynastie Folger. In der folgenden Nacht schlugen die Killer wieder zu, erneut auf Charlies Anweisung. Verstärkt um die vormalige Cheerleaderund Highschool-Ballkönigin Leslie Van Houten, erstach die Gruppe ein scheinbar willkürlich ausgewähltes Paar, Leno LaBianca, 44, Inhaber einer Supermarkt-Kette, und seine Frau Rosemary, 38, in ihrem Haus mit insgesamt 77 Messerstichen. In beiden Fällen schmierten sie mit dem Blut der Opfer Wörter wie „Pigs“ und „Death to pigs“ an die Wände, eine Tür und einen Kühlschrank.
Nach Bugliosis Theorie verfolgten sie damit die Absicht, den Tatverdacht auf die Schwarzen zu lenken, daraufhin würden die Weißen auf die Schwarzen losgehen, die Schwarzen würden sich erheben – und schon wäre eine Revolution im Gange, die Manson laut Bugliosi als „Helter Skelter“ bezeichnet. Es war ein krudes, ja, haarsträubendes Szenario und eines, das unter Bugliosis Justiz-Kollegen den Wunsch erweckte, er würde es zugunsten von etwas Bodenständigerem, wie etwa einem Raubüberfall oder einem aus dem Ruder gelaufenen Drogen-Deal aufgeben. Aber Bug, wie Manson ihn nannte, ließ sich nicht davon abbringen. Er versprach Kasabian – die, wie es schien, an keinem der Morde direkt beteiligt war – Straffreiheit, und mit ihr als Kronzeugin gelang es ihm, „Helter Skelter“ nicht nur der Jury, sondern auch dem Rest des Landes zu verkaufen. 1971 wurden sämtliche Angeklagten für schuldig befunden und zum Tode verurteilt, das Strafmaß allerdings in lebenslänglich umgewandelt, als der Staat Kalifornien später die Todesstrafe für kurze Zeit aussetzte. Atkins starb vor vier Jahren im Alter von 61 Jahren an Krebs. Krenwinkel, 65, und Van Houten, 64, sitzen im Frauengefängnis von Chino ein, wo sie als vorbildliche Gefangene gelten und wohl auf eine Bewährung wegen guter Führung hoffen dürfen. Watson, 67, ist im Mule Creek State Prison im kalifornischen Ione inhaftiert. Er hat gestanden, sämtliche Morde eigenhändig begangen zu haben, während die Frauen zumeist erst nach dem Tod der Opfer auf diese eingestochen hätten. Sie alle haben Manson von jeder Schuld freigesprochen.
„Es gibt da draußen Tausende abgrundtief böse Verbrecher, und wir haben wesentlich brutalere Morde als die Manson-Morde erlebt – warum ist Manson also immer noch in aller Munde?“, fragt Bugliosi und liefert die Antwort gleich selbst. „Er hat etwas, das unter tausend Menschen nur ein Einziger besitzt. Eine Aura. ,Vibes‘ haben die Kids das in den Sechzigern genannt. Wo immer er auftauchte, wurden sie wie magisch von ihm angezogen. Das ist nicht normal. Ich krieg es ja noch nicht mal hin, dass jemand zum Laden um die Ecke geht und mir einen Milchshake besorgt. Aber dieser Kerl ich weiß nicht, was es ist. Wie zur Hölle soll ich das auch wissen?“
Wie zur Hölle soll das irgend jemand wissen? Was die meisten Menschen über Manson wissen oder glauben zu wissen, ist beinahe gänzlich auf „Helter Skelter“ zurückzuführen, jenen 600 Seiten starken Bericht des damaligen Staatsanwalts Vincent Bugliosi über die Morde, die Ermittlungen und den Prozess, der sich seit 1974 über sieben Millionen Mal verkauft hat – mehr als jedes andere True-Crime-Buch der Geschichte. Schon als seine ersten Auflage erschien, war es eine zutiefst beängstigende, auf schockierende Weise gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen erschütternde Lektüre – und das ist es bis heute.
Es ist unbegreiflich und niemand wird es jemals wirklich erklären können. So, wie ich nie wissen oder verstehen werde, warum es sich gut anfühlte, als Manson mir seine Hand auf den Arm legte. Es ist Charisma. Dieses Charisma – und die perfide Art, mit der er es eingesetzt hat – macht Manson seit 44 Jahren zu einem Symbol des personifizierten Bösen, das nur noch von Hitler übertroffen wird. Allerdings trägt er selbst höchst selten etwas dazu bei und es ist rund 20 Jahre her, dass er der Presse zuletzt ein umfassendes Interview gewährte. Über die Jahre blieben Mansons Name und Gesicht fest in der öffentlichen Wahrnehmung verankert, völlig unabhängig davon, was er selbst eigentlich will. Auf T-Shirts und in den regelmäßigen Wiederholungen der „South Park“-Episode „Merry Christmas Charlie Manson!“ starren uns seine schwarzumflorten Augen entgegen. Er inspirierte eine Oper und ein Musical. Und auch die Intellektuellen wollen ein Wörtchen mitreden. 2010 schrieb der Theologe David R. Williams:“Wir, als Kulturgemeinschaft, haben in Mansons Augen geblickt und in diesen dunklen Höhlen gefunden, was wir an uns selbst am meisten fürchten: die Paranoia, was wohl geschieht, wenn wir zu weit gehen. Er war das Monster in der Wildnis; der Schatten im nächtlichen Wald; die Bestie, von der es heißt, sie lauere in der Terra Incognita jenseits der Kartenränder.“ Und wie die lauernde Bestie, ist Charlie immer bei uns, allzeit gegenwärtig. Geraldo Rivera führte 1988 ein TV-Interview mit Manson, in dem er ihn „den Stoff für Albträume einer ganzen Nation“ nannte. Und wenn er das vielleicht auch noch nicht wirklich war, bevor ihn die Presse in Beschlag nahm, so ist er es seitdem doch ganz sicher geworden.
Und jetzt sitzt mir Charlie gegenüber, hier im Gefängnis, wo er schon so lange gesessen hat, und sagt dieselben Dinge, die er im Prinzip von Anfang an erzählt: Er hat Tex nicht angewiesen, jemand umzubringen („Ich habe keinem vorgeschrieben, was er für einen Scheiß zu tun hat!“); er ist unschuldig („Ich habe nie jemand getötet!“); es gab keine Family („Das hat sich Bugs ausgedacht!“), er war kein Anführer („Tu, was dir gefällt, Baby. Wir alle hier sind freie Menschen. Ich bin niemandes Boss!“); „Helter Skelter“ war nicht das, was Bugliosi daraus gemacht hat („Scheiße, das ergibt selbst als Wahnsinn keinen Sinn!“); ihm wurde während des Prozesses widerrechtlich verweigert, sich selbst zu verteidigen („Ich hab auf meine Rechte bestanden!“), der Staat schuldet ihm 50 Millionen Dollar „und Hearst Castle, für 45 Jahre Verarschung“, und überhaupt ist nichts davon von Bedeutung, in Anbetracht dessen, was wir unserer Luft, unseren Bäumen, unserem Wasser und unseren Tieren antun, deren Rettung allein er manchmal als hinreichende Rechtfertigung für die Tate-und LaBianca-Morde anführt – selbstverständlich völlig ungeachtet seiner Mittäterschaft.
„Pass auf, es läuft folgendermaßen ab“, sagt er. „Du nimmst ein Baby und“, – die nun folgende Beschreibung dessen, was man diesem Baby antun könnte, ist so entsetzlich, dass sie jegliche Vorstellungskraft übersteigt – „… und es stirbt, …“ – wieder schildert er etwas unaussprechlich Grausames. Dann fährt er fort: „Ich weiß, was du jetzt denkst. Ich kann sehen, wie dein ratterndes Hirn vor und zurück irrt. Aber was passiert, wenn dieses Baby stirbt?“ Er atmet ein und er atmet aus, er atmet ein und er atmet aus. „Ein Hund hätte nicht gezögert: Er hätte für einen weiteren Atemzug getötet. War es also falsch, das diesen Leuten anzutun?“ In solchen Momenten begreift man, dass das Gefängnis der einzig richtige Ort für ihn ist, und hofft inbrünstig, dass er einen nie wieder berührt.
Besuche bei Charlie sind strapaziös für Star und während der knapp fünf Kilometer langen Fahrt von seiner Tür zurück zu ihrer lässt sie es entsprechend bedächtig angehen. Früher hat sie den Trip gewöhnlich mit einem großen, hageren und unheimlich aussehenden Kerl namens Gray Wolf, 64, unternommen. Einem Manson-Jünger aus Spahn-Ranch-Tagen, der sich zur gleichen Zeit wie Star ein X in die Stirn geritzt hat. Aber nachdem Gray Wolf Anfang des Jahres bei dem Versuch erwischt wurde, ein Handy für Charlie ins Gefängnis zu schmuggeln, hat man ihm das Besuchsrecht entzogen.
Was Star hierher führte, unterscheidet sich nicht groß von dem, was auch viele Mädchen der Spahn Ranch dorthin brachte: eine Reaktion auf ihr Umfeld und darauf, was dieses mit ihnen anstellte. Aufgewachsen ist sie am Mississippi unweit von New Orleans. Ihre tiefreligiösen Eltern akzeptierten keine ihrer Freundschaften. „Sie befürchteten, ich könnte zum Hippie werden“, berichtet sie. „Ich habe Hasch geraucht und Pilze gegessen. Ich wollte nicht jeden Sonntag zur Kirche gehen und auch keinen Priester heiraten. Sie sind baptistische Christen und wünschten sich für mich einen Priester zum Mann.“ Damit ihre Tochter nicht in Schwierigkeiten geriet, schlossen sie Star in ihrem Zimmer ein, wo sie einen Gutteil ihrer Highschool-Jahre verbrachte. Und wie Charlie gelang es ihr, sich mit der Einsamkeit ihrer Gefangenschaft zu arrangieren. „Seit ich mich damals ans Alleinsein gewöhnt habe, fühlte ich mich nie wieder einsam.“ Eines Tages steckte ihr ein Freund ein Blatt mit einem Manson-Zitat zu. Sie hatte noch nie von Manson gehört, aber ihr gefiel, was er zu sagen hatte – „Luft ist Gott, denn ohne Luft können wir nicht existieren“ – und sie begann, ihm zu schreiben. Als daraus eine regelmäßige Korrespondenz wurde, begann sie in der Küche eines Altenheims zu schuften, sparte 2.000 Dollar zusammen und packte 2007 schließlich alles, was sie an Hab und Gut hineinbekam, in einen Rucksack und nahm den Zug nach Corcoran. Bald darauf gab Charlie ihr den Kosenamen Star, so, wie er einst Squeaky (Red) und Sandy (Blue) Kosenamen gegeben hatte.
Ihre Wohnung ist nicht groß, eher dunkel und preiswert möbliert. Ein Gitarren-und ein Geigenkoffer lehnen in der Ecke. Es gibt keinen Fernseher. An einer Wand hängt ein großes, eindrucksvolles Schwarz-Weiß-Foto von Charlie auf der Spahn Ranch. Er trägt einen abgewetzten, schräg sitzenden Filzhut und auf seinem Arm hockt eine Krähe. Auf einem Tisch steht der Computer, vor dem Star einen Großteil ihrer Zeit damit verbringt, Charlies Image in der Öffentlichkeit zu rehabilitieren. Ganz besonders stößt sie sich an der immer noch verbreiteten Annahme, er wäre nur 1,58 Meter groß. Laut Star ist er mindestens acht Zentimeter größer.
Charlie steht morgens auf, verlässt seine Zelle, geht zum Frühstück, nimmt sich eine Lunch-Tüte, kommt zurück, macht ein Schläfchen, isst sein Lunch, macht noch ein Schläfchen, läuft auf und ab, spielt vielleicht eine Partie Schach, geht zum Abendessen, muss um 20:45 Uhr wieder in seiner Zelle sein, das Licht aber zu keiner vorgeschriebenen Zeit löschen. „Mir gefällt meine Zelle“, sagt er. „Sie ist wie in diesem Song von mir. Ich habe ihn ,In My Cell‘ genannt, aber die Beach Boys haben daraus ,In My Room‘ gemacht.“ Manson behauptet ziemlich häufig, er habe „In My Room“ geschrieben, was einigermaßen lächerlich ist, da der Song bereits 1963 erschienen ist und damit vier Jahre, bevor er aus seiner Haft wegen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen entlassen wurde. Doch selbst so offensichtlich erfundene Geschichten wie diese können Charlie nicht bremsen:“Wie in all meinen Songs geht es darum, dass ich meinen Himmel hier auf Erden gefunden habe. Mein bester Freund ist in dieser Zelle -ich bin dort. Mir gefällt es dort.“
Trotzdem beschwert er sich ständig über die Lüftungsanlage des Gefängnisses und schimpft, die Luft würde ihn umbringen. Er befürchtet, dass die Wachen ihm aus purer Schikane Abfall in die Schuhe stecken. Er sagt, er muss ständig auf der Hut sein. Er wurde niemals im normalen Strafvollzug untergebracht, sondern immer in einer Art Hochsicherheitstrakt, wo er vor dem Zugriff anderer Insassen – insbesondere jener, die auf Ruhm aus sind – angeblich besser geschützt ist. 1984 gelang es dennoch einem Mitgefangenen, ihm Nitroverdünner über den Kopf zu schütten und in Flammen zu setzen. Momentan müssen nur etwa 15 andere Gefangene mit ihm fertigwerden, darunter Juan Corona, der 1971 25 Menschen umbrachte, Dana Ewell, der 1992 seine eigene Familie ermorden ließ, der Vergewaltiger Phillip Garrido, der die elfjährige Jaycee Lee Dugard entführte und sie 18 Jahre lang festhielt, und Mikhail Markhasev, der für den Mord an Bill Cosbys Sohn Ennis verurteilt wurde. Es scheint, als kämen sie bestens miteinander klar.
Manson sieht nicht viel fern. Er spielt Gitarre und gibt seinem Gitarristen-Kumpel Corona gelegentlich Tipps. „Ich bin kein Lehrer, aber ich zeige ihm, wie man Akkorde und Tonfolgen spielt.“ Er hört ein altes Doorsoder Jefferson-Airplane-Album, wenn es ihm gelingt, den CD-Player zum Laufen zu bringen. Manchmal muss er die Zelle verlassen, weil sie von Spürhunden auf Schmuggelgut durchsucht wird. Er bekommt jedes Jahr tausendfach Post, mehr, als jeder andere Gefangene. Gelegentlich verschickt er Autogramme, die er mit dem Slogan „Hippy cult leader made me do it“ versieht. In seiner Zeit hinter Gittern hat er in 108 Fällen gegen die Gefängnisordnung verstoßen. Das letzte Mal, 2011, wurde er mit einer „von Insassen gefertigten Waffe“ – in diesem Fall ein angespitzter Brillenbügel – erwischt und für ein Jahr in Einzelhaft gesteckt.
Am späten Nachmittag schlendert er zur Wand mit den Telefonen hinüber. Seine Anrufe werden aufgezeichnet, aber er kann im Prinzip so viele davon führen, wie er will, ausschließlich R-Gespräche, jeweils 15 Minuten je Verbindung, und er führt sie ständig. Ich weiß das, weil ich nun schon seit Monaten zu den Leidtragenden gehöre. Er ruft mich im Kino an, im Auto, auf Cocktailpartys und im Park, wenn ich mit den Hunden Gassi gehe – überall dort, wo er nie wieder hin darf.
Meistens will er über die Umwelt reden – „Das Ende naht, Bambi“ – und was nötig ist, um sie zu retten. Einmal, als er mal wieder darüber sprach, dass es richtig sei, zu töten, um mehr Luft zum Atmen zu haben, sagte er: „Wer auch immer getötet wird – es ist der Wille Gottes. Ohne zu töten, haben wir keine Chance.“ Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: „Vielleicht solltest du das lieber nicht in deiner Zeitung schreiben, sondern dich vielmehr fragen: ,Wie kann ich mir das zunutze machen?'“ Damals habe ich nicht groß darüber nachgedacht. Es hat eine Weile gedauert, bis mir klar wurde, was er mir da eigentlich vorgeschlagen hatte.
Manchmal wirkt er einsam. Manchmal dankt er Neil Young dafür, dass er mal gesagt hat, Mansons Musikstil wäre ziemlich gut. „Im Gegensatz zu Zappa und dem Rest der Bande hat er mich nicht verarscht, hat nicht ständig versucht, mich zu beklauen. Er ist eine ehrliche Haut.“
Dass man über sein Sexleben vielleicht gar nichts wissen will, hält ihn nicht davon ab, es einem trotzdem unter die Nase zu reiben. „Du glaubst, ich wäre zu alt, mir einen runterzuholen. Du denkst dir:,Der ist zu alt, sein Kissen zu ficken.‘ Bin ich aber nicht. Ich bin noch ziemlich aktiv mit meinem Schießeisen. Ich bin nämlich immer noch ich.“
Und dann lässt er sich wieder darüber aus, keinerlei Mitleid für die Opfer der Tate-LaBianca-Morde zu haben, schon gar nicht für Sharon Tate. „Sie ist ein Hollywood-Star. Wie viele Menschen hat sie auf der Leinwand umgebracht? War sie so schön? Bei allem, was sie tat, hat sie ihren Körper zur Schau gestellt. Und wenn sie wirklich so eine Schönheit war, was hat sie dann im Bett eines anderen Mannes gesucht, als die Sache losging? Was ist das für eine Scheiße?“
Schließlich zieht er die altbewährte Jesus-Nummer aus der Tasche und sagt: „Ich hab das dumpfe Gefühl, dass du den Ernst der Situation nicht so richtig begreifst. Wie kannst du Jesus interviewen, wenn er am Kreuz stirbt?“ Oder er sagt: „Frag nicht, warum sie Christus gekreuzigt haben, frag lieber, warum sie Christus kreuzigen.“ Und wenn ich mich darüber lustig mache, plustert er sich wieder auf und droht: „Auge in Auge mit mir wärst du bloß noch du. Ich scheiß darauf, wer du bist. Ich mach dich fertig. Bring dich unter die Erde. Was willst du dagegen machen, du Waschlappen? Wer soll dich beschützen, Süßer?“
So verbringt er seine Tage. So wird er sie bis zum Ende verbringen.
„Na dann, ich muss los“, sagt er. „Ich melde mich später bei dir.“
Und dann beginnt er, doch über die Morde zu sprechen, widerwillig zwar, nicht viel, nicht am Stück, aber mit der Zeit doch genug, um sich, als die Monate verrinnen und ein Jahr ins Land zieht, eine Art rudimentäre Abfolge der Ereignisse zusammenzupuzzeln.
Mansons Version der Geschehnisse unterscheidet sich deutlich von der des Staatsanwalts Bugliosi: Tex Watson hatte Ärger mit einem Drogendealer namens Bernard „Lotsapoppa“ Crowe, also hat er Charlie angerufen und diesen gebeten, ihm zu helfen, was Charlie auch tat, indem er Lotsapoppa über den Haufen schoss. Er hat ihn zwar nicht getötet, aber er dachte, das hätte er. Jetzt stand Tex in seiner Schuld. Dann geriet ein Musikerkumpel, sein „Bruder“ Bobby Beausoleil, auch als Cupid bekannt, in einen Streit mit einem Drogendealer namens Gary Hinman und rief ebenfalls bei Manson an, weil er seine Hilfe wollte. Dieser erfüllte seine Bitte, indem er vorbeikam und Hinman das Gesicht mit dem Langmesser aufschlitzte, das er ständig bei sich trug. Danach machte er sich aus dem Staub und ließ Beausoleil mit einem ungleich größeren Problem zurück als zuvor: Was sollte er mit Hinman machen, der nun verwundet war und womöglich bereit, zur Polizei zu gehen, was die Gesetzeshüter geradewegs zur Spahn Ranch führen würde. Das konnte Beausoleil nicht zulassen, also brachte er Hinman um. Daraufhin wurde er verhaftet. Dann hatte jemand auf der Ranch – Manson weigerte sich zu sagen, wer – die clevere Idee, einige Morde zu begehen, die dieselben Tatmerkmale aufwiesen wie der Hinman-Mord. Der Plan fußte auf der Idee, dass Beausoleil nicht an zwei Orten zugleich sein konnte, und man ihn deshalb freilassen würde.
„Ich habe Tex von dem Verhängnis befreit, unter dem er zu leiden hatte. Wenn der Bruder also ein Problem hat, dann überlasse ich das Tex. Er sagt:,Lass uns den Bruder aus dem Knast holen. Was soll ich tun?‘ Ich antworte:,Frag nicht mich. Ich will davon nichts wissen. Ich kenne das Gesetz. Ich habe mein Leben lang nach den Regeln gespielt. Tu, was immer du tun willst.‘ Ich wusste, was Tex tat. Ich wusste aber auch, dass es nicht meine Angelegenheit war. Er sagt: ,Ich bringe alle um!‘ Ich sage: ,Erzähl mir diesen Scheiß nicht. Ich will nichts davon wissen!‘ Sie sagen: ,Wir werden all diese Leute umbringen.‘ Ich sage: ,Na dann, viel Glück.'“
Also zogen Tex und die Mädchen los und landeten schließlich in dem Haus am Cielo Drive, das, in dem der Produzent Terry Melcher mal gewohnt hat, der gelegentlich auf der Ranch gewesen ist, sich Mansons Musik anhörte und offenbar zu dem Schluss kam, dass Mansons Talent kein weiteres Engagement wert war. Obgleich Manson selbst jedem erzählte, er stünde unmittelbar vor Abschluss eines Plattenvertrags.
„Klar, es war Terry Melchers Haus, und er hatte jeden auf der Ranch belogen, hat Versprechungen gegeben, an die er sich nicht hielt. Er hat ihnen Hoffnungen gemacht, kapierst du? Terry war ein verwöhntes Bürschchen, das sieben Autos besaß und sich um nichts sorgen musste. Ich habe ihn beim Kartenspiel betrogen und ein Haus gewonnen. Es war nur teilweise ein Spiel, halb Schwindel, ganz Teufelswerk, hihi. Aber ich habe es gewonnen. Er schuldete mir etwas. Terry Melcher war also Teil der Sache. Er hat vieles getan, was nicht richtig war. Aber niemand war böse auf Terry Melcher. Nicht ernsthaft. Es hatte ihn wohl nur jemand im Hinterkopf. Und als sie dann dort vorbeikamen, da war ihnen das Haus wohl vertraut, also sind sie in dieses Haus, das sie kannten, hineingegangen. Sharon Tate war bloß zufällig da, das ist alles. Tex tat, was er tun musste. Guter Junge. Guter Soldat. Ich hätte ihm einen Tapferkeits-Orden verleihen sollen.“
Ob er hingefahren ist und versucht hat, das von ihnen angerichtete Chaos zu beseitigen, wie es in einigen Büchern behauptet, aber nie bewiesen wurde? „Ja, bin ich. Ich musste mich doch um meine Schäfchen kümmern. Wer für mich da ist, für den bin ich auch da“, antwortet er, auch wenn er später angeben wird, er habe sich versprochen und wäre an diesem Abend nie beim Tate-Haus gewesen. Und am nächsten Abend? Bei den LaBiancas?
„Ja, ich war bei den LaBiancas. Ich ging rein, sah einen alten Man auf der Couch und sagte:,He, Mann, ich wusste ja nicht, dass du hier bist. Sorry. Beim letzten Mal war keiner hier.‘ Ich bin da immer hingegangen, wenn Harold True nebenan eine seiner Partys geschmissen hat. Es war nie jemand da. Alle zogen sich dorthin zurück, um es mit Mädchen zu treiben. Ich habe da hin und wieder ein paar Stunden rumgehangen. Wie auch immer, ich hab mich rumgedreht, um zu gehen. Tex war direkt hinter mir. Es war sein Ding, nicht meins.“
Was hast du getan, bevor du gegangen bist? Hast du die LaBiancas gefesselt und sie Tex und den Mädchen überlassen, wie Tex behauptet?
„Nein“, sagt er leise. „Hölle, nein.“
So viel Tod, so viel Gewalt.
„Was für Gewalt?“, fragt er – nun wieder lauter. Statt von Messern spricht er jetzt von Schusswaffen. „Was ist gewalttätig daran, mit dem Finger den Abzug zu betätigen? Da ist keine Gewalt. Da ist nur ein Mensch. Und wenn du den Finger krümmst, dann ist es vorbei. Was ist daran gewalttätig? Aber lass mich dich Folgendes fragen: Wirst du mir das, von dem du glaubst, ich hätte es getan, je vergeben? Denk darüber nach. Lass dein Hirn nicht rumbummeln. Ich habe niemanden getötet. Also wirst du mir das, was du glaubst, ich hätte es getan, je vergeben?“
Heute sind die Fakten im Manson-Fall keine echten Fakten mehr: Sie sind Meinungen und Rückschlüsse, modelliert aus kleinsten Teilen gekrümmten und umgelenkten Lichts, oder sie sind, wie Charlie sie gerne nennt, „Perspektiven“. „,Helter Skelter‘ war keine Lüge“, sagt er. „Es ist bloß Bugliosis Perspektive. Früher oder später müssen wir uns alle dem Standpunkt des jeweils anderen unterwerfen. Es war eine kollektive Idee. Es war eine Episode. Ein psychotischer Schub – und du willst mir dafür die Schuld geben?“
In gewisser Hinsicht hatte Bugliosi keine andere Wahl. Einen kollektiven psychotischen Schub kann man nicht strafrechtlich belangen. Man muss ihn auf ein einziges, alles beherrschendes Gesicht, ein einziges, alles beherrschendes Motiv herunterbrechen. Aber laut Manson und anderen der Family nahestehenden Personen geschahen in eben diesem Sommer 1969 eine Menge verrückter Dinge: Plausibel ist eine große, allgemeine Paranoia, nachdem Charlie Lotsapoppa getötet hat (oder zumindest glaubte, er hätte ihn getötet), plausibel ist auch eine große, allgemeine Paranoia aufgrund der Verhaftung von Bruder Bobby, des übermäßigen LSD-Konsums, vergrabener Waffen, übler Drogendeals, arger Geldnot, nuklear bewaffneter Kampfflugzeuge über ihren Köpfen, gestohlener Autos im Unkraut und minderjähriger Mädchen im Badeteich. Aufgrund der Weathermen, die in Kuba für die Revolution trainierten oder des omnipräsenten Säbelrasselns der Black Panthers. Aufgrund der gemeinschaftlichen Abendessen, bei denen alle auf Trip waren und bei denen Charlie Reden schwang, die nur so wimmelten von Metaphern, Rätseln, Paradoxen und abstrusen Hirngespinsten, die womöglich zu wörtlich genommen wurden. Aufgrund von Charlies Angst, jemand könnte ihn wegen Lotsapoppa verpfeifen, der endlos zermarterten Köpfe, großer, aus dem kollektiven Bewusstsein geborener Ideen, Massenpsychose – und nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichsten Motive, die jeder Einzelne dort hegte. Und bis zu dem Grad, in dem all dies der Wahrheit entspricht, könnte man Manson womöglich mit Recht als unschuldig erachten; oder, wenn schuldig, dann in jeglicher Hinsicht, weil seine Angst, jemand könnte verraten, dass er Lotsapoppa erschossen hat, ihn vielleicht auf den Gedanken brachte, sie alle an ihn zu binden, indem er sie ebenfalls zu Mördern machte. Oder aber Charlie hatte mit alledem gar nichts zu tun und es war allein Watsons Werk, ausgelöst von einem eskalierten Drogendeal – wovon einige Leute überzeugt sind.
Manson behauptet immer, dass ihm Zeit nichts bedeutet. Er sagt: „Im Zimmer des Immer lebe ich 1.000 Jahre in einer Sekunde, Mann.“ Dieser Tage schwadroniert er ständig davon, im Gefängnis genauso frei zu sein wie überall sonst. „Du bist derjenige, der im Knast sitzt, Mann.“ Aber an seinem 79. Geburtstag ruft er mich an. Seine Stimme klingt schleppend, distanziert, als er mich fragt: „Was meinst du? Denkst du, diese Story wird mir helfen, hier rauszukommen, nur für kurze Zeit, bevor ich abtreten muss?“ Wie aus einer undichten Naht leckt plötzlich so etwas wie Menschlichkeit hervor, nur für einen Augenblick – und fast ist man davon berührt.
Allerdings hat Manson immer schon besser als jeder andere begriffen, dass er nicht in die Welt da draußen gehört. Bevor er 1967 aus dem Gefängnis entlassen wurde, hat er einem seiner Aufseher erzählt, dass er lieber bleiben würde. Aber 1971, am Ende des Prozesses und im Angesicht der drohenden Todesstrafe, bestand er weiterhin darauf, zur Jury zu sprechen, um ein Plädoyer zu halten, wie nur er allein es halten konnte. Bis heute ist er der Überzeugung, dass Bugliosi ihn irgendwie darum betrogen hat, indem er das Gericht überzeugte, seinen Antrag abzulehnen, sich selbst zu verteidigen. Und das gehört zu den Dingen, die ihn noch heute richtig auf die Palme bringen.
Heute, im Besucherraum von Corcoran, trägt Star ein halb langes Paisley-Kleid, sieht ausgesprochen hübsch aus und ist sehr fröhlich, während sie sich abmüht, mit einem Papiertuch das klebrige, stinkende, lilafarbene Gefängnis-Desinfektionsmittel von einem der Tische zu wischen. Ich bin froh, dass Gray Wolf sein Besuchsrecht verloren hat. Er ist ein ziemlicher Kontrollfreak, der Star jedes Mal aus seinen großen, tiefliegenden Augen anstarrt, wenn sie etwas sagt, was ihm nicht passt. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich sie beide zugleich um mich haben möchte. Sie machen alles, was Charlie ihnen sagt. Einmal sind wir drei zusammen zu den Mammutbäumen rausgefahren und in den Wald gegangen, wo die beiden auf einem Felsvorsprung standen und mich mit dem Argument, die Aussicht wäre um so viel besser, heranwinkten, immer näher und noch näher, während ich im Geiste Charlies Worte hörte: „Ich bringe dich unter die Erde. Was willst du dagegen tun, du Waschlappen?“
Und natürlich ist mir nicht entgangen, dass Star wirklich aussieht wie eine sehr viel hübschere Susan Atkins, auch bekannt als Sexy Sadie, die eigentlich das mit Abstand durchgeknallteste Mitglied der Manson Family war. Während ihres Prozesses trat sie in den Zeugenstand und sagte: „(Sharon Tate) flehte und bettelte und bettelte und flehte immer weiter und ich konnte es irgendwann nicht mehr hören, also habe ich sie erstochen … Wie kann (das) nicht richtig sein, wenn es mit Liebe geschieht?“ Und als Star über die Morde redete, sagte sie: „Sharon Tate war kein Filmstar. Selbst heute hat noch niemand je wirklich von ihr gehört, obwohl sie angeblich von Charles Manson ermordet wurde, dem berühmtesten Kerl der Welt. Und das ist der einzige Grund, warum sie überhaupt irgend jemand kennt. Und es weiß immer noch keiner, wer zur Hölle sie ist.“
Star hebt den Blick, als Charlie hereinkommt. Die Augen hinter einer coolen Sonnenbrille mit gelb gefärbten Gläsern verborgen, lächelt er sein ramponiertes Gefängnisgebiss-Lächeln. Er schiebt einen Rollstuhl vor sich her, benutzt ihn als Gehhilfe, aber vermutlich ist das bloß Show, Teil einer Scharade, um das System auszutricksen, denn schon zwei Minuten später steht er ohne jegliche Hilfe auf beiden Beinen und führt diesen Kung-Fu-Drachen-Tanz auf, den er lange Zeit nur dann zum Besten gab, wenn die TV-Kameras liefen. Was nicht mehr vorkommt, seit der Staat Kalifornien 1994 bei Interviews mit Gefangenen den Gebrauch von Aufnahmegeräten untersagt hat. Wegen Mansons Tanzeinlagen. Und seiner fast schon aggressiv sexuellen Wortbeiträge.
Star macht sich Sorgen. Wegen eines Sammlers von Manson-Souvenirs, der ihr und Gray Wolf vorwirft, seine Geschäfte zu sabotieren, etwa, indem sie angeblich einen 4.500 Dollar teuren Rollstuhl verschwinden ließ, den der Mann Charlie zum Signieren geschickt hat. „Er greift uns an und hat gedroht, dass jemand zu mir nach Hause kommt“, sagt sie. Charlie faltet die Hände. „Gehst du noch auf den Schießstand?“ Star nickt. „Gut. Wenn sie versuchen, euch einzuschüchtern, dann haben sie Angst. Das sind bloß ein Haufen Internet-Großmäuler“, beruhigt er sie.
Er wischt sich mit dem Ärmel seines Hemdes etwas Schlafsand aus den Augen, legt dann seine Hand auf die meine, streicht mit seinen Fingern über meine Finger, mein Handgelenk und dann meinen Unterarm hinauf. Er drückt ihn ein paar Mal und sagt dann: „Mann, du bist ein weicher Kerl.“ Ich mache einen Scherz darüber und sage ihm, dass ich so nicht gepolt bin. Er zuckt mit den Achseln. „Sex ist für mich, als würde ich zur Toilette gehen. Ob Männlein oder Weiblein, das ist mir egal. Ich spiel bei diesem Mann-Frau-Mist nicht mit. Ich bin da nicht so festgefahren.“
Dann nickt er zu Star hinüber und sagt: „Ich kann von hier aus in sie eindringen, ich muss mir nur Zeit lassen.“ Er schüttelt den Kopf und beugt sich ganz nah zu mir herüber. „Weißt du, was ich wirklich gerne hätte? Ich hätte gerne ne richtige Pussy. Ich hätte gerne ein bisschen was zum Rauchen. Eine elektrische Gitarre. Ich hätte gerne, was du hast.“ Es ist keine Drohung, er sagt es einfach nur, und seine Gedanken scheinen dabei in die Vergangenheit abzuschweifen. „All diese Leute, die auf der Ranch rumgevögelt haben, ich konnte keinen von ihnen abweisen. Dabei wollte ich weiter nichts als ein bisschen Pussy zum Spielen, ein bisschen Musik, und ein bisschen tanzen.“
Er sitzt bloß da, starrt übellaunig vor sich hin und sein kleiner Sträflingsbauch hängt zwischen seinen weit geöffneten Knien.
„Sie sind alle losgezogen, um zu töten, aber ich habe natürlich gar nichts getan“, fährt er schließlich fort. „Glaubst du, ich hätte all diese Leute umbringen können? Ich hatte Angst. Ich wollte nicht zurück ins Gefängnis. Kakerlaken tun mehr für ihr Leben als ich. Ich mache … gar nichts.“ Er steht auf. „Was für ein Leben, Mann. Ein einziger, riesiger Haufen Scheiße.“
Ich sehe Star an. Normalerweise hätte ich diesen Monolog als einen von Charlies bewährten Winkelzügen abgetan, mit denen er einen auf eine bestimmte Fährte lockt, bloß um dann klarzumachen, dass er eigentlich das Gegenteil davon meint. Aber ihr Mund steht offen und wie ächzende kleine Schmetterlinge flattern diese besorgten Seufzer daraus hervor. Er kommt noch einmal auf den Wortwechsel mit Tex zu sprechen. Den, bei dem Tex von ihm wissen wollte, was er machen soll. Er ist wieder auf den Beinen, die Schultern durchgedrückt, das Gesicht blut- und wutrot. Er steht direkt neben mir. „Frag mich nicht, was du machen sollst!“, brüllt er und boxt in die Luft. „Glaub mir, du willst mich sicher nicht wütend machen. Das willst du ganz bestimmt nicht! Mann, du weißt doch, was zu tun ist. Mach es einfach!“
Die Wachen blicken herüber, warten, bis er sich beruhigt und wenden sich dann wieder dem Fernseher zu.
„Siehst du“, sagt er, „es gibt kein Mord-Komplott.“ Möglich. Aber ich verstehe allmählich, wie er es geschafft hat, Tex unmissverständlich zu vermitteln, was er zu tun hat, ohne es aussprechen zu müssen. Der Schlüssel liegt in seiner jähen Wut, dem plötzlichen Stimmungsumschwung, dem einschüchternden Brüllen, dem wortlosen Anstacheln durch seine beeindruckende körperliche Präsenz, dieser tänzerischen Inszenierung, die bei ihm eine deutlichere Sprache spricht als bloße Worte.
Er setzt sich wieder hin. Ich frage ihn, wo das Gespräch mit Tex stattgefunden hat. Er verstummt. In der Vergangenheit hat er angegeben, nicht auf der Spahn Ranch gewesen zu sein, als Tex und die Mädchen losfuhren. Dass er in San Diego war, wo er mit Tex am Telefon gesprochen habe und erst sehr viel später auf die Ranch zurückgekehrt sei. Star beeilt sich, ihn daran zu erinnern: „Du hast telefoniert.“
Charlie sieht erst mich an, dann sie, dann die Wand und sagt schließlich: „Ich weiß nicht, was ich sage, wenn ich mich irgendwo rauswinden will.“
Wortlos lässt er einen Moment verstreichen. Lächelt dieses halb menschliche, halb teuflische Lächeln.
„Ich bin bequem“, fährt er fort. „Da draußen kann man das, was man erledigt haben will, von anderen erledigen lassen. Ich tue alles, was ich kann, um nichts tun zu müssen. Wenn ich nichts tue, dann überlebe ich. Ich will einfach keine Verantwortung übernehmen. Mein Fehler war, dass ich nicht mit ihnen gefahren bin. Tex hatte Schiss. Dieses Muttersöhnchen. Am zweiten Abend lief es besser, weil ich meine Hände im Spiel hatte. Die Umstände betreffend, nicht die Morde. Nein, Mann, bei denen war ich nicht dabei. Aber am ersten Abend, da haben sie ein ganz schönes Chaos angerichtet. Wenn ich dort gewesen wäre, dann hätte es ein sehr viel besseres Bild abgegeben. Ich hab das Gefühl, das hätte ich tun sollen. Ich hätte es richtig gemacht. Da habe ich gar keinen Zweifel.“
Er nickt. „Tex hat immer getan, was ich ihm sagte. Das musste er gar nicht. Er hätte sich ins Auto setzen und verschwinden können. Aber als er auf die Ranch kam, da tat er, was ich ihm sagte. Er wollte in jeder Beziehung so sein wie dieser Mann, den er gerade zum ersten Mal in seinem Leben gesehen hatte – wollte sein wie ich. Und ich, ich lag in der Gosse, Mann. Da kam er mit diesem schicken Wagen an. Und ich beging den Fehler, ihm für diesen schicken Wagen Zutritt zu meiner Welt zu gewähren. Wirklich clever von mir. Dieser verdammte Dodge Pickup hat mich 44 Jahre gekostet.“
Nur eine weitere Fehlkalkulation in einer langen Reihe von Fehlkalkulationen, die, im aktuellen Fall, mit dem Schuss auf Lotsapoppa und der Messerattacke gegen Hinman begann und damit endete, dass er lebenslänglich im Gefängnis saß, verurteilt nicht nur für die Tate-La-Bianca-Morde, sondern – neben den Spahn-Dauergästen Bruce Davis und Steve „Clem“ Grogan – auch für die Ermordung des Ranch-Arbeiters Shorty Shea, über die er sagt: „Yep, wir haben Shorty umgebracht. Ihn in Stücke gehackt. Aber ich hab nichts getan. Das waren Bruce und Clem – und Tex war auch dabei. Bruce hatte keine Ahnung vom Kämpfen. Also brachte ich ihm das Kämpfen bei. Und als ich wegfuhr, hab ich dann aus dem Rückfenster des Autos gesehen, was sie taten. Ich war nicht dabei.“ Schon lustig, dass er nie anwesend ist, wenn irgendwas passiert. „Oh ja“, sagt er, „ist das nicht seltsam?“ Manchmal kann er so durchschaubar sein, dass man tatsächlich den Eindruck bekommt, er wäre weiter nichts, als ein vertrottelter, tollpatschiger Kleingauner, der ein paar falsche Entscheidungen getroffen hat, die zu weiteren falschen Entscheidungen führten, die wiederum zu Mord führten, und dem der hochgegriffene Traum eines Bezirksstaatsanwaltes dann das Genick brach.
Charlies Blick irrt durch den Raum. Seine Gedanken schweifen noch weiter in die Vergangenheit. „Du beobachtest, wie ein Kerl einen anderen in den Hintern fickt. Die beiden sehen dich an und sagen:,Du willst das doch auch. Es würde dir gefallen.‘ Es dreht dir den Magen um, aber am Ende machst du es genauso. Du erblickst einen schneeweißen Arsch und ach, du meine Güte. Du weißt längst nicht mehr, was dir diese fixe Idee in den Kopf gesetzt hat, aber du lernst dazu und durchlebst Veränderungen. Ich war 17. Ich bat diesen Typ: ,Lass mich meinen Pimmel in deinen Hintern stecken.‘ Er antwortete: ,Niemals!‘ Ich hob eine Rasierklinge vom Boden der Dusche auf und sagte:,Wenn wir erwischt werden, sage ich denen, ich hätte dich gezwungen.‘ Also ließ er mich machen. Keine Ahnung. Vielleicht hat er ja gedacht, ich würde ihm sonst weh tun. Ich war noch nicht mal ein oder zwei Sekunden drin, da habe ich auch schon quer über seinen Arsch abgespritzt.“
Es ist die Geschichte seines Lebens. Und wenn das keine Erklärung dafür ist, was bei ihm von Anfang an schiefgelaufen ist, dann weiß ich nicht, was sonst.
Star springt auf die Beine und fängt an, den Tisch aufzuräumen. Charlie sticht mit einer Gabel Löcher in eine Avocado. Rundherum. Er lässt sich Zeit dabei. Als er fertig ist, reicht er eine Hälfte davon Star. Beide essen schweigend. Da ist nicht mehr viel, was es gerade noch zu sagen gäbe.
Eines Tages telefoniere ich mit Vincent Bugliosi, der mittlerweile 79 Jahre alt ist. „Nenn mich Vince“, sagt er. In den 40 Jahren seit „Helter Skelter“ ihn zum Bestseller-Autor machte, hat er zwölf weitere Bücher geschrieben, von denen das aktuellste „Divinity Of Doubt: The God Question“ heiß – was den Kreis gewissermaßen schließt. Zu Beginn schrieb er über Manson den Antichrist und jetzt stellt er die Existenz Gottes infrage.
Nicht wenige seiner Bücher waren Bestseller. Wie Manson zu sagen pflegt: Bugliosi ist ein Gewinner. Er ist drüber hinweg. Und er ist auch heute noch bei ausgesprochen scharfem Verstand. Wie Manson neigt er dazu, vom Thema abzuschweifen. Meistens geht es dabei um diverse gesundheitliche Probleme, aber im Gegensatz zu Manson findet er immer wieder in die Gegenwart zurück.
Was hält er also von dem Bobby-Beausoleil-Nachahmungs-Motiv, das Manson offensichtlich favorisiert?
Bugliosi weist es weit von der Hand: „Man sticht nicht 169 Mal auf Menschen ein und begeht sieben Morde, um jemand aus dem Gefängnis zu holen.“ Und er ergänzt: „Ich bin zwar auch der Meinung, dass es nicht nur ein einzelnes Motiv gab, aber ich sehe das so: Ich glaube, dass jeder, der sich an den Morden beteiligt hat, die Helter-Skelter-Theorie mit allem drum und dran geschluckt hat. Aber hat auch Manson selbst an diesen irrwitzigen, grotesken Quatsch geglaubt, dass sie alle in einem tiefen Loch in der Wüste leben würden, während draußen ein Weltkrieg tobt? Ich kann es zwar nicht mit Gewissheit sagen, wage es aber nachdrücklich zu bezweifeln. Ich denke, er hat sich an den Morden unter anderem deshalb nicht beteiligt, weil er dachte, das würde ihn davor schützen, für das Verbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden. Aber wenn man sich der Verschwörung zum Mord schuldig macht und es kommt zu einem Mord, dann ist man natürlich auch dieses Mordes schuldig. Das ist juristisches Elementarwissen.“
Später, als ich im Bett liege und mir, um runterzukommen im Fernsehen „The Big Bang Theory“ anschaue, ruft Charlie wieder an. Inzwischen bin ich dazu übergegangen, ihn gelegentlich einfach zu ignorieren. Vielleicht sollte ich meine Zeit lieber mit der TV-WG von Sheldon und Leonard und ihrer hübschen Nachbarin Penny verbringen als mit Charlie Manson. Vielleicht habe ich auch einfach keine Lust, mir noch einen seiner tollen Vorträge anzuhören, die zweifellos nur dazu dienen, mich an Orte zu locken, die ich nicht betreten will. Star und Gray haben mich bedrängt, mich einfach mitreißen zu lassen und zu sehen, wo es mich hinführt. Keine Chance.
Heute nehme ich seinen Anruf dennoch an.
„Atme ein und atme aus, atme ein und atme aus“, sagt er. „Ich bin der letzte Atemhauch der Welt. Ein paar Leute hier wollen, dass ich so eine Nicht-wiederbeleben-Verfügung unterschreibe. Ich habe draufgeschrieben: ,Warum sollte ich?‘ Eine Menge Leute wollen, dass ich endlich sterbe. Bugliosi will, dass ich vor ihm sterbe, denn sonst habe ich gewonnen.“
Und so geht der Kampf immer weiter – zumindest in Charlie Mansons Kopf.