Alles Poser!
Der Rebell an sich ist eine Person, die sich gegen ein herrschendes System auflehnt. Dabei ist der Rebell keineswegs verlegen, sollte es sich als nötig erweisen, dass er Gewalt anwenden muss. Kurz: Der gemeine Rebell riskiert schon mal ein Menschenleben – wenn es ganz blöd läuft, sogar sein eigenes.
Vor diesem Hintergrund ist der Begriff des Rock-Rebellen ebenso hochkantig verwegen zusammengeklöppelt wie etwa Titan-Kahn oder Sorgen-Telefon. Klar, „Rebell“ das klingt schon ein wenig kernig, männlich-markant und daher auch auf gute Weise schlecht riechend. Ebenso unbeugsam wie unrasiert, mutig und für seine Sache einstehend. Tja, spielte Osama Bin Laden nur halbwegs E-Gitarre, das wäre einer. Klingt zynisch, ist aber so. Denn der schlimme Bruder des Rebellen ist der Terrorist. Schließlich arbeiten beide in derselben Branche, unterscheiden sich jedoch in Berufsauffassung und -ethik. Ist bei Chirurgen und Metzgern ja nicht anders.
Doch zurück zur Musik. Zugegeben, auch einige Vertreter des Rap pflegen ein positives Verhältnis zur Gewaltbereitschaft. Leider verwechseln die meisten von ihnen Inhalte mit Oberweite und Rebellion mit Umsatz. Tatsächlich aber riskiert der Musiker rein gar nichts. Im Gegenteil: Das kantige Image des Rebellen ist hochgradig PR-wirksam, was nicht wenige dazu veranlasst, ein bisschen den bösen Blick zu üben und etwas lauter auf die schlechte Welt zu schimpfen. Was ungefähr so rebellisch ist wie im zweiten Gang anfahren. Bleiben wir fair, schließlich hat es der feinnervige Künstler unserer Zeit ungleich schwerer als seine Kollegen der sechziger und siebziger Jahre. Heute müsste er vor dem Frühstück gleich drei Gitarren verklappen, den Mittagstisch in einer geschlossenen Anstalt nehmen und tunlichst frühzeitig ein paar Paparazzi über sein Tagwerk informieren. Was für eine wilde Maus! Eigentlich nur schlechtes Benehmen, das aber viele ja schon für Rebellion halten. Sauf und koks’dir die Hucke voll, vögel‘ die Groupies auf der Kühlerhaube, und kack’auf den Perserteppich in der Präsidenten-Suite! Danach ist die Welt garantiert verändert – zumindest für den Teppich.
Bei den Sex Pistols entsprach eine solche Freizeitgestaltung einer inneren Haltung. Heute gelangt man damit zu Recht ganz klein auf Seite 5 in der BILD und wird zum „Rüpel-Rocker“ erklärt. Die gemeine Provokation also taugt kaum zum Rebellen-Merkmal, allzu flott verkommt sie zur Pose. Wie zum Beispiel die kluge Hochschulabsolventin, die sich als Vollzeit-Metamorphose Lady Bitch Ray nennt. Respekt vor dem mutigen Auftritt, doch das stete Bemühen der Vokabeln „ficken“ oder „Fotze“ entspricht doch eher einer Stellung als einer Haltung. Auch das Argument „Endlich sagt’s mal eine!“ gildet da nicht. Ein Pausenbesuch auf einem kreuznormalen Schulhof erklärt ruckzuck warum. Sonst wäre ja jeder zweite Musiker ein Rebell: Xavier Naidoo singt für Gott, Heino schützte schon früh den sterbenden Enzian und Patrick Lindner kämpft als Gallionsfigur für schwule Schlagersänger.
Nein, korrektes Rebellentum in der Musik hat andere Qualitäts-merkmale. Stets hilfreich ist ein vorzeitiges Ableben. Wer früher stirbt, ist länger tot, da diskutiert man auch nicht lange die Rebellenfrage. Joplin, Hendrix und Cobain waren unbestritten herausragende Musiker, doch denkmalfähig wurden sie erst durch ihren abrupten Bruch mit dem Dasein. Zu viele Drogen, zu viel Ruhm, zu viele Schrotflinten. Ein paar Jahre heftig brennen und dann plötzlich verlöschen. So weit, so gut – nur haben unsere Helden selbst kaum noch etwas davon.
Wie erfrischend anders sind da doch die Rebellen, die den Weg durch die Institutionen wählen. Das zieht sich nicht nur ein bisschen, das findet auch häufig unter Ausschluss einer größeren Öffentlichkeit statt. Von Bob Dylan vielleicht einmal abgesehen. Rebellen sind also entweder tot oder kein Schwein kennt sie zwei knallharte Kriterien, die die Zahl der Anwärter auf natürliche Weise klein halten. Und das ist gut so.