Alles außer Tiernahrung
Die Autorin Karen Duve hat für ihr Buch „Anständig essen“ ein Jahr lang nach dem richtigen Ernährungsstil gesucht.
Es gibt einen Film über einen Mann, der beschließt, ein Jahr ohne Erdöl zu leben. Ein anderer schrieb ein Buch darüber, wie er zwölf Monate nach den Gesetzen der Bibel lebte, wieder ein anderer versuchte, sich über Frühling, Sommer, Herbst und Winter regional zu ernähren und manche gingen ein halbes Jahr offline, um anschließend davon zu berichten – Selbstversuche sind der zurzeit der Weg zum publizistischen Erfolg. „Ich weiß, ich weiß“, lamentiert Karen Duve und winkt ab. „Aber die hatten es ja leicht. Die konnten ihr kleines Experiment irgendwann abschließen und so weiterleben wie bisher. Das kann ich nicht.“
Karen Duve hat im vergangenen Jahr einen Selbstversuch unternommen, den sie in ihrem am 30. Dezember erscheinenden Buch „Anständig essen“ (Galiani, 18,95 Euro) dokumentiert. Sie hat sich auf die Suche nach der richtigen Ernährungsweise gemacht, weil sie „ein besserer Mensch“ werden wollte. Sie hat viele Bücher zum Thema gelesen, stieg auf Biolebensmittel um, ernährte sie sich zwei Monate vegetarisch, zwei Monate vegan, schließlich sogar frutarisch, also nur von dem, was die Natur freiwillig hergibt. Dabei wurde sie von ihrem guten Gewissen begleitet, das in Person ihrer Freundin Kerstin – die sie in Anlehnung an den gewissenhaften Grashüpfer aus Walt Disneys „Pinocchio“ nur „Jiminy Grille“ nennt – bei ihr im Brandenburgischen zur Untermiete wohnt. Die Gespräche der beiden, die Selbstbezichtigungen, der Widerwille und das mürrische Misstrauen gegenüber den politisch korrekten, aber geschmacklich oft gewöhnungsbedürftigen Lebensmitteln erzeugen zwischen all den erschreckenden Fakten über die Ernährungsindustrie den typischen Duve-Sound, wie man ihn aus ihren fabelhaften Fiktionen wie „Regenroman“, „Dies ist kein Liebeslied“ oder „Taxi“ kennt.
Der Titel Ihres Buches erinnert mich an einen Spruch, den meine Eltern früher immer brachten: Jetzt iss anständig!
(lacht) Ja, das kenne ich. Nimm den Ellbogen vom Tisch! Sitz gerade! Kau nicht mit offenem Mund! Ist ja auch nicht unwichtig – gerade, wenn man jemanden neu kennenlernt.
Spielt unsere Erziehung eine Rolle, wenn’s um Ernährung geht?
Auf jeden Fall. Viele Leute gucken sich die Welt differenziert und kritisch an, aber ausgerechnet wenn’s ums Essen geht, sagen sie: „Ach, das mach ich genauso wie Mutti früher.“ Selbst, wenn man in allen anderen Bereichen mit seinen Eltern gebrochen hat, diese letzten Rituale und Traditionen geben einem Sicherheit. Iris Radisch hat mal von Menschenfressern geschrieben, die auf ihrem Sterbebett vor Sehnsucht nach dem Menschenfleisch, das sie als Kinder gegessen hatten, bitterlich geweint haben sollen. Das ist ein gutes Bild. Denn Ernährungssünden werden oft vererbt.
Das Wort „Ernähungssünde“ klingt so katholisch.
Das ist nicht so falsch. Essen hat immer viel mit Religion zu tun gehabt. Sekten haben häufig Ernährungsregeln. Man definiert und identifiziert sich über das, was man isst oder nicht isst. Aber mir geht es um eine ganz rudimentäre Form von Moral. Wenn die Leute einfach mal kurz zur Kenntnis nehmen würden, was alles passieren muss, bis das Fleisch bei ihnen auf dem Teller liegt, würden die allermeisten es nicht essen. Klar, es gibt sicher auch ein paar harte Typen, die sagen: „Mir ist es das wert. Das Kälbchen soll einen vor die Birne bekommen, und mir schmeckt das gut.“ Denen läuft schon das Wasser im Mund zusammen, wenn sie das Kälbchen auf der Wiese stehen sehen. Die haben noch den direkten Zusammenhang. Aber die meisten Leute haben nur ein ruhiges Gewissen, weil sie das Denken verweigern.
Sprechen Sie da aus eigener Erfahrung?
Ich hatte eigentlich immer ein ganz gutes Bild von mir. Erst als ich aufschreiben musste, was ich alles esse, merkte ich – du bist ja eine totale Witzfigur! Haribo, Coca-Cola und so weiter – der reine Couchpotatoe. Da kam ich auch kurz in Versuchung zu sagen, müssen das jetzt alle wissen? Aber dann dachte ich: wunderbar, große Fallhöhe. Es sind ja in den letzten Jahren schon viele Dinge zu Ernährungsfragen geschrieben worden, und Jonathan Safran Foer hat in „Tiere essen“ vieles noch mal zusammengefasst. Das einzige, was ich jetzt noch neu bieten konnte, war, zu sagen: Okay, ich bin eine von den Luschen und berichte, wie ich mich da durchschlage.
Ohne den erhobenen Zeigefinger.
Ja, ich habe so weit unten angefangen, dass ich gar nicht in Versuchung komme, den Zeigefinger zu heben. Ich kann niemandem erzählen, wie er’s machen soll. Vielleicht können die Leute es besser ertragen, wenn sie ein Buch von jemandem lesen, der nicht moralisch über ihnen steht.
Fühlen Sie sich denn jetzt als besserer Mensch?
Ich weiß jetzt mehr, ich lebe bewusster – aber das Bild, das ich von mir habe, ist schlechter geworden. Es gibt einfach Leute, die sich – so wie ich – mit Ernährung beschäftigt haben und deren Konsequenz war: Ich lebe von nun an vegan. So weit – das kann ich verraten – gehe ich am Ende meines Buches nicht. Ich musste einsehen, dass es Leute gibt, die mitfühlsamer sind und warmherziger – die halt einfach moralisch bessere Menschen sind als ich.
Man sagt Schriftstellern doch immer nach, sie seien besonders empathiebegabt.
Stimmt. Vielleicht darf ich dann nur noch über Menschen schreiben oder – wie Dietmar Dath in „Die Abschaffung der Arten“ – über Genten (lacht). Aber ich habe eigentlich schon immer gerne über Tiere geschrieben.
Haben Sie denn jetzt ein anderes Verhältnis zu ihren Haustieren?
Ich bin voller guter Vorsätze. Ich will mehr darauf achten, was die Tiere gerne möchten. Es sollte so sein, dass alle was davon haben, ohne einander furchtbar auf die Nerven zu gehen oder einander weh zu tun. Bei den Hühnern, die wir aus Massenhaltung befreit haben, ist es allerdings schwierig. Das ist, als hätte man einen Haufen Krimineller im Haus.