„A Dragon Arrives!“: Zum Schluss brüllt der Drachen
Der iranische Regisseur Mani Haghighi schließt mit »A Dragon Arrives« den Wettbewerb so fulminant ab, wie er zu keinem Zeitpunkt war. In überwältigenden Aufnahmen erzählt er eine kafkaeske Geschichte des Iran und öffnet für den Zuschauer den Raum der Assoziation.
Vor Jahren stieß Mani Haghighi auf die Geschichte einer verschlossenen Kiste, in der sich Tonbänder von Geheimdienstverhören aus den sechziger Jahren befunden haben sollen. In den Aufnahmen geht es um die Geschehnisse auf der iranischen Insel Qeshm, wo der Ermittler Babak Hafizi den angeblichen Selbstmord eines verbannten politischen Gefangenen untersuchen soll, der inmitten der inseleigenen Wüstenlandschaft in einem alten Schiffswrack erhängt aufgefunden wurde.
Die Wände des Wracks sind über und über beschrieben mit Romanzitaten, Gebeten, Tagebuchaufzeichnungen, deren Bedeutung rätselhaft bleibt. Er beschließt, in der Schiffshöhle zu übernachten. In der Nacht kommt es zu einem Erdbeben, nichts ungewöhnliches für den Iran, wenn er nicht von dem Dorfältesten vor einem Aufreißen der Erde gewarnt worden wäre, als er den Toten auf dem alten Friedhof vor der Schiffsruine verscharren ließ. Dass er in der Nacht auch noch leise Stimmen gehört hat, nährt nur Hafizis Unruhe. Wenn er wüsste, dass er in einigen Wochen mit einem Geologen und einem Audiologen in den Verließen des iranischen Geheimdienstes unter dem Schah verhört und mit dem Tod bedroht wird, wäre seine Unruhe wohl noch viel größer.
So aber reist er mit den beiden Wissenschaftlern erneut in die Region, um die seltsamen Phänome zu untersuchen. Dabei kommt es zu einigen seltsamen Ereignissen. Die verschollene Tochter des Dorfheilers bringt in einem versteckten Kellerraum unter dem Schiff ein Kind zur Welt und stirbt im Moment der Geburt. Bei Probegrabungen wird ein Mann von der Erde verschluckt und berichtet nach seiner Rettung von einem schuppigen Wesen mit feurigen Augen. Und nachts hallen durch Wüste markerschütternde Schreie.
So magisch und kafkaesk das alles klingt, so sehr sucht man in „A Dragon Arrives!“ nach der Bedeutung all dieser Zeichen und Wunder. Man hofft, sie in den Jahreszahlen und politischen Andeutungen zu entdecken, verliert sich aber allzu schnell in den Tiefen der eigenen Wissenslücken. Der iranische Regisseur Mani Haghighi will den Film als »enigmatisches Objekt« verstanden wissen, der viele Geheimnisse in sich trägt, denen die Zuschauer auf den Grund gehen sollen. »Der Film bedeutet etwas, aber es ist schwer, herauszufinden, was genau er bedeutet. Das muss jeder für sich selbst beantworten«, sagte er gegenüber der Presse.
Ihm ist übrigens das Publikum am liebsten, das am wenigsten Wissen über die iranische Kultur und Geschichte mitbringt, denn dieses Publikum sei viel offener für die »dialektische Spannung« zwischen Wahrheit und Fiktion, derer er sich bedient. Verstärkt wird diese noch durch den Hinweis zu Beginn des Films, er basiere auf wahren Ereignissen, sowie durch dokumentarische Ausnahmen zur Entstehung des Films. Allerdings wird mit jede Minute des Films immer unwahrscheinlicher, dass sich diese Geschichte tatsächlich zugetragen hat, denn immer mehr unerklärliche Phänomene beeinflussen Haghighis Erzählung.
Fulminanter Mash-Up
Der Iraner ist kein unbekannter auf der Berlinale, 2006 präsentierte er sein zweites Werk Men at Work, 2012 seinen vierten Film Modest Reception. Mit A Dragon Arrives vollzieht er nun den Sprung aus dem Forum in den Wettbewerb. Und er springt weit, verdammt weit. Erzählerisch spielt er mit der Angst vor staatlicher Gewalt, die nicht nur in Irans Geschichte verankert ist, sondern auch tief in der modernen Gesellschaft steckt.
Sein fulminanter Film ist ein magischer Mash-Up aus orientalischen Mythen, politischem Thriller und popkulturellen Elementen, die von der perfekten Vintage-Kostümierung bis zum kongenialen Music Design (von Christophe Rezai) reicht.
Vor allem aber ist A Dragon Arrives sensationell in seiner Visualität, die diesjährige Berlinale hat in dieser Hinsicht nicht annähernd etwas Vergleichbares zu bieten. Dies liegt zum einen am spektakulären Szenenbild (von Amir Hossein Ghodsi), dass in einer weithin ikonografisch festgefahrenen Landschaft eine neue Welt schafft. Zwar ist das Wüstenschiff eine gesetzte Metapher, hier erhält es in seiner mythischen Aufladung im Interieur und vor einer überwältigenden Naturlandschaft einen neuen Sinn.
In diesen ohnehin schon gigantischen Rahmen setzt er mit knalligen Farben und geilen Autos visuelle Akzente, die er in perfekten Panoramen so wunderbar in Szene setzt, dass man sich jede dieser glänzenden Aufnahmen als Einzelbilder an die Wand hängen möchte.