Alles wie früher
Wilde Tage in Seattle. Nirvana sind da, Mudhoney, Ex-Metzger Tad Doyle – eigentlich alle. Natürlich auch Bruce Pavitt und Jonathan Poneman, die Führungsetage des Grunge-Hauslabels Sub Pop. Pavitt hat zu viele Magic Mushrooms intus, aber Poneman ist nüchtern genug für einen sonderbaren Vorschlag: Greg Dulli und Screaming Trees-Sänger Mark Lanegan sollten doch ein Duett nach dem Vorbild von Willie Nelson und Julio Iglesias aufnehmen.
So zumindest erinnert der damals als Iglesias-Ersatz vorgesehene Greg Dulli sich an jene Szene nach der ersten Show seiner Afghan Whigs in Seattle. Nun wollen wir für dessen makelloses Gedächtnis lieber keine Garantie übernehmen, aber eine schöne Geschichte ist das allemal. Mit Happy End: 17 Jahre später sitzen Dulli und Lanegan tatsächlich zusammen in einem miefigen Hotelzimmer, um über ihr gemeinsames Projekt zu reden: The Gutter Twins.
Normalerweise wird Lanegan gebucht, wenn seine Auftraggeber wüstensandige Zerschossenheit für ihre Songs brauchen. Sie kriegen die Stimme. Lanegan seinen Scheck. Das ist der Deal. Manchmal ist er mit dem Herzen dabei, manchmal nicht, wie wohl aktuell bei Isobel Campbell (von deren parallel erscheinendem Album kennt er nicht einmal den Titel). Die Gutter Twins hingegen seien ihm „eine Herzensangelegenheit“. Sonst sagt er wenig. Emotionslos und einsilbig raucht er Kette und überlässt das Reden Dulli, der freilich auch schon mal schwungvoller agierte.
Im Prinzip sind diese Männer Wracks. Im durchrationalisierten Kulturbetrieb heutiger Tage nehmen sie sich aus wie Fremdkörper. Gut zusammen passen sie ohnehin: Beide spielten in mittelbekannten 90er-Jahre-Rockbands, beide sind für musikalische Kooperationen bekannt (auch miteinander wurde bereits vorher im kleineren Rahmen musiziert), beide verdanken ihrem Faible für die dunkle Seite der Macht eine langjährige Drogenabhängigkeit. Und so zogen diese Schmerzensmänner des amerikanischen Rock in die versunkene Stadt und schufen sich eine neue Welt. In New Orleans, wo Dulli überwiegend lebt, entstanden erste Skizzen des Gutter Twins-Debüts „Satumalia“. Ganz klassisch: ein Studio, viele Instrumente, zwei Männer. Es habe ihn Mühe gekostet, sich an Lanegans ungewöhnliche Phrasierung zu gewöhnen, erklärt Dulli, aber man habe viel voneinander gelernt.
So könnte man von einer späten Elefantenhochzeit des Alternative-Rock reden, wenn es nicht so unangebracht wäre. Die Elefanten sind müde, aber sie haben überlebt. Immerhin. Garantien gibt es keine: Noch vor sechs Monaten hätte Dulli jederzeit den Satz unterschrieben, dass es mit zunehmendem Alter leichter werde, den Unwägbarkeiten des Lebens die Stirn zu bieten. Inzwischen weiß er nur noch, dass „ich gar nichts weiß'“. Seine Augen blicken stumpf, und er sieht nicht gesund aus.
Ach ja: Auf der Branchenmesse South By Southwest traf Dulli im letzten Jahr einen alten Bekannten —Jon Poneman. Man erinnerte sich an dessen trunkenen Wunsch, eines kam zum anderen, und nun stehen The Gutter Twins bei Sub Pop unter Vertrag. Alles wie früher also. „To All The Girls Fve Loved Before“ ist aber nicht auf der Platte.