Achim Reichels Elektronik-Experimente
Nach 25 Jahren haben Techno- und Krautrock-Fans via Internet die Elektronik-Experimente von Achim Reichel wiederentdeckt - eine überraschende Genugtuung
Achim Reichel hat es sich kommod eingerichtet. Sein Reetdach-Haus in Hamburg-Hummelsbüttel steht auf einem großen Anwesen; die Schwimmhalle hat er zum Aufhahmestudio umgerüstet. Der Hund kläfft und rast zum Gartentor, sobald ein Auto hält. Achim trottet auf Schlappen hinterher, um den Besucher zu begrüßen. Mit dem Wasserkocher wird Tee zubereitet, doch Achim muß noch schnell hinüber ins Haupthaus, um Zucker zu holen.
So gemütlich beginnen alle Home-Stories, doch die Home-Story ist schon wieder vorbei. Das Gespräch mit Reichel findet nicht anläßlich eines neuen Albums statt, das wie gewohnt bei seiner Plattenfirma WEA durchgezogen würde. Dort freute man sich über den beachtlichen Erfolg von „Das Beste von Achim Reichet“, einer Zwischenbilanz, die ihn Ende letzten Jahres dazu nötigte, in den üblichen hanseatischen Fernseh-Plauderbuden engelsgeduldig und pflegeleicht immer wieder Fragen nach den Rattles zu beantworten und nach „Der Spieler“ und wie man sich so fühlt als Hamburgerjung‘, der seit mehr als 30 Jahren Musiker ist und noch immer da und gesund.
Diesmal geht es um Größeres, auch um die Vergangenheit zwar, jedoch eine eher apokryphe: um Reicheis ehedem belächelte Elektronik-Experimente zwischen 1971 und ’75, die er nun auf „Echos aus den Zeiten der Grünen Reise“ versammelt hat Weil seine Frau ihn eines Tages fragte, ob er nicht mal im Internet seinen Namen aufrufen wolle. Und da gab es Einträge unter „a.r. & machines“, so lautete die Arbeitsbezeichnung, eine Auflistung längst vergriffener Platten und den Ehrentitel „legendary Underground freak from the 70’s german head scene“. Können die ja nicht wissen, wer Achim Reichel ist. Der Künstler sieht sich rehabilitiert, erfährt Zuspruch auch von Tochters Freunden und einem DJ, Freund seines Friseurs: „Geile Scheibe!“
Das Staunen darüber inspiriert ihn nun schon seit Monaten, denn um nichts ist es ihm mehr zu tun als um die Anerkennung des deuschen Rockmusikers als Kulturschaffenden Die fehlende Ehrerbietung beklagt Reichel zwar ähnlich mantraartig, wie die mit dem Computer erzeugten Rückkopplungen der „Grünen Reise“klingen, doch irgendwie hat er halt auch recht.Wie ein Kind freut er sich über die Wiederentdeckung. „Freunde haben damals gesagt: ‚Achim, du spinnst, laß das doch lieber.'“ Doch Achim hat einen Dickschädel, den man seinen zuletzt moderat marktorientierten Platten gar nicht anmerkt, und nahm fünf Alben als a. r 8C machines auf, bevor er in die erfolgreichere Shanty-Phase eintrat und noch später mit dem Schriftsteller Jörg Fauser zusammenarbeitete. „Der Spieler“ machte ihn noch einmal bekannt.
Dabei war Achim Reichel schon 1965 ein Rock-Star, reiste mit den Rattles durch England und enthusiasmierte die einheimische Mädchen-Legion, die von dem blonden Hanseaten nicht lassen wollte. „Das kann man heute gar nicht mehr erzählen“, sagt Achim, berichtet dann aber doch von vollgestopften Hallen, die von der einen zur anderen Seite durchquert werden mußten, weshalb die Rattles beinahe ohne Textilien auf der Bühne ankamen. Es muß eine wilde, schöne Zeit gewesen sein damals, als andere Jugendliche noch nicht mal eine Freundin hatten und Achim bald eine Frau und ein Kind. Weil er so früh alles erlebt hatte, wurde er bald solide – zumal als die Bundeswehr den Musiker einberief und damit die Karriere der Rattles beendete. Solche Rockuntypischen Prägungen merkt man ihm noch heute an: Exzeß und Exzentrik sind ihm fremd, sein Blick ruht mit verlegener Zufriedenheit auf dem Garten hinter dem Haus: „Das hätte ich mir nicht träumen lassen. Und manchmal frage ich mich schon, womit ich das verdient habe. Dem Publikum verdanke ich das alles, das darf man nicht vergessen. Irgendwas muß ich doch richtig gemacht haben.“ So versichert er sich, stets spitzbübisch grinsend, aber zuverlässig uneitel, der eigenen Existenz. Daher rührt allerdings auch seine Sorge, am Publikum vorbeizumusizieren und die nächste Deadline für Platte und Hit nicht einhalten zu können – „irgendwann wird der neue Vertrag fällig“.
Die Unruhe hat auch damit zu tun, daß er nach einem langwierigen Streit um ein Grundstück am See, auf dem er Vorjahren wohnte, viel von seinem Geld verloren hat. Wie immer in solchen Fällen kommt zur persönlichen Enttäuschung der Ärger über Justiz und Bürokratie, doch Achim sitzt im Trockenen. Für kurze Zeit ließ er sich freilich dazu herbei, ander Wiedervereinigung der Rattles-Kumpels mitzuwirken – um feststellen zu müssen, „daß die heute ganz anders sprechen und man keine gemeinsame Grundlage mehr hat“. Entsetzt war Reichel „über die ehemaligen Groupies, die man gar nicht wiedererkennt, so alt sehen die aus“. Fassungslos: „Was die in einer Nacht trinken! Das fordert Tribut, und das bin ich nicht gewohnt. Da habe ich gemerkt, daß ich mit denen eigentlich nichts mehr zu tun habe.“
Reichel ist eher braver Handwerker und Hausvater als Rock’n‘-Roll-Aficionado. Deshalb sieht er ungleich frischer aus als die meisten Kollegen und trägt die Haare kurz und blondiert. Merkwürdige Vorstellung, wie Reichel Anfang der 80er Jahre den bekanntermaßen allsüchtigen Jörg Fauser um Texte bat. In dessen Münchner Wohnung stand „nur eine Apfelsinenkiste“, und der Dichter fragte den Rocker scheu, ob es ihn störe, wenn er sich einen Joint anzünde. Auch der dionysische Radau-Poet Kiev Stingl, dessen Platten Reichel schon 1975 produzierte, neigte zum Suff, doch den Freund focht das nicht an. „Erst kürzlich“ sei Stingl mal wieder in Hummelsbüttel gewesen, sonst lebe er in Berlin. Den Stingl habe damals „niemand verstanden“, und seine Begeisterung für Jim Morrison und Georges Bataille war allzu uferlos. Andächtig zieht Reichel die Weißpressung einer frühen Stingl-Platte aus einem Stapel. Auf einem Cover schaut Stingl kaum anders aus als Lou Reed bei „Transformer“. Und Reichel wie ein Hippie-Gartenzwerg. Er hatte „immer Verantwortung“ zu tragen, und das hat ihn gerettet. Fauser wurde 1988 auf der Autobahn überfahren; er war dort zu Fuß unterwegs. Stingl sah ich zuletzt 1989 bei einer Lesung in Wilhelmsburg, wo sechs Zuhörer seinen Kraftmeiereien lauschten.
Achim Reichel indes hatte Anfang der Neunziger mit „Aloha-heja-he“
wieder einen Hit und ging regelmäßig auf Tournee. Es haut ihn schon mal jemand an und fordert, er solle gefälligst wieder Konzerte geben, man habe ein Recht darauf. Das gibt Reichel zu denken: „Im Grunde stimmt das ja. Denn die Leute sorgen ja dafür, daß man das überhaupt machen kann. Da muß man sich auch mal wieder sehen lassen.“ Ein Tankwart bemerkte neulich anhand der Kreditkarte: „Sind sie der Achim Reichel? Machen sie immer noch Musik?“ So vergeht die Zeit.
Als Sohn eines Seemanns wurde Reichel etatgemäß direkt an Hamburgs großer Hafentreppe geboren, und dort, in St Pauli, spielte er bald Gitarre mit einem winzigen Verstärker, übte die Riffs von Buddy-Holly- und Eddie-Cochran-Songs, die er den Singles abgelauscht hatte, und fragte Anfang der Sechziger die Beatles nach einem technischen Rat oder einer Text-Exegese, denn die hingen bekanntlich auch am Hafen ab und spielten all die Nächte durch. Achim durfte mit seinen Freunden beim Tanzvergnügen auftreten; die Erwachsenen störte der Dilettantismus der Halbstarken nicht. Beim Abhören der englischen Songtexte gab es schon mal putzige Mißverständnisse, die sogar auf Vinyl gebannt wurden. Die Rattles, mit gerade 17 engagiert, brachten den Beat in die gute Stube; Krawall brachten sie nicht. Auch damals behauptete Reichel nicht, er wolle eine Revolution auslösen. Die einschlägigen Fernsehbilder zeigen einen kernigen Jüngling, der John Fogerty ähnelt und vermudich wie jener über Sachen sang, von denen er noch gar nichts wußte.
Heute beteiligt sich Reichel nicht mehr so gern an der Vergangenheitsbewältigung. Oft stiefelte er fürs Fernsehen über die Trümmer des „Star-Qub“ und über den Fischmarkt und gab Auskunft zur goldenen Ära. „Aber dafür bezahlt mich ja keiner“, meint er realistisch, und soviel Nostalgie ist auch gefahrlich, denn die nächste Deadline kommt bestimmt Andererseits zehrt er von dem frühen Ruhm und daß er eher da war als sie alle, als Niedecken, Westernhagen, Witt, Grönemeyer. Da kehrt auch die Erinnerung daran zurück, daß er mal mit Steve Reich auf derselben Bühne stand und sowieso mit Steve Winwoods Traffic.
Deutsche Elektronik-Pioniere wie Edgar Froese und Klaus Schulze gelten heute als Techno-Vordenker und New-Age-Könige und werden von den Nachgeborenen befragt, doch die Stars bleiben Kraftwerk. Man lasse die Kirche im Dorf: Achim Reichel gehörte nicht dazu; wohl aber war er dabei. Die „Grüne Reise“ fuhrt nicht zur Erleuchtung, sie ist eher eine Selbstbestätigung des Musikers, der als Songschreiber das Handicap hat, daß es ihm an Texten gebricht Dennoch: Erwähnt man, daß Bob Dylan sich für das Schreiben an „Time Out Of Mind“ angeblich in eine Hütte eingeschlossen hat, erinnert sich Reichel an einen Arbeitsausflug nach Spanien, wo er sich „ein Apartment gemie tet und eine Kiste Wein gekauft“ hatte. Doch seine Themen findet er heute beim „Fahrrad fahr’n“; Songs wie „Kreuzworträtsel“ mögen banal sein, schaffen es aber ins Radio.
Beim Anblick seiner Computer im Heimstudio beschleicht Achim Reichel zuweilen der blasse Gedanke, „was ich mit den tausend Loops machen soll“. Der Möglichkeiten sind zu viele. Und dann greift er wie in den alten Zeiten zur Gitarre, wie es jeder rauhe Segler tun sollte, auch wenn er nicht zur See fährt.