Alt-J live in Berlin: Als würden sie den Rosenkranz beten
„Please don't go, I love you so,I love you so“ singen sich Band und Publikum auch ein wenig gegenseitig zu – passt ja.
Hype-Alarm in Berlin: Eine der meist gelobten Alternative-Pop-Bands der Gegenwart spielte gestern ein exklusives Konzert im Berliner Lido, für das es keine Karten zu kaufen gab, sondern man nur mit Glück einen Platz auf der Gästeliste abstauben konnte. Als neue Radiohead oder Pink Floyd hat man Alt-J schon bezeichnet, ihr Art Rock gilt als unvergleichlich: Auf ihrem neuen Album „This Is All Yours“ experimentieren sie mit einem Sample von Miley Cyrus, mit mittelalterlichem Geflöte, Naturgeräuschen und Hochzeitsglocken – und schaffen es, trotz der Komplexität nie überladen, sondern immer leichtfüßig zu klingen. Keine Frage: Die drei Typen aus Leeds können was.
In der ersten Konzerthälfte spielen Alt-J vor allem Songs des Debüts „An Awesome Wave“, das elegische Eröffnungslied „Hunger of the Pine“ bildet eine Ausnahme. Mit „Left Hand Free“ beweist das Trio, das live von einem Gitarristen unterstützt wird, dass es keine Luftschloss-Musik baut, sondern auch einfach klassischen Bluesrock hinrotzen kann. Höhepunkte bilden „Tessellate“ und die Single „Every Other Freckle“ – hier ist die Energie am intensivsten.
Die zweite Hälfte des Programms baut im Gegensatz zur starken ersten an Eindringlichkeit ab, was aber nicht an der Qualität des hochgelobten neuen Materials liegt. Einige Songs sind tanzbarer, als sie vorgetragen werden, aber der Klangteppich eiernder Sythesizer lullt nach einer Weile einfach etwas ein. „Langweilig“ kritisierte nach dem Konzert ein Besucher in das Mikrofon eines Radio-Reporters.
Keyboarder Gus Unger-Hamilton bedankt sich hier und da höflich nach einem Song, Schlagzeuger und Remixer Thom Green akzentuiert, er knüppelt nicht. Sänger und Gitarrist Joe Newman trägt schwarz, nur die neongelben Sohlen seiner Nike Air Max leuchteten im Dunkeln, ergänzend zu den Tennissocken mit Hanfblattaufdruck. Er freut sich über die Begeisterung des Publikums mit pausbäckigem Lächeln. Aber eigentlich gibt es auf der Bühne nichts zu sehen. Die Musiker wirken sehr bei sich.
Bei „Interlude I (The Ripe & Ruin)“ haben sie ihren zugänglichsten Moment: Newman prustet urplötzlich los, bricht ab, entschuldigt sich bei Duettpartner Unger-Hamilton und muss sich den Rest des Songs zusammenreißen, nicht nochmal einen Lachanfall zu bekommen. Das zarte A cappella-Stück ist wohl der erhabendste Moment des Abends. Newmans nasaler, leicht quäkender und Unger-Hamiltons fast mönchhafter Gesang wachsen gemeinsam zu sakraler Schönheit, als tragen sie einen Gregorianischen Choral vor. Das ist überhaupt das Bemerkenswerte an Alt-Js Sound: Die vielschichtig arrangierten Klangwerke haben in ihren starken Momenten etwas Weihevolles. Dann gleicht das Konzert einer Zeremonie. Statt Hardcore-Hipster, die entweder zu cool sind, um sich unverfälscht zu freuen oder zu beschäftigt mit ihren Smartphones, blickt man in selige, ja dankbare Gesichter, an diesem Abend dabei sein zu dürfen. Da wird mit geschlossenen Augen selbstvergessen mitgemurmelt, als würde gerade der Rosenkranz gebetet. Ein Mädchen in der ersten Reihe kreischt, versucht ein Selfie mit sich und der Band im Hintergrund hinzugurken, während sie ein Dreieck mit den Fingern formt. Nach der Show reicht sie dem Keyboarder eine Postkarte und quiekt freudig.
Das Konzert war eigentlich perfekt. Alt-J haben alles richtig gemacht. Jeder Ton saß da, wo er sollte, jedes Sample von der Maschine, jeder Synthesizer. Fans, die sich Interaktion mit dem Publikum oder auch zwischen den Bandmitgliedern erhofft haben, sind wohl enttäuscht. Diese Musik-Nerds aus Leeds sind keine charismatischen Entertainer, eher betreiben sie Shoegazing. Aber das Trio sagt selbst von sich, dass es lieber die Musik für sich sprechen lassen möchte. Ein bisschen wird man jedoch das Gefühl nicht los, man hätte auch einfach die zwei Alben von Alt-J einlegen können. Der Hit „Breezeblocks“ schließt die Show nach eineinhalb Stunden und einer Zugabe ab. „Please don’t go, I love you so,I love you so“ singen sich Band und Publikum auch ein wenig gegenseitig zu – passt ja.