Alien mit Afro
WANZIG METER UNTER der Hamburger Reeperbahn. Nur langsam gewöhnen sich die Augen an das Dämmerlicht in der Künstlergarderobe des Mojo-Clubs. Ganz hinten in der Ecke sitzt eine Art schwarzer Engel mit gigantischer Sonnenbrille. Auf dem Kopf thront keck und ein wenig schräg ein kleiner Bowler, unter dem die dramatische Frisur fast verschwindet. Dazu: Bluse, Jäckchen, schmale Hose, flache Lacklederschuhe – alles wie durch ein Fass schwarze Tinte gezogen.
Janelle Monáe ist eine der aufregendsten neuen Stimmen zwischen Funk, Rock, R&B und Soul. Bereits ihr Debütalbum, das 2010 erschienene „ArchAndroid“, sorgte unter Kritikern für einhellige Begeisterung: Der Expressionismus von Fritz Langs „Metropolis“ trifft auf einen abenteuerlustigen Afrofuturismus, während die Band ein kongeniales Update liefert zum Lebenswerk von Prince, David Bowie, George Clinton und Michael Jackson. Das wunderbare neue Album „Electric Lady“ steht dem Debüt in nichts nach. Mit der seelenverwandten Erykah Badu singt Monáe das schöne Rap-Mantra „The Booty Don’t Lie“ („Q. U.E. E. N.“), mit der Beyoncé-Schwester Solange Knowles gibt sie die „Electric Lady“. Das klingt nach Zukunft und zugleich auch nach den Wurzeln schwarzer Musik. Bei „Givin Em What They Want“ hinterlässt der leibhaftige Prince als Duettpartner und Jimi-Hendrix-Epigone einen starken Eindruck. Wie kam es zu der Zusammenarbeit? Janelle Monáe antwortet mit der Gelassenheit einer Aristokratin: „Prince ist der Herrscher einer Unterwasserwelt. Ich besuchte ihn, wir redeten und tranken Tee. Später begann er auf einer Gitarre zu spielen, die er in seiner Hosentasche versteckt hatte.“ Nein, sie ist nicht verrückt. Janelle Monáe schlüpft in Interviews nur gern in die Rolle eines Androiden. Auf die Frage, wie ihre Jugend in Kansas verlief, gibt es deshalb bloß die erwartbare Antwort: „Ich komme nicht aus Kansas!“ Woher dann?“Aus New Atlantis, ich gehöre zum Volk aus dem Wasser.“
Science Fiction und Black Music, das sollte man in diesem Zusammenhang vielleicht erwähnen, sind schon lange ein Paar: Von Sun Ra über George Clinton und Lee Perry bis zu Techno-Künstlern wie Drexyia und Underground Resistance. Die Erfahrung von Entfremdung und Ausgrenzung, mit der viele Afroamerikaner immer noch täglich konfrontiert sind, dazu die unvergessenen Schrecken der Sklaverei, all das bündelt sich in dem befreienden Motiv, von einem anderen Planeten zu stammen.
Bei Janelle Monáe kommt dazu noch eine feministische Komponente, die zurückgeht auf die Theoretikerin und Biologin Donna Haraway. Die plädiert dafür, Cyborgs -also die Verbindung von Mensch und Maschine -als eine Fiktion anzusehen, an der sich die Beschaffenheit unserer heutigen gesellschaftlichen und körperlichen Realität ablesen lässt. Janelle Monáe sieht das ähnlich: „Liebe hat kein Geschlecht. Wir Menschen wissen nicht, wie die Liebe in das Herz eines Bären kommt oder in das einer Ameise, eines Moslems, eines Christen oder eines Androiden. Das bedeutet: Androiden sind das neue ‚Andere‘. Durch sie bekommen wir eine Vorstellung von denen, die wir unterdrücken, weil wir sie nicht verstehen.“
Es ist diese Mischung aus abstrakter Theorie, Science-Fiction-Begeisterung und purem Talent, die auch die Musik von Janelle Monáe auszeichnet. Trotzdem ist ihre Definition von Funk so knapp wie zutreffend: „Fun! Es muss Spaß machen!“
Und das tut es: Auf der kleinen Bühne des Mojo-Clubs ist kaum Platz für die neunköpfige, ganz in Weiß gekleidete Band. Am Mischpult, mit einer gewaltigen Dreadlock-Frisur auf dem Kopf, steht Nate Wonder, der wichtigste der Produzenten von „Electric Lady“. Was folgt, ist ein musikalischer Orkan, inszeniert mit der großen Geste klassischer amerikanischer Entertainer: Janelle Monáe trägt nun ein dominantes Reiterinnen-Outfit. Sie tanzt den Moonwalk und die Band rast vor Leidenschaft. Das Publikum tobt dazu vor Begeisterung. Die Aliens sind unter uns -die Invasion hat begonnen.