Abkehr von alten Wegen
Einst nahm der kanadische Songschreiber Dan Mangan einen Kredit bei seiner Bank auf. Den zahlt er nun in klingenden Tönen zurück.
Die akustische Gitarre und der Singer/Songwriter, das gehört zusammen. Der klampfende Barde ist eine der Ikonen der Popularmusik. Doch die Sechssaitige macht ihren Nutzern auch Probleme. Zu abgedroschen scheinen manchmal die Klänge, die man ihr entlocken kann, zu festgelegt die Gefühle, die sie produziert. Jeder Songwriter, der etwas auf sich hält, ist früher oder später von den Begrenzungen der Westerngitarre frustriert. Die Suche nach Alternativen lässt manchen ungewöhnliche Stimmungen ausprobieren, mit dem Loop-Pedal experimentieren oder auf die Elektrische umsteigen.
Auch der Kanadier Dan Mangan mochte nicht mehr als der klischeebehaftete Troubadour wahrgenommen werden, als er sein neues Album, „Oh Fortune“ vorbereitete. Im Lauf der letzten Jahre hat sich eine feste Live-Band herauskristallisiert, deren Sound anders ist als bei Singer/Songwriter-Bands üblich. Feedback-Schleifen, überdrehte Analog-Delays, verzerrte Trommeln: Mangans Mitmusiker verwandeln den Klang von dessen Akustikgitarrenliedern mit dem Mut der Andersdenkenden. „Es war ein großes Glück, dass ich diese Leute fand“, sagt Mangan, „sie sind alle in der Lage, über den Tellerrand zu sehen und ungewöhnliche Ideen zu entwickeln. Das hat mir völlig neue Perspektiven eröffnet.“
Auf „Oh Fortune“ erlebt man nun ein großes Abenteuer. Die eigentlich traditionell geschriebenen und vorgetragenen Lieder (Mangan spielt weiterhin auf der Akustischen) verschwimmen unter geheimnisvollen Klängen und weichen mit unkonventionellen, vor Ideenreichtum strotzenden Arrangements von den Konventionen ab. Wie wundervoll fantasievoll das alles ist! Doch Mangan verrät sein Genre nicht und würde auch ohne die Arrangeurskniffe Applaus bekommen. „Ich schätze den klassischen Songwriter mit Gitarre und finde dieses Konzept überhaupt nicht lächerlich oder uncool. Ich mag nur nicht, dass viele Leute einen so schnell in eine Kiste packen.“
Das gelingt Mangan nicht nur mit den Mitteln der elektronischen Verfremdung. Manche Lieder bekamen fast sinfonische Orchesterarrangements, andere klingen, als jage jemand Mumford & Sons und Patrick Watson gleichzeitig durch den Verzerrer. Nein, wirklich: Dan Mangan hat eine außergewöhnliche Platte gemacht. „Ich hatte bis zum Schluss große Zweifel“, behauptet er trotzdem, „mal fand ich die Aufnahmen großartig, dann dachte ich wieder, wir haben rein gar nichts. Ich habe einige Monate lang schlecht geschlafen.“
Ruhe kehrt auch jetzt nicht ein. Daheim in Vancouver spielte Mangan unlängst ein Konzert mit großem Orchester. In einer Halle, in der auch Bob Dylan und Neil Young auftreten, wenn sie in der Stadt sind. Für Mangan geht mit den wachsenden Besucherzahlen ein Traum in Erfüllung, den er zu träumen begann, als er vor sieben, acht Jahren in eine Bank lief und für die Produktion seines Debüt-albums einen Kredit erbat. Die Bank machte mit, Mangans Karriere begann. Das 2009 erschienene Album „Nice, Nice, Very Nice“ bekam wegen der Single „Robots“ viel Aufmerksamkeit, es folgten divese Auszeichnungen sowie Auftritte auf großen Festivals. Sogar für Prinz William und Kate durfte Mangan im Juli 2011 spielen.
Nun ist Dan Mangan bei sich selbst angekommen. Mit einer Musik, deren Wagemut sich wohl nicht für die Bank von damals auszahlt, aber für uns Hörer und das Vorankommen des Singer/Songwriter-Genres ganz allgemein. Oh fortune! jörn schlüter