Als Sinead O‘ Connor auf Dylans Bühne ausgebuht wurde – und nur Kris Kristofferson zu ihr hielt
Am 16. Oktober 1992 wurde Sinéad O'Connor im Madison Square Garden mit Buhrufen und Pfiffen empfangen. Der Grund dafür war ihre Kritik an der katholischen Kirche.
„Ich bin sehr stolz darauf, die nächsten Künstlerin vorzustellen, deren Name zum Synonym für Mut und Integrität wurde“: Mit diesen Worten bittet Country-Legende Kris Kristofferson am 16. Oktober 1992 Sinéad O’Connor auf die Bühne des Madison Square Garden in New York. Der Anlass ist „The 30th Anniversary Concert Celebration“ – eine Feier für Bob Dylan zu dessen 30-jährigen Jubiläum als Recording Artist.
Die Gästeliste ist hochkarätig: Von Lou Reed, John Mellemcamp, Richie Havens bis Willie Nelson und Rosanne Cash treten etliche Superstars auf. Als Sinéad O’Connor auf die Bühne kommt, ändert sich die Stimmung schlagartig. Die Irin wird mit einem Buhkonzert und Pfiffen empfangen.
Die Sache mit dem Papst-Bild
Der Grund dafür liegt 13 Tage zurück. Da ist O’Connor in der US-Comedyshow „Saturday Night Live“ zu Gast und sorgt mit ihrer Performance des Bob-Marley-Stücks „War“ für einen handfesten Skandal. Die Musikerin zerreisst nämlich auf der Bühne ein Bild von Papst Johannes Paul II, womit sie gegen Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche protestiert.
O‘ Connor selbst erinnert sich an den Moment in ihren Memoiren: „Völlig fassungsloses Schweigen im Publikum. Und als ich hinter die Bühne gehe, ist buchstäblich kein einziger Mensch zu sehen. Alle Türen haben sich geschlossen. Jeder ist verschwunden. Einschließlich meines eigenen Managers, der sich für drei Tage in seinem Zimmer einschließt und sein Telefon ausstöpselt.“
Lebenslanges Senderverbot
Der Widerstand gegen O’Connor, die Ablehnung, der Boykott sind gigantisch. NBC belegt sie mit einem lebenslangen Senderverbot. O’Connor wird sozusagen gecancelt, bevor es das Wort in diesem Kontext gab. Frank Sinatra lästert über sie während eines Konzerts: „Das muss eine dumme Tussi sein. Ich würde ihr in den Arsch treten, wenn sie ein Mann wäre“, so der Sänger. Karrieretechnisch ein selbstzerstörerischer Moment — auch, wenn sie das selbst nicht so sieht: „Viele Leute sagen oder denken, dass das Zerreißen des Papstfotos meine Karriere zum Entgleisen gebracht hat. So sehe ich das nicht“, erzählt sie einmal. „Ich habe das Gefühl, dass eine Nummer-eins-Platte meine Karriere entgleisen ließ und dass das Zerreißen des Fotos mich wieder auf den richtigen Weg brachte.“
Und dann ist da eben dieser Moment während des Dylan-Tributs. Auch hier singt sie „War“, obwohl sie eigentlich dem Anlass entsprechend einen Dylan-Song singen wollte. Nur: Bereits die ersten Takte von „I Believe In You“ gehen in Buhrufen unter. Diese Buhrufe bringen sie dazu, ihren Plan zu ändern. Sie deutet der Band an, aufzuhören. Sie will, dass man ihr Mikrofon lauter stellt. Sie will sich nicht unterkriegen lassen, auch nicht verbiegen. Kristofferson macht ihr Mut, als einer der wenigen. „Lass es nicht zu, dass die Bastarde dich unterkriegen“, flüstert er ihr auf der Bühne zu. Am Ende des Songs rennt sie zu ihm, fällt erschöpft in seine Arme. O’Connor liefert den wohl denkwürdigste Moment des Abends — der auf der CD-Aufnahme aber völlig ausgelassen wird.
Sister Sinead
Später widmet er ihr Kristofferson sogar ein Lied, „Sister Sinead“. „I’m singing this song for my sister Sinead / Concerning the god awful mess that she made / When she told them her truth just as hard as she could /
Her message profoundly was misunderstood“, singt er darin. Im Laufe der nächsten Jahren singen die beiden auch gelegentlich gemeinsam, etwa den Song „Help Me Make It Through The Night.“
Umso überraschender war es, dass O’Connor vor einigen Jahren Kristofferson auf Twitter kritisierte. „Ich würde nicht zustimmen, dass Kris nicht giftig männlich war“, antwortete sie einem Fan einmal, der Kristofferson als Gegenbeispiel zur „toxischen Männlichkeit“ bezeichnete. „Er nutzte die Chance, die sich ihm bot, voll aus und wurde dann sofort böse, als…“ und wir werden nicht weiter darauf eingehen, da wir eine Familienseite sind“, schrieb sie — und fügte den Hashtag #NoHeroOfMine an. Auf was sie genau sie damit anspielte, ist nicht bekannt.