Ach, du meine Nase!
Ja, schon wieder Dylan! Diesmal geht’s um das von ihm selbst mit breitem Pinsel in fünf Minuten hingesaute Self Portrait, das sein gleichnamiges Doppelalbum von 1970 ziert. Ich war damals frischgebackener Abiturient in Köln und seit „Blonde On Blonde“ recht stolz darauf, den Schal lässig nach hinten über die Schultern gelegt zu tragen -wie er. Daher musste ich diese Platte haben, die es damals bei „Radio Nord“ zu kaufen gab. Ein formatfüllender Kopf eines jungen Mannes mit auffälliger blauer Nase und abstehenden Ohren provozierte ein Hingucken-Müssen und entfachte brennende Neugier auf selige Identitätsmusik. Doch auch ich war bitter enttäuscht. Es gab nur wenige neue Dylan-Stücke, darunter das launige La-la-la-Instrumental „Wigwam“, das dann ausgerechnet von Drafi Deutscher als „Weil ich dich liebe“ gecovert wurde. Gott sei Dank wusste ich das damals nicht. Den unrühmlichen Tiefpunkt des mitunter reichlich Bläser-Streicher-gesättigten Cover-Versionen-Selbstporträts markierte „Blue Moon“. Bad Crooning traf auf Bad Painting! Aber bei allem Vorden-Kopf-Gestoßensein fand ich tiefen Trost in diesem bewusst uninspiriert gemalten Cover-Kopf. Eine dicke Nase und Segelohren teilte ich mit ihm. So konnte ich mir die allmorgendliche Spiegel-Selbstbeäugung leichter leisten. Uncoole Ähnlichkeit mit Dylan machte mein unsicheres Selbst ein wenig cooler. Zudem: Nach über 40 Jahren Dylan ist zwar seine Malerei nicht besser geworden, obwohl er inzwischen von der Weltgalerie Gagosian vermarktet wird. Doch der Akt, einer erwartungshungrigen Welt (bzw. Musikindustrie) frank und frei die Zutaten der eigenen Soundpalette -von Americana-Klassikern bis zur Pop-Schnulze wie heute in seinen Radiosendungen – um die Ohren zu klatschen, wie ausgegoren auch immer, bleibt absolut mutig und vor allem: Feine Prozesskunst.