David Lynchs erschreckender Debütfilm „Eraserhead“: Albtraum Geburt
Das surrealistische Ausnahmewerk ist nicht nur ein Höhepunkt des experimentellen Films, sondern liefert auch den Interpretationsschlüssel für alle späteren Werke von David Lynch mit.
1977 probte das amerikanische Kino den Hypersprung und wagte sich zum ersten Mal in eine neue Galaxis vor. Mit „Krieg der Sterne“ von George Lucas wurde das Weltall nach Georges Méliès „Reise zum Mond“ und Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ endgültig für die große Leinwand erobert – und mit Lichtschwert-Power und Sternenkreuzern zum Explosionsfeld aufgedreht.
Doch in diesem fürs Kino beachtliche Jahr wagte sich auch ein anderer Regisseur auf einen fremden Planeten vor und schilderte mit alpdruckhaften, expressionistischen Bildern eine phantastische Reise in eine (Innen-)Welt, die möglicherweise noch wesentlich unerforschter ist als so mancher Lichtjahre entfernter Sternenhaufen.
Fixstern des Mitternachts-Kinos
„Eraserhead“, David Lynchs surrealistischer Debütfilm, der mehr als fünf Jahre in exzessiver Kleinarbeit und mit marginalem Budget ausgebrütet wurde, ist bis heute das erschreckendste und unnahbarste Werk des Universalkünstlers geblieben. Neben „El Topo“, „Pink Flamingo“ und „The Rocky Horror Picture Show“ ein Fixstern des Mitternachts-Kinos, schnell zum Kultfilm erhoben und weitaus häufiger besprochen, als je von ängstlichen Zuschauern gesehen.
Lynch hatte als Kunstschuleleve am American Film Institute in Los Angeles mit einigen grotesken Kurzfilmen („The Alphabet, „The Grandmother“) versucht, eine von Luis Bunuel, Francis Bacon und Man Ray inspirierte Bildsprache zu etablieren, die psychoanalytisch aufgeladene Symbole mit brachialer Körperinszenierung kreuzte. Für „Eraserhead“, der stark von Gogol und Kafkas Erzählungen beeinflusst ist (Lynch sicherte sich etwas später die Filmrechte für „Die Verwandlung“), schwebte ihm die Geschichte eines lebensunfähigen Mannes vor, erschrocken von der eigenen Unerschrockenheit, der damit konfrontiert wird, ein noch nicht fertig geborenes Wesen gezeugt zu haben, um das er sich kümmern muss und das ihm zur entsetzlichen Last wird. Ein Projekt, das den jungen Künstler letztendlich bis an den Rand der physischen wie psychischen Erschöpfung brachte.
Jack Nance, einer von Lynchs besten Freunden und in vielen seiner Filme zu sehen, schlüpfte in die Haut von Henry Spencer, einem schüchtern-naiven Drucker, der in einer Art postapokalyptischen Großstadt lebt, in der Industrie alles verdrängt hat, was grün und lebendig sein könnte.
Inspiriert ist diese Landschaft, das betonte Lynch in der Vergangenheit mehrfach, von seiner Lebenszeit in Philadelphia, in der hohe Kriminalität und Verwahrlosung an der Tagesordnung waren. Henrys wie von einem heftigen Stromschlag aufrecht geschüttelte Frisur mag dem Zuschauer, wenn er sie einmal gesehen hat, nie wieder aus dem Kopf gehen – ähnlich wohl wie sein eng gezirkeltes Apartment irgendwo im Nirgendwo. Darin rauschen rabiat die Heizungskörper vor sich hin und die Nachbarin bietet sich willig zum Beischlaf an.
Grotesker Stummfilm mit Gruselgeräuschen
Für den gerade im Ferienmodus feststeckenden Henry zunächst keine Option. Doch als er von seiner Freundin (von der im Abspann zu lesen ist, dass sie Mary X heißt; Namen spielen in dieser graukarierten Welt eher eine untergeordnete Rolle) zu einem Dinner bei der Familie eingeladen wird, schwant ihm nichts Gutes. Zurecht: Auf reichlich unkonventionelle Weise wird ihm eröffnet, dass er bald Vater werden würde und nun deswegen heiraten müsse. Reden fällt hier allen Beteiligten schwer, denn wie auch schon in seinen Kurzfilmen zeigt Sprachkritiker Lynch eine Welt, in der Gesten und Töne wesentlich mehr ausdrücken als Worte.
Der Familienabend hat dann auch mehr etwas von einer absurden Komödie mit Jacques-Tati-Touch. Den schönsten Auftritt hat ein eigenartig belebtes Brathähnchen. „Eraserhead“ ist eben ein grotesker Stummfilm mit Gruselgeräuschen. Die wurden produziert vom genialen Tontechniker Alan Splet, den Lynch am Filminstitut kennengelernt hatte. Zu hören sind wildschmatzend Milch saugende Hundewelpen. Zu sehen ist eine Mumie als Großmutter, die irgendwann einfach in der Küche vergessen wurde.
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Nur wenig später hat Henry Spencer eine eigene Familie. Seine nun angeheiratete Mary zieht zu ihm in die Wohnung und ohne dass man je gesehen hätte, dass sie schwanger war (vielleicht war sie es auch nie, macht Henry doch eher den Eindruck, der Archetyp eines asexuellen Junggesellen zu sein), kümmern sich beide um ein seltsames Etwas von einem Säugling, das noch deutlich Züge eines Embryos trägt. Das kleine Wesen ist der Dreh- und Angelpunkt in „Eraserhead“, sein großes, unsterbliches Geheimnis. Warum sieht es aus, wie es aussieht? Warum macht es solch kümmerliche Krächzlaute? Was hat es zu bedeuten?
Der noch nicht zu Ende geborene Mensch
Der Filmkritiker Georg Seeßlen schrieb einst vom „noch nicht zu Ende geborenen Menschen“, der hier symbolisch von David Lynch zum Leben erweckt wird – und später in den unterschiedlichsten Formen in seinen Werken als Motiv zurückkehrt. Der Regisseur äußerte sich nicht einmal ansatzweise zu den Hintergründen für seinen nach eigenen Angaben spirituellsten Film. Immer wieder machte das Gerücht die Runde, der Säugling könnte der Fötus einer Ziege oder einer Kuh gewesen sein. Lynch wird das Geheimnis wohl irgendwann mit ins Grab nehmen. Am Set sorgte er sogar eigenhändig dafür, dass jeder, der sich in der Nähe des kleinen, erschreckenden „Kunstwerks“ aufhielt, die Augen verschließen musste.
Zwischen Mutter und Vater läuft es alles andere als super. Die junge Frau gibt, vom täglichen Anblick der Missgeburt und seinem nervenaufreibenden Plärren gemartert, recht früh wieder auf und verlässt Henry. Nur widerwillig versucht er sich mit seinem „Kind“ zu arrangieren und wird von ihm vollkommen eingenommen. Natürlich liegt es auf der Hand, dass sich der amerikanische Filmemacher intensiv mit seiner eigenen Situation als junger Vater auseinandersetzte.
Schließlich musste er sich als Künstler mit wenig Geld und komplizierten Gedanken erst einmal etablieren und trotzdem für die Familie da sein. Das Budget für seinen Erstling war schon nach Monaten ausgereizt, Lynch schlief sogar am Set, um schneller fertig zu werden und weil er sich kaum noch die Miete für seine Wohnung leisten konnte. Autobiographische Fährtenleser neigten dann auch dazu, die Klumpfuß-Behinderung, mit der seine Tochter Jennifer auf die Welt kam, als Motivation für die Darstellung des mysteriösen Wesens in „Eraserhead“ zu deuten.
Trotz all dieser möglichen Interpretationen bleiben natürlich die zahlreichen Geburtsmetaphern und Schock-Sequenzen destruktiver oder gleich ganz gescheiterter Sexualität. Der Film beginnt ja schon mit jenem längst zum Mythos gewordenen „Mann auf dem Planeten“, der unter schweißtreibendem Körpereinsatz anscheinend dafür sorgt, dass etwas oder jemand das Licht der Welt erblickt.
Ist es Henry, dessen schräge Lebensperspektive der Film ästhetisch nahezu distanzlos spiegelt? Oder ist es das Embryo, das mit großer Gewalt in die Welt gepresst wird? Noch auffälliger ist jener Albtraum, den Henry eines Nachts hat, nachdem er von seiner Mary verlassen wurde. Hier findet er sich erneut neben ihr im Bett liegend wieder und zieht aus ihrem Leib etliche Spermien ähnelnde Fäden hervor, die er, leicht angeekelt, gegen die Wand klatscht.
„In Heaven Everything Is Fine“
Gut, dass es die Frau in der Heizung gibt! Sie wird für den vom Wahnsinn angefallenen Henry zum Todesengel, singt sie doch auf ihrer kleinen Bühne in ihrem Heizungsreich: „In Heaven Everything Is Fine“. (Übrigens ein Lied, das die Pixies hin und wieder live aufführten). Eine Aufforderung zur Selbsttötung oder zum narzisstischen Rückzug in eine andere, von den Zwängen des gewöhnlichen Lebens befreite Parallelzone?
Der von seiner pausbäckigen, Föten zerquetschenden Muse inspirierte Vater schreitet zur Tat und schneidet seinem zwischenzeitlich schwer krank gewordenen Kleinen, der sich höhnisch-lachend über ihn lustig gemacht hatte, zunächst die Bandage auf, in die er gewickelt war, um ihm dann mit der Schere den Garaus zu machen. Organe treten heraus, Blitzlichtgewitter – alles gerät ins Wanken. „Eraserhead“ ist ein ganz und gar introvertierter Horrorfilm, in dem noch jedes kleinste Atom, das sich bewegt, auf die Hauptfigur reagiert.
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Es folgt die wohl surrealistischste Sequenz im Werk des letzten großen Surrealisten des amerikanischen Kinos, die dem Film letztlich auch den verschrobenen Namen verlieh: Die Blondine aus der Heizung verschwindet auf ihrer kleinen Bühne in einer Blutlache, die aus einem Baum herausläuft, Henrys Kopf trennt sich vom Körper und fällt auf einen Weg auf der Straße. Dort wird er von einem Jungen aufgehoben, der ihn anschließend zielgerichtet in eine Fabrik bringt. Hier wird die leblose Rübe schließlich zum Radiergummi verarbeitet.
Lynchs Filmkarriere stand vor dem Ende
„Eraserhead“ ist bis zum heutigen Tag David Lynchs experimentellster Langfilm geblieben (nimmt man „Inland Empire“ einmal außen vor, der mehr als einmal den Eindruck erweckt, als sei er eine aus dem Bauch heraus entstandene Kunstinstallation). Mit nur 21 Seiten Drehbuch, 40 Minuten ohne Dialog und gerade einmal 25 Zuschauern bei der Premiere hätte der Film schnell die Karriere dieses anspruchsvollsten Schöpfers unheimlicher Traumvisionen abwürgen können.
Dass dies nicht passierte, lag auch an den bezwingenden, von der eigenen Mehrdeutigkeit besessenen Bildern, die sich zu einem durchaus hypnotischen Trip in eine andere Dimension verbinden. Stanley Kubrick zeigte „Eraserhead“ seinen Schauspielern, bevor er sie in „Shining“ aufeinander loshetzte. Mel Brooks war begeistert und wusste endlich, wer die ideale Besetzung war, das Script für seinen „Elefantenmensch“ zu verfilmen. Und George Lucas hätte Lynch tatsächlich fast „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ inszenieren lassen. Die extrovertierte Weltraum-Oper wäre danach ganz sicher eine andere gewesen.
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