Alles, was wir haben
Man kann nicht sagen, dass die Klasse von 2005 besonders nachhaltig wirkt. Es handelt sich dabei, wir erinnern uns kurz, um eine kleine Welle von britischem Gitarrenpop, mit der Bands wie Franz Ferdinand, Arctic Monkeys, Kaiser Chiefs und Maximo Park auf das ebenfalls nicht gerade langlebige US-Gitarrenrevival der Strokes reagierten. Die meisten der Bands sind vergessen oder aufgelöst, und auch die verbliebenen wirken jenseits der britischen Insel eher beiläufig.
„Haben wir jetzt endlich unseren Abschluss?“, grinst Maximo Parks Paul Smith beim Interview im Whiskey Room eines Hotels in Berlin-Friedrichshain auf die Frage, wie es der Klasse knapp zehn Jahre nach der ersten Maximo-Park-Single so gehe. „Je mehr man darüber schreibt und redet, desto wahrer wird es. Natürlich gab es diese Generation, die von den Popverhältnissen gelangweilt war, und da überkreuzen sich eben gewisse Ideen oder Einflüsse. Aber wir haben damals eher isoliert gearbeitet und sitzen auch heute noch als Band in Newcastle und nicht in London. Und ich glaube, mittlerweile können wir durchaus eine gewisse Eigenständigkeit behaupten.“
Das will man angesichts des neuen Albums „Too Much Information“ gern unterstreichen. Es ist mühelos das abwechslungsreichste ihrer bisher fünf Langspieler und man erkennt dennoch sofort ihren Ton, der von einer gewissen gitarristischen Dynamik und nicht weniger vom histrionischen Quengeln Paul Smiths geprägt ist. Bemerkenswert an der Fitness ihres Sounds ist dabei nicht nur, dass kaum anderthalb Jahre seit dem Vorgänger „The National Health“ vergangen sind. Vielmehr markierte schon dieser eine Art Comeback nach dem Sinkflug des dritten Albums und einer folgenden längeren Besinnungspause: „Ja, wir haben einen kleinen Lauf. Vor ‚National Health‘ haben wir uns gründlich damit auseinandergesetzt, was für eine Art Band wir eigentlich sein wollen. Jeder hatte eben ein Leben außerhalb der Band, das hat Folgen für die Arbeitsökonomie und die Zusammenarbeit. Am Ende hat es sich gar nicht so sehr vom Anfangsverständnis unterschieden -aber wir hatten einfach nie darüber gesprochen. Und nach ‚National Health‘ hatten wir dann das entsprechende Selbstvertrauen und wussten, dass wir dieses Momentum nutzen sollten.“
Musikalisch reicht diese neue Energie von markenzeichenartigen, kantigen, lauten und klingelnden Songs zu deutlichen Hommagen an Mark E. Smith, von dem Depeche-Mode-artigen Synthpop von „Leave This Island“, der zweiten Single, bis zu verhangenen Dream-Pop-Momenten. „Ja“, lacht Duncan Lloyd, der Gitarrist und entscheidender musikalischer Motor des Quintetts, „im Studio von Field Music, mit denen wir befreundet sind und wo wir gearbeitet haben, gab es eine Echo-Box und wir haben sie benutzt. Ich habe diesmal auch viel selbst produziert. Das lockert die Ernsthaftigkeit der Studioarbeit auf. Aber wir haben auch erkannt, dass wir nicht alle immer gleichzeitig spielen müssen. Wir haben ja auch früher viel mit Synthies gearbeitet, aber die Gitarren waren immer dominant. Bei ‚Leave This Island‘ fand ich einfach: Das funktioniert, ich will das nicht mit Gitarren verschütten.“
Smith ergänzt: „Es wird einfach anstrengend, wenn man jede Sekunde bezahlen muss. Wir hatten diesmal mehr Zeit, um zu spielen und ein paar neue Tricks zu lernen. Wobei wir natürlich kein experimentelles Album eingespielt haben. Man will ja die wesentlichen Momente bewahren, und das sind bei uns ein melodischer und ein emotionaler Ansatz, der den Hörer auch in einem ganz leichten oder etwas abgehobenen Song treffen soll.“ Dies geschieht derzeit mit einer im Gegensatz zu frühen Erfolgen wie „Apply Some Pressure“ oder „Our Velocity“ etwas gebremster, manischer Energie. Sogar eine hübsche motowneske Ballade hat die Band ans Ende des Albums gehängt: „Danke. Wir waren vor einigen Jahren mal in Hitsville. Sehr inspirierend. Wir haben das Stück nur mit einem Raummikro aufgenommen, die Band drumrum, was wir noch nie getan haben -außer vielleicht“, lacht Lloyd, „ganz am Anfang, als wir nur ein Mikro hatten.“
Geblieben ist jedoch Smiths etwas dandyhafter literarischer Ansatz als rockender Bücherwurm, der mühelos einen Titel mit einem filmischen Essay über Sergej Eisenstein und der Lektüre des viel zu früh verstorbenen chilenischen Avantgardeliteraten Roberto Bolaño erklärt. Dem letzten Album unterstellte man des Titels wegen einen politischen Drall. Der wiederum ergibt sich vor allem und auch diesmal wieder aus der situativen Präzision, mit der Smith seine Beziehungsreflexionen einleitet, so wie es hier zwei schon an den Titeln ablesbare Themengebiete andeuten: Das eine beschäftigt sich mit den Namen Lydia und Audrey, die Smith vor allem gewählt hat, um die Neugier der Hörer zu wecken und hinter denen er die Originalpersonen, eine Proust-Übersetzerin und die Lyrikerin Audre Lorde, verbirgt. Das andere reicht vom Albumtitel zu „Brain Cells“ über „Drinking Martinis“ zu „My Bloody Mind“.“Das Bewusstsein ist ja alles, was wir haben. Der Körper verändert sich, gibt auf, ständig passiert etwas, aber ein Ort im Bewusstsein bleibt, selbst wenn es nur Erinnerungen sind, die man sozusagen im Kopf laminiert. Ich erzähle immer mit konkreten Settings, Tennisplätze in der Nacht, Martinis in der Bar, eine Prügelei in der Fußgängerzone. Aber darunter schwingen dann eben auch existenzielle Momente mit. Der persönliche Aufhänger muss sein, aber ich benutze meine Stimme wie ein Soulsänger: Sie muss etwas Tieferes ausdrücken.“