ALLES MUSS RAUS

Das übliche gemütliche Biertrinken fällt im Prince Of Wales heute aus. Das Pub im berüchtigten Londoner Stadtteil Brixton ist voll mit Kameras, Scheinwerfern und Leuten, die geschäftig hin- und herlaufen. Gerade hat Jake Bugg hier einen Werbefilm für sein zweites Album „Shangri La“ gedreht, nun müssen die Instrumente abgebaut, Kabel eingesammelt und Verstärker eingepackt werden. Heute Abend brauchen sie das alles, denn dann spielt Bugg die Straße runter, in der Brixton Academy – die erste von drei ausverkauften Shows.

Filmaufnahmen, Interviews, Konzert vor knapp 5.000 Leuten: Es ist ein ganz normaler Tag im Leben des Jake Bugg. Er ist gerade 19 und hat ein unfassbares Jahr hinter sich: Sein Debüt (in England im Oktober 2012 veröffentlicht, in Europa im Januar 2013, in den USA erst im April) landete auf Platz eins in den UK-Charts, er ging in den USA und fast rund um die Welt auf Tournee, spielte bei Leno und Letterman, bekam Komplimente von Noel Gallagher, Billy Bragg und ungefähr jedem anderen britischen Songschreiber. Alle lieben den klassischen Sound des Wunderkinds aus Nottingham, der sich nicht zwischen Folk, Country und Pop entscheiden muss, sondern einfach singt und spielt, was ihm gefällt. Der dazu von seinem Leben in der Sozialsiedlung im abgewrackten Stadtteil Clifton erzählt, aber auch von den Träumen, die ihn schließlich hinauskatapultierten – bis ins Shangri-La-Studio von Rick Rubin, mit dem er sein zweites Album fertigstellte. Ein paar Demos entstanden zuvor in den Sun-Studios in Memphis, wo einst Elvis und Johnny Cash aufnahmen, und in Nashville, dem ewigen Mekka der Country-Music. Jake Bugg könnte jetzt aufgeregt sein oder völlig übermüdet, er könnte sich wie der Mittelpunkt der Welt fühlen.

Tatsächlich schlurft er leise durch das Chaos im Pub – mit diesem inwendigen Blick, der verhindert, dass ihn einer anspricht. All die Leute scheint er gar nicht zu sehen. Er sucht sich eine kleine Bank in einer ruhigen Ecke und fängt einfach an, den neuen Song „Pine Trees“ zu spielen. Er singt aus vollem Herzen, aber der Promoter kennt kein Erbarmen und will ihn unterbrechen, das Interview hätte längst beginnen sollen. Bugg klampft weiter. „Dann lassen wir ihn halt“, resigniert der Promoter, „und fangen an, wenn er so weit ist.“ Bugg beendet den Song, schaut auf und fragt: „Sorry, geht es schon los?“ Er setzt ein seltenes Lächeln auf und entschuldigt sich fast: „I need this.“ Sobald er einen freien Moment habe, blende er alles andere aus und ziehe sich in seine „eigene kleine Welt“ zurück – andernfalls hätte er längst den Verstand verloren, so plötzlich wurde er in eine neue Welt geworfen. Bevor sein Debüt erschien, war er noch nie außerhalb Großbritanniens gewesen.

Jemand stellt ihm einen Becher Milchkaffee hin, auf dem wie zum Hohn „Royal Academy Of Music“ steht. Bugg hat im Fach Musik die Abschlussprüfung an der Schule nicht geschafft und auch sonst keine seriöse Ausbildung. Er wollte immer nur Lieder schreiben, singen, spielen. Seine Gitarre legt er auch jetzt nicht weg, sondern greift hin und wieder ein paar Akkorde, wie zur Beruhigung. Reden ist nicht sein Liebstes, aber er weiß, was er für seine Karriere tun muss, also nimmt er das so gelassen hin wie alles andere.

Die erste Frage muss natürlich sein: Wie hat er es überhaupt geschafft, in diesem Jahr genug Songs für ein zweites Album zu schreiben, zwischen Konzerten und Talkshows, zwischen Europa, Japan und Amerika? Es heißt, man hat sein Leben lang Zeit, ein Debüt zu schreiben, und dann nur ein paar Monate für den Nachfolger. Bugg hatte allerdings keinen Druck von außen, im Gegenteil. Die Plattenfirma hätte gern noch bis zum nächsten Jahr gewartet, aber er sah nicht ein, warum. Er hatte viele Fragmente aufgenommen, bei Soundchecks, im Bus, wo auch immer. Bei all dem Trubel hätte er manches sonst vielleicht doch vergessen. Gleichzeitig wollte er nicht in die Rockstarfalle treten: „Die meisten zweiten Alben handeln von Hotelzimmern und Backstage-Räumen, das wollte ich nicht. Ich singe von anderen Dingen.“ Er überlegt kurz und muss grinsen. „Die Ideen zu den meisten Liedern sind natürlich genau dort entstanden: im Hotel und backstage.“

Produziert hat diese Songs schließlich Rick Rubin – eine überraschende Entscheidung. Der britische Traditionalist und der amerikanische Schrat: Wie passt das zusammen? Erstaunlich gut. Rubin ist ja bekannt dafür, die Füße hochzulegen und seine Kunden einfach machen zu lassen -perfekt für Bugg, der vor allem Ruhe brauchte, keinen Antreiber. „Rick hat die Ideen aus mir rausgezogen und mich ermutigt, sie in Lieder umzuwandeln. Er hat einfach die richtige Atmosphäre geschaffen, in der man ohne Stress herumprobieren konnte.“ Das erste Treffen lief so entspannt ab, dass Bugg sofort bleiben wollte: „Er ist ein netter Typ, und in dem Studio herrscht eine ganz friedliche Stimmung. Die Meeresbrise kam durchs Fenster, er reichte mir seine alte Gitarre und sagte, ich solle einfach mal loslegen. Wir wollten eigentlich nur zwei Lieder zusammen aufnehmen, aber dann bin ich ein paar Monate später noch mal zurückgekommen für den Rest. Darauf hatte ich mich richtig gefreut. Für mich war das wie Urlaub. Malibu!“

Mit leuchtenden Augen erzählt er von Strandspaziergängen, Malibu sei schon „pretty mad“ und Rubin eben eine „chilled out person“, bei der sich von Eminem bis Metallica alle wohlfühlen. Gleichzeitig brachte er Bugg mit den richtigen Musikern zusammen, besonders Gitarrist Matt Sweeney gibt „Shangri La“ den nötigen Kick. Bugg fiel erst hinterher richtig auf, wie viel größer das Album klingt, wie viel kräftiger seine Stimme herauskommt, welche Wucht die Stücke haben. „Rick lässt einen rumwurschteln, und dabei macht man Fortschritte, ohne es richtig zu merken – das ist brillant, wenn auch vielleicht unorthodox. Letztendlich geht es nicht um Exzentrik oder Ego, sondern darum, die Ohren zu benutzen.“

Bugg war so dankbar für die Zeit bei Rubin, dass er sein Album gleich „Shangri La“ nennen wollte; er sieht es als Momentaufnahme, als Erinnerung an einen unglaublichen Sommer. (Das Sonnenlicht auf dem Cover ist übrigens kein Photoshop-Resultat, sondern echt.) Alle erzählten ihm, es gäbe bisher kein Album, das so heißt – und als dann Artwork, Pressemitteilung und alles andere fertig waren, kam einer mit Mark Knopflers gleichnamigem Werk an. „Wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein“, seufzt Bugg – und wird demnächst vielleicht lieber selbst googeln.

Der Titel mag also nicht originell sein, der Inhalt ist dafür umso spektakulärer. Die ersten drei Stücke, darunter die beiden Singles „What Doesn’t Kill You“ und „Slumville Sunrise“, lassen es richtig krachen. Bugg wollte die Leute ein bisschen „erschrecken“ und nicht wieder den klassischen Folker geben, zumindest nicht nur. Der Hall auf der Stimme wurde weitgehend entsorgt, er hat ihn gar nicht mehr nötig. Dass „What Doesn’t Kill You“ mit so einem fiesen Riff daherkommt, war allerdings eher Zufall. Bugg saß mit seinem Co-Songwriter Iain Archer (Snow Patrol) zusammen, es war ein wenig langweilig. Und weil er halt manchmal doch nur ein normaler Teenager ist, der sich leicht ablenken lässt, schrubbte er ohne nachzudenken ein paar Akkorde -die Archer wiederum so gut fand, dass flugs ein neuer Song daraus wurde. Solche „Arbeitsunfälle“ liebt Bugg. Er lässt sich vielleicht nicht von außen unter Druck setzen, nicht von seinem Nummereins-Debüt, den Kritikern oder der Plattenfirma, aber sich selbst hat er schon noch einiges zu beweisen. Er will, dass seine Lieder die Leute berühren, er will sich weiterentwickeln, er will seinen Traum leben, nicht nur ein paar Monate lang. Dafür arbeitet er hart, verbiegen möchte er sich allerdings nicht.

In Nashville traf er sich mit mehreren Songschreibern, fand den Ansatz einiger Kollegen aber doch befremdlich: Die drückten einfach die „Play“-Taste auf dem Computer und baten ihn, dazu etwas zu singen. „No, no, no“, sagte Jake Bugg, „so mache ich das nicht.“ Archer und er blieben dann bei Brendan Benson hängen, mit dem verstand man sich. „Ich weiß nicht, ob wir so einen Dreier noch mal machen“, kichert Bugg. Nashville muss ihn trotzdem sehr inspiriert haben: Gleich drei Songs entstanden dort in zwei Tagen, neben „There’s A Beast And We All Feed It“ und dem melancholischen „Pine Trees“ auch das letzte Stück des Albums, „Storm Passes Away“ – eine Art Country-Song, in dem Bugg, der angeblich nie Artikel über sich selbst liest, so schön singt: „And they keep telling me/I’m older than I’m supposed to be …“

Die Liebe ist diesmal ein großes Thema für ihn -oder zumindest, wie in „A Song About Love“, die Frage, was Liebe überhaupt ist und wie viel man geben kann, während sich die Welt um einen herum immer schneller dreht: Was willst du von mir? Was brauchst du? Ein Liebeslied? Kann das genug sein? Drei der schönsten Stücke auf „Shangri La“ hat Bugg allein geschrieben: „All Your Reasons“, „Kitchen Table“ und „Me &You“, ein sehnsüchtiges Lied über zwei, die sich von der Welt nicht trennen lassen wollen, nicht von Blitzlichtern und Zeitmangel – mit dem trotzigen Refrain „no, they won’t catch you and me“ und dem putzigen Versprechen „I’ll hide you discreetly from this cruel world“. Ein bisschen zu defensiv meint er, „das sind vielleicht keine Singles“, um hinterherzuschieben: „Aber sie halten das Album zusammen, sie machen es rund. ,Kitchen Table‘ ist ja eher ein dunkler Song, über eine miese Zeit. Ich war damals in einer richtigen Beziehung -das ist wohl die älteste Idee auf dem Album, ich habe sie allerdings nie fertigbekommen. Ich hätte die Erinnerungsfetzen vielleicht wieder liegengelassen. Rick hat dafür gesorgt, dass ich doch noch ein Lied daraus mache. Das war das Schöne an der Zeit im Studio: Ich konnte all die Dunkelheit rauslassen und alles, was ich normalerweise eher für mich behalten hätte.“ Dass er manchmal schroff wirkt und auf Bildern nie lächelt, hat nichts mit Arroganz zu tun -außerhalb seiner Songs fällt es ihm einfach schwer, aus sich herauszugehen.

Angesichts von „Kitchen Table“ stellt sich allerdings die Frage: Gibt es überhaupt einen Ort, den er sein Zuhause nennt? Seit er, noch bei den Eltern in Nottingham wohnend, entdeckt wurde, ist er ja nur noch unterwegs gewesen. Hat Jake Bugg einen Küchentisch? Zum ersten Mal in diesem Gespräch lacht er laut auf. „Jetzt hast du mich ertappt, ich habe tatsächlich gar keinen. Im Grunde bin ich obdachlos. Ich bin ja nie lang genug an einem Platz. Als ich in Malibu war, hat mein Manager festgestellt, dass das in den letzten beiden Jahren die längste Zeit war, die ich an einem Ort verbracht habe – und das waren zwei Wochen.“ Er zwickt kurz die Augen zusammen, als könnte er selbst gerade mal wieder nicht fassen, dass das die Wahrheit ist. „Ich habe so viele Jahre in meinem Schlafzimmer in England gehockt und gedacht: Da draußen ist die große weite Welt, ich will sie sehen! Und jetzt habe ich die Chance, darüber bin ich sehr glücklich.“

Vor allem Amerika hat es ihm angetan, auch wenn er die vielen jungen Mädchen, die nach den Shows auf ihn warteten, „ein bisschen verrückt“ fand. Den Respekt des Publikums wusste er dagegen sehr zu schätzen, er kennt es aus Großbritannien ja anders: „Man weiß, dass man zurück ist, wenn das erste Bier fliegt. Es ist immer ein Gemetzel. Ich glaube, wir haben das härteste Publikum der Welt. Wenn man von hier kommt, schockt einen nichts mehr.“ In „Slumville Sunrise“ wirft er einen letzten Blick auf das Elend, dem er entkommen ist. Eigentlich wollte er nicht mehr darüber schreiben, aber inzwischen sieht er die Dinge eben aus einer anderen Perspektive: Er blickt von außen auf den Ort, der die Träume im Muff erstickt. Die Inbrunst, mit der er „this place is just not for me“ singt, sagt alles. Der Song entstand, als er nach seinen irren Monaten rund um die Welt nach Hause kam und sich wunderte, wie alles aussieht. Nämlich wie immer. Nach den zwei Wochen in Malibu fiel es ihm überraschend schwer, sich wieder in den grauen Wohnblocks einzufinden: „Das war ein ziemlicher Reality-Check, oh Mann! Ich wäre am liebsten gleich wieder zurückgeflogen.“ Diese Bilder vom trostlosen Leben in Nottingham hat er stets vor sich, wenn er seinen Hit „Two Fingers“ singt. Deshalb kann er immer noch alles hineinlegen, auch wenn er den Song „wahrscheinlich schon mehr als tausendmal“ gespielt hat.

Seine Herkunft würde Bugg nie verleugnen, sie hat ihn mindestens so geprägt wie all die Songs von Neil Young und Don McLean, von Donovan und Noel Gallagher. Die beiden Tourbusse, mit denen er gerade durch Großbritannien fährt, sind voll, weil er seine drei besten Freunde dabei hat und zwei Cousins. „Die sind die ersten, die mir sagen würden, wenn ich kein netter Mensch mehr wäre oder eingebildet. Allerdings kann ich überhebliche Leute sowieso gar nicht ab, also hoffe ich, dass da keine Gefahr besteht.“ Er hat momentan eher Angst, dass er in den großen Hallen die Aufmerksamkeit der Leute nicht halten kann. Schließlich ist er ziemlich allein für die Show verantwortlich, Bassist und Schlagzeuger halten sich gern im Hintergrund. Zuletzt hatte er schon Albträume wegen der Setlist und entschied sich dann, dass er die Gitarre vielleicht lieber nur fünf-statt zehnmal wechselt. Möglicherweise erweitert er im nächsten Jahr das Trio zum Quartett, um einen noch mächtigeren Sound hinzubekommen. Man kann’s ja mal versuchen. „It’s my heart’s desire to set the world on fire“, singt er in „All Your Reasons“ – mit welchen Mitteln, das probiert er immer noch aus. Er denkt den ganzen Tag über Lieder, Gitarren, Setlists nach, während andere auf Twitter und Facebook eine andere Art von Selbstverwirklichung betreiben. Zwei Dinge sind ihm in Bezug auf seine Karriereplanung wichtig: „Instinkt und gesunder Menschenverstand. Ich werde mich nicht in der Badehose im Planschbecken fotografieren lassen. Was soll das bringen? Meine Generation ist besessen von Image, Ruhm und all dem. Es ist ja nett, Aufmerksamkeit zu bekommen, klar. Doch am Ende zählt nur die Musik. Ich bin ein Songschreiber, kein Popstar.“

Für sein drittes Werk will er sich ein bisschen mehr Zeit nehmen, obwohl er schon wieder viele Ideen hat. Ein akustisches Album könnte er sich vorstellen, und er würde gern ganz ohne andere Songschreiber arbeiten, nur um sich selbst zu beweisen, dass das auch geht. „Aber wer weiß? Wenn ,Shangri La‘ floppt, packe ich nächstes Jahr vielleicht wieder Kartons in der Fabrik. Ich hoffe allerdings, dass ich auf Tournee gehe!“ Er lächelt ein bisschen schief. Während die meisten anderen jungen Durchstarter in den britischen Charts – Mumford &Sons, Florence, Laura Marling – aus Akademikerfamilien kommen und ihre Musik notfalls als teures Hobby betreiben könnten, weil ihr warmes Plätzchen in der Gesellschaft gesichert ist, hat Jake Bugg nur diese eine Chance, dem tristen Arbeiterleben zu entkommen. Zurück nach Clifton? No way. „Ich scheine momentan wirklich der einzige Working-Class-Typ in den Charts zu sein. Eigentlich sollte das ja auch gar keine Rolle spielen. Allerdings fällt mir schon auf, dass viele Bands lieber verschleiern, dass sie aus der Mittelklasse oder aus privilegierten Familien kommen, während Arbeiterkinder eher stolz auf ihre Herkunft sind. Ich werde sie jedenfalls nie vergessen. Aber wenn einer von den Eltern auf ein Musikcollege geschickt wird, ist das genauso okay. Solange die Musik vom Herzen kommt und die Texte einem aus der Seele sprechen. Da gibt es genug Themen für alle. Muss ja nicht jeder von Besäufnissen auf der Straße und Messerstechereien auf dem Parkplatz erzählen.“

Als es wieder hektisch um uns herum wird, schaut Jake Bugg auf die Uhr und meint, er sei schon zu spät dran für den Soundcheck. Er wirkt nicht beunruhigt. Zwei Kameraleute wollen noch kurz ein Foto mit dem Star machen, er positioniert sich zwischen sie und lächelt. Die Leute von der Plattenfirma fragen, wo das Auto ist -man müsse jetzt wirklich schnell zur Brixton Academy. Bugg zieht seinen Mantel an, packt den Gitarrenkoffer und sagt: „Ist doch um die Ecke. Wir laufen.“

Gerade verklingen die letzten Takte von „Champagne Supernova“, das alle im Auditorium lauthals mitgesungen haben, obwohl es nur vom Band kam, da tritt Jake Bugg mit seinen beiden Musikern auf die Bühne, trinkt erst mal einen Schluck Wasser, nickt zufrieden ins Publikum und beginnt mit „There’s A Beast „. Er spielt acht neue Stücke und ein Dutzend vom Debüt, was zusammen immer noch wenig mehr als 70 Minuten ergibt -nicht nur, weil seine Lieder so prägnant kurz sind. Ansagen muss er noch ein bisschen üben, viel mehr als „thank you“ weiß er vor dieser Kulisse nicht. Einige Stücke gibt er ganz allein an der Akustischen, auch hier ist „A Song About Love“ der absolute Gewinner. Ein paar Sekunden lang ist es sogar fast still im Raum, und das heißt schon was beim britischen Publikum, das tendenziell gern den Auftretenden übertönt. Als er zur Zugabe wieder ohne Verstärkung „Broken“ singt, schwenken alle ihre Smartphones. Der ungefähr Zehnjährige neben mir hat sogar eine Feuerzeug-App, die von seinem Nachbarn kritisch beäugt wird. Der trägt zu seinem Led-Zeppelin-Shirt einen weißen Pferdeschwanz, der im Takt wippt. Selten so gemischtes Publikum gesehen. Neil Youngs „My My, Hey Hey“ und „Lightning Bolt“ beschließen den Abend. „He’s so fucking cute!“, ruft ein Mädchen. „Stimmt“, sagt die Mutter, „aber bitte nicht solche Ausdrücke!“

Am nächsten Tag spielt Bugg nachmittags noch einen „Geheim-Gig“ im Old Queen’s Head in Islington. Die Security-Lage ist entspannt: Zwar drängeln am Nebeneingang die Ticket-Gewinner, um einen guten Platz zu ergattern, aber man kann auch einfach durch das Pub und die Hintertreppe in den ersten Stock gehen, wo das Konzert stattfindet. Stört zumindest keinen. Drinnen stehen aufgeregte Mädchen mit Schlapphüten und Strickpullis neben gut frisierten Jungs mit dünnen Shirts und noch dünneren Beinen. Das Wetter ist so irritierend wie die Ausstrahlung des Sängers, den sie alle bewundern: Ist er jetzt schüchtern oder selbstsicher? Abgeklärt oder leidenschaftlich? Eigentlich alles, je nach Situation. Er kommt nur mit seiner liebsten Akustikgitarre, lächelt im Raum herum und erzählt, dass er genau hier seinen ersten Headliner-Gig in London hatte. „Damals kam es mir ehrlich gesagt noch viel größer vor!“ Damals vor 19 Monaten, vor einer halben Ewigkeit.

Ein Dutzend Lieder, einige davon Wünsche aus dem Publikum, dann muss Bugg eigentlich schon wieder weiter, doch alle wollen Fotos, Autogramme, ein nettes Wort. Er legt bereitwillig die Arme um Mädchen und Jungs und ist damit schließlich fast länger beschäftigt als mit dem Spielen. Abends der zweite Auftritt in der Brixton Academy: Die Setlist hat er nicht geändert, aber er redet etwas mehr und bedankt sich, dass alle geduldig die neuen Songs anhören, und überhaupt, dass sie hier sind -„Ihr habt ja sicher auch andere Sachen zu tun.“ Zum dritten Mal innerhalb von zwei Tagen singt er sich bei „Two Fingers“ die Vergangenheit von der Seele, da kommt ein Bierbecher auf die Bühne geflogen, er verfehlt Bugg nur knapp. Der zuckt nicht einmal. Er hat Schlimmeres gesehen.

Morgen wird er aufstehen, weitere Interviews geben, Pläne schmieden, Soundcheck machen und zum dritten Mal in Brixton spielen. Dann geht die Tournee weiter, bis 2014 mindestens. Wahrscheinlich jahrzehntelang. Er wird sich nicht beschweren – es ist genau das Leben, das er sich gewünscht hat. Vielleicht macht er irgendwann mal einen Fehler, es kann ja nicht ständig so glatt laufen. Aber selbst dann wird er immer eine Ecke finden, in der er seine Gitarre auspacken kann. Das Glück kann Jake Bugg gar nicht verlassen.

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