American Graphiti
In San Francisco hat die Kunst des Promo-Posters für den Rock-Circus schon seit den seligen Tagen des "Fillmore" und "Winterland" einen hohen Stellenwert. Seit sich Cover-Design auf das Bierdeckel-Format einer CD ausrichten muss, tummeln sich die kreativsten Köpfe des neuen Underground mit Vorliebe im farbenfrohen Posterwald. Der Platzhirsch dort ist immer noch Frank Kozik, doch setzen Chuck Sperry und Ron Donovan alias Firehouse mit eigener, ästhetisch radikaler Note erfolgreich Duftmarken. Wolf gang Doebeling traf die beiden in Berlin.
Der Mann sticht ins Auge wie eine Dattelpalme auf einem Christbaum-Markt. Klein und gedrungen, wuselt er in T-Shirt, Bermuda-Shorts und Badelatschen durch eine Menge vermummter Gestalten, die sich an diesem frostigen Novemberabend in dem Kreuzberger Comicladen „Grober Unfug“ versammelt haben. Die Agentur „Flying Piston“ hatte zur Vernissage geladen, die Künsder höchstselbst würden anwesend sein. – Ach was, Künstler. Nichts in dieser krawalligen, schockbunten und nicht selten sexploitativen Welt ist subtil oder subliminal. Posters, Baby. They’re out to grab you. Zwischentöne sind sinnloser Luxus und können verhängnisvolle Folgen haben. Sie könnten (schauder!) übersehen werden. Ein Schicksal, das den Werken von Chuck Sperry und Ron Donovan noch stets erspart blieb. Und so werden sie nicht als Künstler (gähn!) angekündigt, sondern (hooray!) als: „The Fine Art Print Heroes From San Francisco, USA“.
Der Wuselige ist Donovan. Zum Umziehen, sagt er feixend, sei er noch nicht gekommen, er trage noch seine Arbeitskleidung. Sein Partner Sperry, mit Basecap und ebenfalls mit Slacker-dünnem Bärtchen, hat der strengen Witterung immerhin mit langen Hosen Tribut gezollt. Die beiden sind die Inkarnation von Kalifornien, zumindest des hippen, hedonistischen und (kicher!) humorigen Teils des Sonne-Sand-und-Surf-Staates. Ein paar Stunden in Begleitung der sympathischen Sonnyboys, und man ertappt sich beim Schmunzeln über Dinge, die doch nun wirklich nicht komisch sind. Mexikanische Muskelpakete, die sich „El Borracho Gigante“ nennen oder „Ku Kux Klown“ und sich gegenseitig die Fresse polieren.
„Incredibly Strange Wrestling“ heißt die skurrile Show und veranstaltet wird sie nicht oft, aber immer öfter von den Promoter-Provokateuren „Viva Testosterone“. „Ist alles ein irrer Spaß“, erklärt Chuck Sperry, „und anfangs eigentlich nur eine
Verarschung der Wrestling-Szene, aber inzwischen ist es mehr als nur ironisch,“ Die Akteure seien nicht so athletisch wie die Catcher-Clowns der großen Federations, aber ungleich akrobatischer und verwegener. Nicht getürkt, gezinkt und geleimt wie bei „Hollywood“ Hulk Hogan, keine choreographierte Verlade? „Doch sicher“, reibt sich Donovan die Hände, „aber es fließt auch schon mal Blut.“ Nicht absichtlich, sondern im Eifer (kratz! beiß!) des Scheingefechts. Über die Farce zum Fight? Oder umgekehrt? Darüber sind sich selbst die beiden Atlcionados uneins. Jedenfalls spielen bei diesen Spektakeln auch Bands, vorzugsweise aus dem erweiterten Garagen-Spektrum: The Bomboras, Demented Are Go, Gas Huffer. Bis hin zu lokalen Formationen mit so sinnfälligen Namen wie The Bleeders, Los Infernos oder Los Fuckers. Punk, Surfund Rockabilly. „Der gute, harte Stoff“, meint Sperry.
Überhaupt habe alles mit der Musik angefangen. Lange, bevor die beiden sich zusammentaten, um Plakate zu gestalten und damit Geld und Ruhm zu erlangen, waren Sperry und Donovan, beide Mitte dreißig, bekennende und praktizierende Gläubige in der Church Of Rock’n’Roll. Die Plattensammlungen älterer Geschwister erfüllten ihren missionarischen Dienst. Rons Propheten waren Led Zeppelin und die Stones, Chuck pries den Punk Rock, inzwischen haben sie sich gegenseitig bekehrt. „Ich machte von mir aus, ohne Auftrag und ohne Bezahlung, Poster für Bands, die ich sehen wollte. Scritchy-scratch stuff, looked terrible. Ich habe die Dinger fotokopiert und in der Gegend aufgehängt. Dafür durfte ich dann umsonst in die Shows.“ Rons Werdegang ist ähnlich autodidaktisch und abenteuerlich. Heute verdienen die beiden unter dem Moniker „The Firehouse“ firmierenden Grafik-Pioniere mit ihrer Poster-Manufaktur ordentlich Kohle, doch ist ihre Kalkulation extrem gemischt Da gibt es immer noch ein Reservoir von Freunden und Weggefährten, für die man zum Selbstkostenpreis arbeitet und, wenn’s sein muss, auch darunter. Dann gibt es die treuen Klienten, denen Sperry und Donovan einen gewissen Discount einräumen. Und da sind die zahlungskräftigen Auftragsgeber wie Virgin Records, die für das Privileg eines Firehouse-Plakats erkleckliche Summen berappen. Via Virgin „durften“ die ewigen Fans unter anderem für die Stones („eine Ehre, Mann“) entwerfen, für die Pumpkins und Pearl Jam.
Auch Johnny Cashjohn Lee Hooker oder Booker T.Jones gehören zur zufriedenen Kundschaft, wobei ihre Konterfeis mit dominanten Brauntönen eher klassischen Anstrich haben und meilenweit entfernt sind vom knalligen Design, das man etwa Fugazi oder Hole angedeihen ließ. Und apropos braun:,,Direkt von Deutschland“ prangt in ebensolchen Lettern auf einem Poster, das die beiden für einen Rammstein-Auftritt gestaltet haben. Und darüber steht: „Rammstein kämpft für die Studenten und das Volk“. Wie das? Donovan lacht schallend. Jetzt wird’s peinlich, fürchte ich. Das Motiv mit dem Dornenkranz um den Schädel haben wir gewählt, weil diese Musik doch auch brachial ist, nervtötend und monströs. Was noch fehlte, war ein teutonisches Element, etwas ganz spezifisch Deutsches. Und weil wir nicht mit geschichtlich belasteten Zeichen und Emblemen hantieren wollten, suchten wir nach passenden Sätzen. Diesen hier fanden wir, glaube ich, in einem alten Wälzer über Kommunismus. Naja, und Rammstein kommen doch von dort.“ Nicht ideologisch, Ron, nur geografisch. Lustig ist das Missverständnis allemal, auch wenn sich Chuck darüber die Nackenhaare sträuben. Bevor er nach San Francisco gezogen war, fühlte er sich in der New Yorker Hausbesetzerszene heimisch und begriffseine Illustrationen als „kreativen Ungehorsam“. „Wir machen sonst nichts für Leute, die politisch suspekt sind“, erklärt er. „Oder musikalisch“, bekräftigt Ron Donovan, „von laschem, abgeschmacktem Zeug wie den Goo Goo Dolls oder Matchbox 20 würden wir die Finger lassen.“