ABSCHIEDE


Bobby Womack

Wer der Geschichte der Soul Music nur anhand weniger auratischer Orte wie Memphis, Detroit und Chicago nachspürt, übersieht schnell, dass es in der Zeit, in der das Genre seine Gestalt fand, aus allen Himmelsrichtungen der USA groovte. Wie klingt etwa der klassische Soul-Sound der West Coast? Vielleicht so energetisch, rast- und uferlos wie das Werk von Bobby Womack.

Der Mann, der von Sam Cooke entdeckt wurde und später dessen Witwe ehelichte, stand niemals still. Wilson Pickett taufte er zum „Midnight Mover“, Womack selbst trieb im Strom der Musikgeschichte oft vorne weg und oben auf, war selbst jedoch auch ein Getriebener seiner Süchte und Ambitionen. Wie sein Mentor Cooke wagte er den Sprung vom Gospel zum säkularen Rhythm & Blues und verweigerte sich stets allzu engen Genregrenzen.

In Los Angeles spielte er 1964 unter dem Gruppennamen The Valentinos gemeinsam mit seinen Brüdern den hybriden Rhythm-Blues-Country-Song „It’s All Over Now“ ein, der den Rolling Stones kurze Zeit später ihren ersten Nummer-eins-Hit im Vereinigten Königreich bescherte. Womacks Talente als Songwriter und Gitarrist machten sich fortan auch Sly Stone, Aretha Franklin und Janis Joplin zunutze. Doch erst mit dem Cover des Pop-Standards „Fly Me To The Moon“ (1968) nahm seine eigene Solokarriere an Fahrt auf. Bis zum Disco-Trend der späten Siebziger, dem er wie viele andere Soul-Sänger mittleren Alters wenig entgegenzusetzen hatte, zeigte sich Womack nun als vielseitiger Meister seines Fachs.

Mit seiner rauen, gospelgeschulten Stimme, seinem luftleichten Gitarrenspiel und grenzenlosen Stilverständnis schuf er Albumklassiker des Genres wie „My Prescription“ (1969),“Communication“ (1971) und „Facts Of Life“ (1973). Brillante Stücke wie „Across 110th Street“, dem Quentin Tarantino Dekaden später auf dem „Jackie Brown“-Soundtrack zu erneutem Glanz verhalf, „Home Is Where The Heart Is“ und „How Could You Break My Heart“ zeigten, dass Womack die schnörkellose Tiefe des Southern Soul auch in modernere, urbane Gefilde zu überführen wusste.

1981 schuf er mit der ausufernden Deep-Soul-Ballade „If You Think You’re Lonely Now“ und dem Album „The Poet“ ein herzerwärmendes – und überraschend chartstaugliches -Refugium gegen die allzu kühlen Oberflächen des Pop-Zeitgeists. Wenn er sich in seinem Song „I’m The Only Survivor“ (1985) wehmütig an all die verstorbenen Größen wie Otis Redding, Marvin Gaye und Jackie Wilson erinnerte und zwei Jahre später selbst als „Last Soul Man“ feierte, zeugte das von großem Traditionsbewusstsein und noch größerem Ego.

Motiviert durch einen Gastauftritt bei den Gorillaz legte er 2012 nach langer Stille mit dem von Damon Albarn und Richard Russell produzierten „The Bravest Man In The Universe“ ein erstaunlich frisches, ambitioniertes Album vor, das der Bezeichnung „Alterswerk“ Hohn spricht.

Am 27. Juni starb Bobby Womack im Alter von 70 Jahren in Los Angeles. Dass man dieses Jahr mit „The Best Is Yet To Come“ noch auf eine finale Sammlung von Songs hoffen darf, tröstet kaum über den großen Verlust. The Last Soul Man is gone.

FRANK CASTENHOLZ

Gerry Goffin

Ehen sind in der Regel selten künstlerisch ertragreich, doch eine Zeitlang schrieben Gerry Goffin und Gattin Carole King die besten Songs der Welt; sie die Musik, er die Texte. Anfang der 60er-Jahre gehörten sie zu den erfolgreichsten Duos der Brill-Building-Ära, in der geniale Gassenhauer für Schmalzsänger und Vokalgruppen wie am Fließband produziert wurden. Goffi n prägte mit seinen Lyrics berühmte Songs wie „Will You Love Me Tomorrow“, „Take Good Care Of My Baby“ und „The Loco-Motion“. Nach der Scheidung von King im Jahr 1969 arbeitete er unter anderem mit Barry Goldberg und Michael Masser. Mit Letzterem schrieb er die Ballade „Saving All My Love For You“, 1985 ein Hit für Whitney Houston. Goffin starb am 19. Juni im Alter von 75 Jahren in Los Angeles.

Horace Silver

„The Stylings Of Silver“ hieß eines seiner Alben. Doch Horace Silver, 1928 in Norwalk, Connecticut geboren, war nicht nur ein begnadeter Stilist und Styler, er war auch einer der wichtigsten Jazz-Innovatoren, der schon früh Hardbop, Gospel, Blues, Soul und lateinamerikanische Einflüsse zu einem spirituellen, eleganten Mix verband und wegweisende Platten schuf, darunter „Finger Poppin'“ und „Song For My Father“. Silvers Klavierspiel galt auf Grund seiner eingängigen, oft swingenden Wiederholungen und Improvisationen als funky, lange bevor Funk eine eigenständige Musikgattung wurde. Am 18. Juni starb der Jazz-Modernist mit 85 Jahren in New Rochelle, New York.

Charlie Haden

Er lieferte am Bass das Fundament für Ornette Colemans irrlichternde Erkundungen der Freiheit, die er Free Jazz nannte. Dabei war er eigentlich ein Hillbilly. Geboren in Shenandoah, Iowa, sang Charlie Haden mit in der Familie Folk und Country, bis seine Stimme durch eine Polioerkrankung zu schwach war. Die Rettung kam aus dem Radio: Jazz. Er lernte Bass, spielte an der Seite von Art Pepper, dann im stilbildenden Ornette Coleman Quartet, später im Keith Jarrett Trio. Mit Carla Bley gründete er das Liberation Music Orchestra. Die schlichte Schönheit der Folksongs seiner Jugend sind seinem Spiel immer eigen geblieben. Haden starb mit 76 in Los Angeles.

Tommy Ramone

In der Familienaufstellung Didi, Joey, Johnny und Tommy Ramone war Drummer Tommy nicht nur alphabetisch der letzte. Die Aura der bereits in der Prä-Punk-Phase gegründeten New Yorker Punkband Ramones prägten stets die Frontleute. Der als Tamás Erdélyi in Budapest geborene Tommy kam nach dem Einmarsch der Russen 1957 mit seinen Eltern in die USA und schloss sich später den rockenden Schulfreunden an. Als Songschreiber sorgte er für prägende Kracher wie „Sheena Is A Punkrocker“ oder „Blitzkrieg Bop“. Auch als (Co-)Produzent der prägenden Alben „Ramones“ und „Rocket To Russia“ tritt der große Schweiger, der am Handwerk und weniger an ideologischen Fragen interessiert war, in Erscheinung. Am 11. Juli verstarb der letzte coole NYC-Jeans-und-Ledermann mit nur 65 Jahren.

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