Alles außer Cadillacs
WENN DAS OBLIgatorische Bierflaschengeklapper und das Getuschel in einem Kreuzberger Club urplötzlich erstirbt, weiß man mit metronomischer Sicherheit, dass man gerade einem sehr angesagten Event im gerade mal wieder sehr angesagten Segment folk music beiwohnt. Emily, Jessica und Camilla (Milly) Staveley-Taylor aus dem englischen Watword nahe London vermögen eine solch unmittelbare Stille allein mithilfe ihrer Stimmen herbeizuführen und selbst hypegestresste Berliner Publikumsseelen für einige Momente in ein Vakuum des Schweigens zu hüllen. Musikalisch waten die drei Schwestern mindestens knietief in amerikanischer Tradition. Auf Fotos wirken sie oft sogar wie Töchter eines texanischen Landpfarrers.
Dazu passt wiederum die niedliche Verbeugung im Booklet ihres gefeierten Debütalbums „Dead & Born & Grown“.“To Mum &Dad, For teaching us harmonies and how to go wisely and slow“, liest man da. „Wir dachten, dass wir die Chance, uns bei ihnen zu bedanken, vielleicht nur einmal bekommen“, sagt Jessica beim Gespräch vor dem Soundcheck in Berlin. „Wir würden heute keine Musik machen, wenn unsere Eltern uns dazu gezwungen hätten“, meint Emily, die älteste, lässigste der drei. „Wir liebten einfach die Musik, die sie hörten, und sie liebten irgendwann die Musik, die wir hörten.“ Was in dem Fall beweist, dass popmusikalische Früherziehung gelingen kann. Die Eltern hörten Platten von Dylan, Joni Mitchell, den Eagles, Crosby, Stills, Nash &Young. Die Töchter kauften als Teenager CDs von Ryan Adams, Ben Kweller, Ray LaMontagne und Laura Marling, Songwriter also, die sich – wie es die Staves nun selbst äußerst überzeugend tun -am Americana-Mythos abarbeiten. Daheim griff Papa auch mal selbst in die Klaviertasten und sang, die restlichen Familienmitglieder stiegen bei solchen Gelegenheiten mit ein.
Als Milly, die auf der Bühne von ihren beiden älteren Schwestern oft schützend in die Mitte genommen wird, gerade mal 14 war, gaben die Schwestern ihr erstes Konzert im Watforder Pub The Horns, wo sie Songs von Stevie Nicks und Neil Young interpretierten. Und mit ihrem lerchenhaften Harmoniegesang ließ der Erfolg nicht lang auf sich warten. Bald hatten sie eine Band, spielten in London, wo eines Abends rein zufällig die lebende Produzentenlegende Glyn Johns herumgeisterte. „Er sagte:’Ich bin zwar inzwischen im Ruhestand, aber mein Sohn würde euch lieben'“, erinnert sich Emily. Wenig später verschaffte ein Freund ihnen den Auftrag als Background-Trio bei Tom Jones für dessen Album „Praise &Blame“, durch den sie ebendiesen Sohn, Ethan Johns, kennenlernten. Weniger zufällig war dann, dass Glyn und Ethan Johns „Dead & Born & Gone“ gemeinsam betreuten. „Auf der einen Seite gab es diese Vater-Sohn-Beziehung, auf der anderen Seite machten wir unser Schwestern-Ding. Es war wie eine große Patchwork-Familie“, lacht Jessica.
Fast möchte man den Weg der Staves, der von glücklichen Fügungen gepflastert scheint, gar nicht glauben, auch wenn sich Milly beeilt, alles zu relativieren: „Bisher gibt es nicht genug Leute, die sich für uns interessieren, um von einem Hype zu sprechen.“ Jetzt ihre eigenen Gigs außerhalb Englands zu bestreiten und jeden Tag zum nächsten Veranstaltungsort zu fahren, sei vorerst Abenteuer genug. Hier und da werfe man ihnen vor, ihre Musik klinge zu amerikanisch, was Milly locker kontert: „Allein die Tatsache, dass wir dreistimmig singen, bringt in vielen Leuten diese Americana-Glocke zum Läuten. Aber dass unsere Songs nicht davon handeln, mit einem Cadillac den Highway runterzusausen, kann jeder hören.“