Alle Familien sind verkorkst rückt DOUGLAS COUPLAND endgültig in Bahnhofskiosknähe
Diesmal hat er’s übertrieben. Es vergeht kein Jahr, in dem Douglas Coupland nicht einen neuen mehrhundettseirigen Roman erscheinen lässt, und das bekommt seinem Werk einfach nicht. Er müsste sich mal besinnen ja, schreibt er denn überhaupt keine Essays oder Kurzgeschichten? Mit .Alle Familien sind verkorkst“ (Hoffmann und Campe, 19,90 Euro) hat er’s wirklich übertrieben, einen Roman geschustert, der sich in Handlung schier erschöpft. Und den Leser gleich mit.
Der Plot ist so penetrant furios, verwickelt, rasant und bar jeder Wahrscheinlichkeit, dass man ihn besser hätte auf fünf, sechs Heftchen verteilen und im Bahnhofskiosk verhökern sollen, oder meinethalben auch eine hübsche Staffel Soap Operas daraus drehen. Aber man kann das den Menschen doch nicht im Ernst als Literatur verkaufen wollen. Und dann auch noch im Hardcover!
Man muss das wenigstens ansatzweise referieren, sonst glaubt einem keiner. Wade, der Taugenichts dieser verkorksten Familie, kehrt nach vielen umtriebigen Jahren zurück, um seine geschiedenen Eltern zu besuchen. Auf dem Weg zu Dad kehrt er noch in seine alte Lieblingsbar ein, lernt eine willige Blondine kennen, geht mit ihr aufs Hotelzimmer – und lässt sich danach ihre Telefonnummer auf die Hand schreiben. Anschließend besucht er seinen Vater, Ted, von dem er Jahrzehnte nichts gehört hat, weil er einst nach einer Schlägerei mit ihm das Elternhaus verlassen hat. Ted ist erfreut über den Besuch, will ihm seine Geliebte Nickie vorstellen, die lässt vor Schreck die Drinks fallen. Beim Aufsammeln der Gläser entdeckt Ted ihre Telefonnummer auf der Hand seines Sohnes. Nun, Wade flüchtet zu seiner Mutter Janet. Sie essen zusammen zu Abend, bis Ted bewaffnet und außer sich durch die Tür stürmt, Wade sich schützend vor seine Mutter stellt und Ted abdrückt.
Die Kugel durchschlägt Wades Körper, dringt in Janets Lunge. Beide werden gerettet, aber ein paar Monate später stellen sie fest, dass Wade HIV-positiv war und also sowohl Janet als auch Nickie angesteckt hat Und Nickie dann wohl auch Ted. Vielleicht verrät man schon zuviel, wenn man auch noch verrät, dass die Infizierten schließlich an den Schweizer Pharma-Milliardär Florian geraten, der eine schwarze Schönheit in Uganda aufgetan hat, die oflenbar gegen die Seuche resistent ist und in einer Blutsbrüderschaftsszene ä la Karl May Janet und damit sukzessive auch dem Rest der Familie das Leben rettet. Und gegen Teds zwischenzeitlich lebensbedrohüch wucherndem Leberkrebs hat Florian natürlich auch die rettende Pille zur Hand.
Vielleicht sollte man auch noch erwähnen, dass die Familie durch glückliche Zufalle in den Besitz jenes Briefes geraten ist, den Prinz William seiner Mutter Lady Di ins Grab geworfen hat und der für selbigen Florian bestimmt ist, welcher aus dem in der Gummierung gebundenen prinzlichen Speichel dereinst – gegen einen wohl nicht allzu geringen Obolus viele kleine Williams klonen möchte. Aber die edle Janet hat längst die Briefe vertauscht und das Orginal ihrer Tochter Sarah mitgegeben, einer gefeierten, Contergan-geschädigten Wissenschaftlerin, die mit dem Space Shuttle auf dem Weg ins All ist und den Brief dort endgültig entsorgen soll.
Wie gesagt, Coupland plottet sich um Kopf und Kragen. Und man ist froh, wenn der Roman endlich zum Ende kommt Hätte er noch 50 Seiten länger gedauert, wäre dem Autor bzw. seinem Pharma-Milliardär sicher auch noch ein Mittelchen gegen Sarahs fehlende Hand eingefallen. Natürlich ist das eine Farce, eine großangelegte Albernheit, die man als solche vielleicht noch hingenommen hätte, wenn man nur wüsste, wofür. Dass die Familie niemals, nicht mal in Amerika, nicht mal im Süden, so heil war, wie es Präsidentengattinnen und andere Ideologen gern hätten, ist doch eine Vorabendserienweisheit.
Wenn Coupland tatsächlich so etwas wie eine Satire schreiben wollte, dann rennt er zumindest offene Türen ein. Und dagegen sprechen dann doch die in der Mehrzahl wirklich gelungenen Rückblenden, die ganz anrührend von Janets wohlbehüteter wie bedrückender Fifties-Kindheit, ihrer frühen und genauso einengenden Ehe und schließlich ihrer zaghaften Emanzipation infolge der Krankheit erzählen. Diese Passagen sind literarisch von Belang, weil sie sich Zeit lassen für ihre Figuren, die Dialoge, die jeweilige Atmosphäre. Alles andere ist nur gehetzte Radau-Fabuliererei, auf die sich jeder anonyme Arztroman- Schmierer genauso gut versteht.