adventures in lo -fi
Cool ist was anderes. Seit Mitte der Achtziger produzierte der Grundschullehrer Robert Pollard mit Guided By Voices seine Platten im Schmalspurverfahren, zu jedem Album feierte er im Kreise seiner Freunde eine Party. Danach stapelte er die obligatorischen 500 Einheiten in der Wohnung neben denen des Vorjahres. Die Öffentlichkeit bekam von diesem privaten Vorgang im verschlafenen Dayton nichts mit.
Doch plötzlich 1993 waren Guided By Voices, inzwischen mittelalte Herren in Röhrenjeans, für einige Stunden die coolste Band dieses Planeten. Lo-Fi-Rock hatte sich als Stil etabliert, und Pollard, der stets vom Rockzirkus geträumt hat, war nun eine Gallionsfigur des Fachs. Die Lo-Fi-Geschichte beruht auf Mißverständnissen. Gewiß ist jedoch, daß sich hier erstmals ein Musikgenre über seine Produktionsform definierte. Bei Lo-Fi (eine Verknappung des Begriffs Low Fidelity) wurde die Reduktion zum Prinzip erhoben.
Aus unterschiedlichen Gründen. Guided By Voices etwa nutzten bescheidene 4-Spur-Aufnahme-Geräte, weil kein Geld da war, und befreiten ihre Songs so von technischem Schnickschnack, was weitreichende ästhetische Folgen hatte. In oft nur einer Minute finden die Stücke ihre melodische Erfüllung. Wozu Strophen schreiben, wenn ein Song nur wegen des Refrains existiert? Guided By Voices machten aus der Not eine Tugend. Sebadoh hingegen suchten die Tugend in der Not Angeödet von der Vforhersehbarkeit des Business war der Bassist Lou Barlow 1989 bei Dinosaur Jr. ausgestiegen, um mit Sebadoh künstlerische Erfüllung wiederzufinden. „Gimme Indie Rock!“ skandierten sie auf einer Single, denn Lo-Fi und die noch reduziertere Form des Homerecording funktionierten durch ihre Unübersichtlichkeit auch als letzte Bastion gegen die Majors, die sich den alternativen Rock fast vollständig einverleibt hatten. Wie aber soll man des Radikalen Barlow habhaft werden, der in zig Nebenprojekten über die letzten Jahre an die 300 Songs auf verschiedenen Kleinstlabels veröffentlicht hat?
Im Lo-Fi-Rock ging es darum, sich rauszuhalten. Der zwanglose Rahmen ermöglichte es erst, daß die sonderbarsten Songwriter unserer Zeit Platten herausbrachten. Der schweigsame Bill Callahan zum Beispiel nahm unter dem Namen Smog in seinem Wohnzimmer Songs über die Illusion auf, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Der sagenumwobende Will Oldham spielte mit Palace überhöhten Country, in dem der Künstler nur noch als Projektionsfläche funktionierte. Und die Junkies von Royal Trux schließlich schufen einen Drogenrock, der die Klischees des Genres vermied. So unterschiedlich sie waren, in einem glichen sie sich: Mit der Welt da draußen hatten sie nichts am Hut. Und ihr Label Drag City aus Chicago, die wichtigste Adresse für Homerecorder, hielt die Welt einigermaßen auf Abstand – während es respektable Umsätze erzielte.
So waren es auch die Macher von Drag City, die 1990 mit Pavement die integrative Kraft des Genres entdeckten. Obwohl die Formation auf ironische Distanz bedacht gewesen ist, avancierte sie bald zu den Stars unter den verborgenen Lo-Fi-Aktivisten. Erstaunlich ist, mit welcher Wendigkeit sie herkömmliche Wirkungsweisen dekonstruieren, um dann auf umso mächtigere Weise ihre Kunst zum Wirken zu bringen. Ihre jüngste Platte „Brighten The Corners“ macht deutlich, woran sie Jahre gearbeitet haben. An der Wiedergeburt des Rock durch eine Zerstörung des Rock. Doch auch wenn Pavement inzwischen gerne mit dem Etikett classic kokettieren, den Lo-Fi-Kardinaltugenden kommen sie stets nach. Die lauten: Witz und Wahrhaftigkeit.